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Rezension: Kriegspropaganda und Medienmanipulation-Christian Hardinghaus- Europaverlag



Christian Hardingshaus, der Autor dieses Buches, wurde nach seinem Studium im Bereich Propaganda und Antisemitismusforschung promoviert. Seine Publikation "Das Wolfsmädchen" habe ich vor einigen Monaten auf "Buch, Kultur und Lifestyle" bereits rezensiert und möchte es an dieser Stelle nochmals empfehlen. 

Die vorliegende Publikation "Kriegspropaganda und Medienmanipulation" ist in sechs Kapitel untergliedert als da sind: 
Propaganda erkennen Propaganda verstehen 
Propaganda entlarven 
Kriegspropaganda 
Propaganda im Ukrainekrieg 
Ukraine-Berichterstattung in deutschen Medien und Plädoyer für einen besseren Journalismus 

Dazu kommen noch: das Vorwort, das Nachwort und Danksagung, die Auflistung der Propagandamethoden, wie auch die Auflistung der Anmerkungen. 

Der Autor möchte durch sein Werk vor den alltäglichen Gefahren von Propaganda warnen, weil sie sich in Kriegen des 20. Jahrhundert als eine der tödlichsten Waffen erwiesen habe. Am einfachsten könne man Propaganda mittels der 4-M- Formel charakterisieren. Propaganda beschreibe die Manipulation der Massen durch Machthaber (oder Mächtige/nach Macht Strebende) mittels Medien. Bei diesen Medien handele es sich um Massenmedien mit Schwerpunkt Nachrichtenvermittlung. Je mehr mediale Präsenz Politiker, Parteien und politische Organisationen erhielten, desto größer werde, gewissermaßen automatisch, ihr gesellschaftliches Standing. Die Gefahr bestehe, dass man durch Propaganda vorgeschrieben bekomme, was man zu denken habe. 

Die Methode sei das Erzeugen von Negativgefühlen, primär von Angst. Wenn es um Massenmanipulation gehe, dann sind es existentielle Ängste, wie etwa vor Kriegen, Krankheiten, Naturkatastrophen oder wirtschaftlicher Not. Die Furcht vor einer propagierten Katastrophe könne so ausgeprägt sein, dass die Bürger eines Staates sogar Gesetze akzeptierten, die ihnen ihre Grundrechte nehmen oder massiv einschränkten. 

Dabei inszeniere sich der Propagandist medial stets als Heilsbringer und lasse verlauten, dass allein er oder seine verordneten Maßnahmen dazu in der Lage seien, das drohende Unheil abzuwenden. Sofern Machthabende eine Diktatur anstreben, könnten sie Propaganda durch Angsterzeugung so lange auf die Spitze treiben, dadurch immer größere Macht an sich reißen, bis das ausgetrickste Volk keine Chance mehr habe, sich zu wehren. 

Die Medien, die dem Diktator zunächst hörig waren, würden dann wie alle anderen Staatsorgane gleichgeschaltet. Von da an diene Propaganda ideologischen Zielen wie etwa die Entfesselung von Kriegen und werde als Kriegspropaganda noch radikaleren Prinzipien untergeordnet. 

Entdecke man Angstthemen in den Medien, müsse man wachsam sein und sich fragen, wer davon profitieren könne, uns diese Ängste einzujagen. 

Der Gesamtfokus des Buches läge auf Kriegspropaganda, die die gesamte Bevölkerung eines Landes und darüber hinaus zum Ziel habe, so Hardingshaus. Der Autor möchte präzise Entschlüsselungstaktiken vorstellen und verweist auf weiterführende Literatur für alle, die sich noch tiefer mit dem Thema befassen wollen. 

In Kapitel 2 erfährt man u.a., welchen Begriffswandel Propaganda im Laufe der Zeit durchgemacht hat und wie man ihn heute definiert. Im darauffolgenden Kapitel lernt man dann Strategien kennen, mittels denen man Propaganda entlarven kann. Hier wird man mit sieben Grundformen von Propaganda vertraut gemacht, indem diese gut verständlich erläutert werden. Alsdann werden 60 Propagandatechniken der Täuschung vorgestellt. Dazu zählt auch "Gaslighting", von der man in jüngste Zeit immer wieder liest. Das ist eine Form der Gehirnwäsche über einen längeren Zeitraum, die darauf abziele, dass das Opfer in seiner Wahrnehmung und seinem Realitätssinn zweifele, indem man ihm einrede, es sei psychisch krank oder rede sich nur Dinge ein. "Gaslighting", eine beliebte Technik von Narzissten, könne auch von Regierigspolitikern und Medien ausgehen, die bestimmte im Buch genannten Ziele verfolgen und dazu spezielle Taktiken verwenden, die der Autor auch nicht verschweigt. 

Auf die vielen im Buch beschriebenen Techniken im Rahmen der Rezension einzugehen, führt allerdings zu weit. Es lohnt, sie sich immer mal wieder vor Augen zu führen. Alle genannten Techniken finden auch in der in Kapitel 4 behandelten Kriegspropaganda Anwendung. 

Hier werden diverse Methoden und Prinzipen erörtert und diese am 1. und 2. Weltkrieg, zudem am Vietnamkrieg, den Zweiten Golfkrieg (1990-91), den Kosovokrieg, dem Irakkrieg, sowie den Kriegen in Afghanistan und Syrien aufgezeigt. Spannend zu lesen, sind die jeweiligen Kriegsanlasslügen. Sehr aufschlussreich.

In Kapitel 5 schließlich, kann man sich mit der Propaganda im Ukrainekrieg befassen und sich bewusst machen, wie die einzelnen Akteure agieren. Zum Schluss dann erfährt man Wissenswertes zur Ukraine-Berichterstattung in den deutschen Medien, die Hardinghaus als dilettantisch bezeichnet. Dies begründet er ausführlich und schreibt ein beeindruckendes Plädoyer für einen besseren Journalismus, das sich alle Journalisten zu Herzen nehmen sollten.

Das Buch enthält eine Fülle von Fakten und ist ungemein bewusstseinsfördernd, nicht nur für Journalisten. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

Onlinebestellung: Europaverlag oder Amazon

Rezension: Unser Schwert ist die Liebe- Die feministische Revolte im Iran- Gilda Sahebi- S.Fischer



Gilda Sahebi, die Autorin dieses bedrückenden Buches ist ausgebildete Ärztin und studierte Politologin. Sie ist tätig als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Rassismus, Frauenrechte, Naher Osten sowie Wissenschaft, zählt zu den wichtigen Stimmen über den Iran und wurde 2022 seitens des "Focus" zu den "100 Frauen des Jahres" ernannt. 

Sie schreibt im vorliegenden Buch von den Protesten im Iran seit im September 2022 Nika Shakarami im Alter von nur 17 Jahren in Teheran von den dortigen Schergen der Machthaber ermordet wurde,  genau wie nur wenige Tage zuvor die 22 jährige Kurdin Jina Masha Amini. 

Man erfährt, dass die "Sittenpolizei", die aus Frauen und Männern besteht, im Land umherfährt und Menschen, primär Frauen, einfängt, inhaftiert und misshandelt, die gegen die vermeintlichen Sitten des Iran verstoßen. Oft ist es nur das Kopftuch, das Stein des Anstoßes ist. 

Nach der Beerdigung von Jina Masha Amini allerdings beginnen die Proteste. Unzählige Frauen ziehen ihre Kopftücher ab und schwenken sie in der Luft und Nika Shakarami, die andere ermordete Frau wird zum Symbol der Bewegung junger Menschen, die gegen das iranische Regime aufstehen. 

Bis Mitte Oktober, so Sahebi, hatte das Regime bereits 23 sehr junge Menschen, im Grunde noch Kinder, ermordet, wobei Amnesty von einer höheren Zahl unbestätigter Fälle ausgeht. Die Proteste nahmen weiter zu. Immer mehr Frauen legen ihren "Hijab" ab, wissend, was sie damit riskieren. 

Wie die Autorin schreibt, können im Iran Verstöße gegen die Zwangsverschleierung mit Haft, Peitschenhieben und Misshandlung bestraft werden oder sogar mit dem Tode wie bei Jina Masha Amini. 

Eine solche Protestbewegung, wie sie seitdem stattfindet, habe es im Iran noch nie gegeben, denn jetzt begriffen sich die verschiedenen Ethnien des Landes dabei als Einheit. Die Proteste begannen in Kurdistan. Dort und in Sistan Belutschtan, Gebieten von Minderheiten, zeigten die Menschen besonders viel Mut und Widerstand. Dort aber auch schlage das Regime besonders intensiv zu. 

Seite für Seite liest man mehr über den Fortgang der Protestbewegung. Erwähnt wird die Kampagne politischer Patenschaften. Aufmerksamkeit sei das Einzige, das Leben retten könne. 

Dennoch, Menschen würden weiterhin getötet bei Protesten, in den Folterkellern und noch etwas: Sippenhaft werde routiniert eingesetzt. 

Die Autorin lässt in ihrem Buch eine Anzahl von Menschen zu Wort kommen, berichtet auch von eigenen Erlebnissen. Mitunter war ich als Leserin geradezu überfordert von dem vielen Unrecht und Leid, das sie benennt und konnte erst nach Tagen weiterlesen. 

Sie erinnert an die Massaker in den Jahren nach 1988, schreibt von den Tausenden von Morden in den Gefängnissen damals und vergleicht die Gewaltexzesse mit jenen seit September 2022. 

Sehr lesenswert ist das umfangreiche Interview mit Nasrin Sotoudeh, mehrfach im Iran inhaftiert, obschon sie mit dem "Menschenrechtspreis" als auch dem "Alternativen Nobelpreis" ausgezeichnet und von dem "Times Magazin" zu den "100 einflussreichsten Personen 2021" ernannt wurde. Ihr größter Wunsch ist es, "dass die iranische Gesellschaft den Segen der Gleichberechtigung genießen könnte, um ein normales Leben in Ruhe und Frieden zu führen." Dies begründet sie dann auch näher. 

Wie die Autorin zutreffend schreibt: "Die Freiheit eines Landes misst sich an der Freiheit und Gleichberechtigung aller Geschlechter." Leider wird dies weder von den Machthabern im Iran, noch in anderen Ländern, in denen Diktatoren herrschen, begriffen. Aufklärung, Widerstand und Solidarität sind deshalb auch im Jahre 2023 notwendig, vielleicht mehr denn je. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Macht und Ohnmacht einer Mutter- Kaiserin Maria Theresia und ihr Kinder- Elisabeth Badinter-Zsolnay



Elisabeth Badinter, die Autorin dieses Buches, war Professorin für Philosophie an der Elitehochschule École Polytechnique in Paris und hat einige bemerkenswerte Bücher verfasst, nicht zuletzt das Buch "Mutterliebe", das als ein Klassiker der feministischen Literatur gilt. 

Im vorliegenden Werk geht es um Kaiserin Maria Theresia im Hinblick auf ihre 16 Kinder. Sie wurde, ungewöhnlich für ihre Zeit, einmütig als "zärtliche Mutter" bezeichnet und soll als Mutter die Moderne vorweggenommen haben, weil sie sich für alle Belange der Kinder verantwortlich und wegen all ihrer Probleme schuldig fühlte. Dabei offenbarte sie sich allerdings, so die Autorin, nicht als Vorzeigemutter, wohl aber als "echte" Mutter. 

Die Historikerin fragt zunächst, welche Art von Mutter Maria Theresia war und erwähnt, dass es schwierig sei, die Realität und Intensität der Mutterliebe zu bemessen, speziell in einer Zeit, in der Frauen viele Kinder zur Welt brachten und nicht wenige früh verstarben. Zu ihrem Getreuen Rosenberg soll sie gesagt haben "Ich liebe meine Kinder sehr, spüre es aber nur, wenn ich eines von ihnen verlieren muss."

Man lernt die Kaiserin als Erzieherin kennen. Sie soll feste Vorstellungen im Hinblick auf die Erwartungen an ihre Kinder gehabt haben. Allesamt sollten der Habsburger Dynastie nützlich sein. Der grundlegende Auftrag bestand darin, dass die Mädchen durch entsprechende Heiraten Bündnisse mit ausländischen Königshäusern stärken und die Jungen die Habsburger in verschiedenen Königreichen und Fürstentümern des Kaiserreichs repräsentieren sollten. 

Anhand einer Schautafel wird der jeweilige Status Maria Theresias zum Zeitpunkt der Geburt der einzelnen Kinder dokumentiert. Dann werden Etappen der Kindheit, die Erzieher und Erzieherinnen, deren Stellenbesetzung und Aufgaben auch das enge Verhältnis Maria Theresias zu den Ayas sehr gut besprochen, die sich übrigens stets sehr anerkennend ihnen gegenüber zeigte.

Man erfährt Näheres zu mütterlichen Anweisungen, die sich auch auf die konkrete Bildung bezogen. Sehr jung mussten die Töchter und Söhne Französisch und Latein lernen und hier auch  in den schriftlichen Fertigkeiten brillieren. Von den Söhnen forderte sie allerdings diesbezüglich mehr ab als von den Mädchen. Die Töchter sollten in erster Linie gefallen und nicht die gelehrten Damen spielen. Maria Theresia setzte sich also nicht über den Zeitgeist hinweg.

In der Folge lernt man die einzelnen Kinder näher kennen und das jeweilige Verhältnis, dass Maria Theresia zu ihnen hatte. Sie hatte eindeutig Vorlieben. Gab drei der Kinder das, was sie anderen verweigerte. So soll sie den Grundstein für Eifersucht zwischen den Geschwistern, selbst unter den Favoriten gelegt haben. Eine geeinte Familie hat sich offenbar nicht hinterlassen. Dazu war sie nicht gerecht genug. 

Die Autorin sieht ihr dies nach, wissend, dass Vollkommenheit in dieser Welt wohl nirgendwo zu finden ist, auch nicht bei Müttern im Hier und Heute. 

Lernen kann man m.E. schon von dieser Mutter aus abgelebten Zeiten, nämlich Vorlieben (Lieblingskindern) nicht nachzugeben, sondern stattdessen die Einigkeit der Kinder über den eigenen Tod hinaus als oberste Priorität des Erziehungsziels im Auge zu haben. 

Empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Die Erfindung der Eleganz- Kersten Knipp- Reclam



Der Autor dieses informationsreichen Buches, das den Untertitel "Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens" trägt, ist der freie Journalist und Publizist Kersten Knipp. 

Sein Werk enthält nach einer umfangreichen Einleitung 15 Kapitel und ein Schlusswort. Darüber hinaus viele interessante Literaturhinweise und ein Register im Anhang.

Worum es geht? Um eine bestimmte Form von Gewandtheit, gepaart mit Höflichkeit im Zusammenleben, die sich im Laufe der Zeiten wandelte. Der elegante Auftritt umfasst eine ganze Reihe von Dingen, keineswegs nur die Kleidung, sondern beispielsweise auch die Sprache. So liest man zunächst Wissenswertes über den Salon der Madame de Rambouillet. 

Salons, so erfährt man, waren im frühen 17. Jahrhundert entstanden. Geleitet wurden sie nahezu immer von Frauen, die "unter der Hand" Impulse freisetzten, die die französische Gesellschaft und Kultur ins Tiefste geprägt haben sollen. Im Salon sollte eine Auszeit von der Politik genommen werden. Hier ging es um Tanz, Theater, Konzert, Lesung und Spaziergang, in erster Linie aber um Konversation, Unterhaltung und die Lust am zwanglosen Gespräch, erfährt man. Bei Madame de Rambouillet wurde ein unterhaltender, spielerischer Stil gepflegt. Wie der aussah, beschreibt der Autor detailliert. Man lernt den stilbildenden Künstler Vincent Voiture (1598-1648) in diesem Zusammenhang kennen und wie er sich im Salon einbrachte. 

In der Folge  geht es um  Rhetorik und Politik im Absolutismus.  Man liest von historischen Begebenheiten in jener Zeit, den Religionskriegen und dem Edikt von Nantes 1598. In jenen Tagen war eine Sprache erforderlich geworden, die die Spannungen der Zeit auszugleichen vermochte, eine Sprache, die auf Versöhnung und Verständigung setzte. Jetzt musste der König ein Meister der Sprache werden, um seinen Herausforderern zumindest rhetorisch gewachsen zu sein. Aus Sicht seiner Berater sei es wichtig gewesen, dass der König auch die sprachliche Macht repräsentiere, weil er so auch kulturelle Macht erlangen könne. 

Man erfährt als Folge Wissenswertes zur Gründung der "Académie francaise". Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden in Frankreich viele Dialekte gesprochen. Das hochsprachliche Französisch habe sich nur mühsam gegen die Dialekte behaupten können. Kardinal Richelieu sei es gewesen, der sich dafür stark machte, dass der Hof Impulse setzte, die sich mithilfe der Gebildeten im Reich verbreiten sollten, um so bei allen Schichten der Bevölkerung anzukommen. Eine Gruppe von Schriftstellern und Gelehrten um den Königlichen Rat Valentin Conrat (1603-1675) habe 1629 darüber diskutiert wie man eine Standartsprache schaffen könne. So entwickelte sich die "Académie francaise" deren Ziel es war, die Sprache reicher, feiner, subtiler werden zu lassen. Knipp fasst zusammen, dass die Akademie eine Institution der allmählich sich artikulierenden Aufklärung sei. Man wird mit erhellenden Zeilen des Gründungstextes konfrontiert und damit auch mit dem verächtlichen Blick der Akademiemitglieder auf das Volk, das die Sprache verderbe. Nicht Paris, begriffen als die Stadt des Bürgertums, sei das sprachkreative Zentrum des Reichs gewesen, sondern Hof. Von dort gingen die Impulse des Königs aus. Ludwig XIV. hat viel auf den Weg gebracht. Die Dichter sollen nun die Sprache zum Glänzen bringen. Sie und die Architekten hätten dazu beigetragen, dem König den Anschein übermächtiger Größe zu verleihen. 

Die Gebildeten schauten fortan in sprachlichen Dingen auf den Hof, wohl aber waren sie nicht bereit, ihm das Monopol der Sprachpflege zu überlassen. In den Salons der gehobenen Stände festigten sich die Regeln des Miteinanders, deren Ergebnis ein galantes Verhalten gewesen sei. Dies zeigte sich in Leichtigkeit, Verspieltheit und Eleganz. Man liest weiter von Baldassare Castiglione, einem Italiener, der sich Anfang des 16. Jahrhunderts dafür interessierte, was einen gewandten Hofmann auszeichnet. Eine wichtige Komponente des Auftritts sei die Konversation gewesen und bei allem Lässigkeit und Beiläufigkeit. Es ging bei Castiglione um entspannte Nonchalance in allem Tun, egal wie schwierig und anspruchsvoll sie sein mochte. Grundlage aller Eleganz war Diskretion.

Eleganz sei nicht nur in der Gesellschaft möglich gewesen, sondern auch in der Abgeschiedenheit der Bibliothek. Dies wird bei den französischen Philosophen Michel de Montaigne deutlich, mit dem sich der Autor ebenfalls befasst. Wir Knipp bekundet, sei die lockere Ungezwungenheit seiner Essays das große formale Geschenk an die nachfolgenden Generationen gewesen. 

Es folgen Fakten auf Fakten, unmöglich sie im Rahmen dieser Rezension auch nur ansatzweise zu streifen. Man liest wie die Hofgesellschaft sich veränderte im fortgeschrittenen 17. Jahrhundert. So wurde auf Duelle allmählich verzichtet. Der Adelige sei nicht mehr als Held gefragt gewesen, sondern als verlässlicher Staatsdiener. Bei Hof geht es nun um Selbstdarstellung, Eloquenz und Selbstsicherheit. Der Luxus des Königs sei vor allem ein Instrument der Psychopolitik gewesen und der Kern des Hoflebens habe in der Kunst der Repräsentation bestanden, die über Nähe und Ferne der Macht Auskunft gab und Hierarchien ordnete. 

Eine zweckfreie Kommunikation gab es nicht, alles war Strategie, Hinterhalt, Mittel zum Zweck. Man erfährt auch Wissenswertes über die frühen Ansätze der Emanzipation der Frauen, die sich im Anfang des 17. Jahrhunderts  noch zurückhalten sollten. Von daher stellten sie ihr Wissen nicht zur Schau. Man liest wie sich dies allmählich veränderte, liest vom Verhältnis der Geschlechter in der fokussierten Zeit.

Die Galanterie, das verfeinerte Verhältnis zwischen den Geschlechtern, habe als Sache des Bürgertums gegolten. In Kreisen der gehobenen Bourgeoisie habe sich das neue Ideal des "galant homme", des galanten Mannes“ durchgesetzt. Um in galanten Kreisen als attraktiv zu gelten, benötigte man Geist, die Fähigkeit zum intelligenten-verspielten Gespräch. Es geht auch um ein ironisches Verhältnis zu sich selbst. Angesprochen wird auch der Unterschied zwischen Galanterie und Libertinage und was den "galant homme" auszeichnet. 

Gespräche sind nun eine Form des Austauschs aber auch der Selbstfindung. Der wache Verstand ist nicht mehr hinwegzudenken. Galanterie sei als Arbeit an sich selbst verstanden worden. Sie sei, so Knipp, wesentlich  für die Ästhetisierung einer inneren Haltung, "die in äußere Form gebrachte Summe persönlicher Weltzuwendung und Dankbarkeit". 

In den weiteren Kapiteln wird auch der spanische Essayist Baltasar Gracián thematisiert. Knipp charakterisiert ihn als einen Autor für alle, die wissen wollen, mit wem sie im Zweifel zu tun haben, die sich einen Eindruck von den Spielformen der Korruption verschaffen wollen, ohne ihnen selbst zu erliegen. 

Was noch? Die Entdeckung der Mode ist ein Thema. Hier  kommt  z.B. Puder zur Sprache, als Zaubermittel der Distinktion, ebenso wie der Kunst gefallen zu wecken. Es sei um die Ästhetik des Menschen gegangen, konkret um seine Anmut. 

Auch Jean-Jacques Rousseau kommt zur Sprache, der sich gegen die falsche Höflichkeit seines Jahrhunderts ausspricht. Alle Künstliche ist ihm zuwider. Die Leichtigkeit der Unterhaltung, die in den vergangenen 150 Jahren entwickelt worden war, hatte in den Augen dieses Philosophen keinen Sinn.

Ganz anders der Blickwinkel von Denis Diderot, auch ihm ist ein Kapitel gewidmet. Sah Rousseau die Gesellschaft als einziges Maskenspiel, so erkannte Diderot dieses Spiel als Bedingung der Kommunikation. Darüber mehr in besagtem Kapitel, dem die Kapitel "Die Französische Revolution und der neue Mensch" und "Die Restauration und das 19. Jahrhundert" folgen. Man denke hier an den großen Selbstdarsteller Oscar Wilde, ein Beispiel des ästhetischen Rebellen und Dandys in der Öffentlichkeit! Eleganz im Wandel der Zeiten...

Sehr spannend zu lesen und vielleicht alsdann zu begreifen, woran es heute fehlt. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: „Sollen sie doch Kuchen essen!“- Verleumdungen, Fälschungen und Verschwörungsmythen- Bernd Ingmar Gutberlet- Europaverlag



Autor dieses spannend zu lesenden Buches ist der Historiker Bernd Ingmar Gutberlit. 

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um den ersten Band einer Buchreihe, die sich mit Irrtümern und Kontroversen, Lügen und Fälschungen, Legenden und Verschwörungsmythen der Geschichte befasst. Dabei geht es in dem ersten Band mit dem Titel "Sollen sie doch Kuchen essen!" um Verleumdungen in der Geschichte, mit Fälschungen und Verschwörungsmythen. 

Untergliedert ist das Werk in drei große Abschnitte, die da sind: Verleumdungen, Fälschungen Verschwörungsmythen. Konkret werden in 21 Kapiteln unzählige Verleumdungen thematisiert, in weiteren 10 Fälschungen und in 7 schließlich Verschwörungsmythen. 

Dabei möchte der Autor, wie er schreibt, einerseits einer durch die Jahrhunderte hindurch unterhaltsamen Vielfalt des Falschen vergnüglich nachspüren und andererseits immunisieren, um der Instrumentalisierung von Geschichte nicht auf den Leim zu gehen, sondern an den richtigen Stellen skeptisch zu werden.  Dies gelingt ihm in allen Kapitel vortrefflich.

Die beschrieben Ereignisse haben sich in unterschiedlichen Jahrhunderten abgespielt, einige bereits im Altertum und zeigen, dass die Charaktere von Menschen und ihre Verhaltensmuster sich im Grunde wenig geändert haben. Die gesamte Palette der Abgründigkeit hat also die Zeiten überdauert. So werden bestimmte Namen noch immer mit bestimmten Ereignissen in Verbindung gebracht, die so einfach unwahr sind oder es werden Mythen verbreitet, die, weil es eben Mythen sind, nur scheinbar etwas mit der Realität zu tun haben.

Man liest u.a. über die Templer, auch Jesuiten angebliche Wahrheiten, aber auch von Friedrich dem Großen und dessen Spott im Hinblick auf die "Verschwendungssucht" seitens seines Großvaters und erkennt, dass die Erzählungen um viele Ereignisse so allesamt nicht stimmten. 

Zurechtrücken ist angesagt und genau das geschieht in vorliegendem Buch, auch was die sogenannten "potemkinschen Dörfer" anbelangt. 

Besonders lesenswert fand ich das Kapitel "Das schlechtgeredete Geschlecht". Hier kommen einige namhafte Frauen aus der Geschichte zur Sprache, denen man übel mitspielte, allen voran Marie Antoinette. 

Die Verschwörungsmythen im 3. Abschnitt enden übrigens mit dem "Blutigen Herbstende" 1977 und der wahrscheinlichsten Erklärung im Hinblick auf das Ableben der Top-Terroristen in Stammheim. 

Interessante Bettlektüre. Kurze, in sich abgeschlossene Kapitel.

Doch lesen Sie selbst. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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