Prof. Dr. Stefan Kühl ist der Autor des vorliegenden Buches, das sich mit der Soziologie des Holocaust beschäftigt. Er geht der Frage nach, weshalb so viele Deutsche bereit waren, sich an der Vernichtung der europäischen Juden zu beteiligen. Dabei geht er davon aus, dass über eine Vielfalt von Motiven wie Überzeugung, Zwang, Kameradschaft und Geld hinweg es die Einbindung in die Organisation des NS-Staates war, die sie dazu brachte, sich an Massenerschießungen und Deportationen zu beteiligen.
Nach einer umfangreichen Einleitung untergliedert Kühl sein Werk in 9 Kapitel. Er berichtet zunächst in dem Kapitel "Jenseits der ganz normalen Männer" und "ganz normalen Deutschen" von den Massenerschießungen in Józefow im Jahre 1942, wo das "Polizeibataillon 101" innerhalb von 12 Stunden 1500 Juden erschoss. Dieses Polizeibataillon war zwei Jahre hindurch immer wieder an Ghettoräumungen, Deportationen und Massenerschießungen beteiligt. Lebten 1942 noch 320 000 Juden im Distrikt Lublin, so waren es 1946 nur noch 5000. Verantwortlich für die Auslöschung der Juden dort war maßgeblich besagtes Polizeibataillon, (S.53).
Kühl hinterfragt zahlreiche Begründungen für das Handeln der Mörder, so etwa den Fanatismus, den Sadismus, die Indoktrination und den Judenhass. Doch all diese machen nicht plausibel, weshalb so viele Personen, bei denen vorher kein solches Verhalten festgestellt werden konnte, während des 2. Weltkrieges an Deportationen, Massenerschießungen und Vergasungen teilnahmen.
Der Autor befasst sich mit den Motiven von Organisationsmitgliedern und den Motivationsmitteln von Organisationen. Dabei ist es für eine Organisation nebensächlich aus welchen Motiven heraus sie handeln, wichtig allein ist, dass gehandelt wird.
Thematisiert wird die antisemitische Konsensfiktion und die Zustimmungsdiktatur, zu der auch die schleichende Ausgrenzung der Juden aus dem öffentlichen Leben gehörte und damit die Vernichtung ihrer wirtschaftlichen Existenz.
Gezeigt wird die schrittweise Durchsetzung der antisemitischen Konsensfiktion und zur Sprache gebracht wird auch der Zwangscharakter der Ordnungspolizei. "Zwangsorganisationen setzen Erzwingungsmittel ein, um auf diese Weise die Teilnahme an der Organisation sicherzustellen.“ Wie es damit bestellt war, wird beleuchtet. Doch auch die Grenzen der Freiräume.
Kameradschaft, Geld etc. sind Themen in der Untersuchung und es wird verdeutlicht, dass das Personal, das für Direkttötungen durch Massenerschießungen und Vergasungen zuständig war, zumeist in "gierige Organisationen" eingebunden war, die den Anspruch hatten, die Mitglieder zu kontrollieren. Bei solchen "gierigen Organisationen" (Begriff von Lewis A. Coser) handelt es sich um Organisationen, die von ihren Mitgliedern exklusive Loyalität verlangen, indem sie andere Rollenengagements zu kontrollieren, einzuschränken und zu unterbinden suchen. (S.316).
Das Buch macht begreifbar, dass die Formen exzessiver Gewaltanwendung Teil der informalen Struktur der NS-Gewaltorganisationen waren und dass nicht nur die Mitglieder in auf Massentötungen spezialisierten Organisationen häufig ganz normale Menschen gewesen sind, sondern dass auch die Organisationen, über die die Massentötungen geplant und durchgeführt wurden, Merkmale ganz normaler Organisationen aufweisen.
Das gibt zu denken, weil es klar macht, dass man im Hier und Jetzt und in der Zukunft nicht davor gefeit sein kann, dass Organisationen mörderisch mutieren und ganz normale Menschen zu grausamen Mördern werden lassen..
Empfehlenswert.
Bitte klicken Sie auf den Link, dann gelangen Sie zu Suhrkamp und können das Buch direkt bestellen:http://www.suhrkamp.de/buecher/ganz_normale_organisationen-stefan_kuehl_29730.html. Sie können es aber auch bei Ihrem Buchhändlerum die Ecke ordern.
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