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Rezension: Demokratie fehlt Begegnung-Rainald Manthe-transcript-X- Texte zu Kultur und Gesellschaft



Dr. Rainald Manthe, der Autor dieses bemerkenswerten Buches, ist Soziologe. Er verfasst regelmäßig Texte zu Fragen der Demokratieentwicklung. 

Der Untertitel des Buches lautet "Über Alltagsorte des sozialen Zusammenhaltes". Deshalb auch verdeutlicht Dr. Manthe im Rahmen von 9 Kapiteln, dass moderne Demokratien nicht nur in ihren Parlamenten, Verwaltungen und Regierungen leben, sondern vor allem davon, dass Menschen sich einbringen und ihr Zusammenleben gemeinsam gestalten wollen. 

Wie der Autor schreibt, werde die Dorfkneipe unterschätzt als wichtiger Ort für eine demokratische Gesellschaft. Doch diese Begegnungsorte verschwinden immer mehr. Neues entstehe nur langsam und sei häufig weniger zugänglich. Das zunehmende Fehlen von Begegnung schade der Demokratie. Weil moderne Demokratien vielfältig seien, benötigten sie Vertrauen. Dieses sei im Rahmen digitaler Begegnung nicht herstellbar. 

Die Gesellschaft werde immer berührungsloser und insofern einsamer. Der Autor fragt, was Begegnung sei und antwortet ausführlich. Zusammenfassend, konstatiert er, dass Begegnung vor allem Interaktion unter Anwesenden sei, die einen gemeinsamen Raum teilten und einander (potenziell) wahrnehmen.

Weiter fragt Manthe danach, was Begegnungsorte sind und gibt darauf eine differenzierte Antwort, um schließlich klar zu machen, was Begegnung mit Demokratie zu tun hat. Spricht man von Begegnung, so werde häufig sogleich von gesellschaftlichem Zusammenhalt gesprochen. Ist dieser notwendig für eine Demokratie? Darüber liest man Wissenswertes im 2. Kapitel. Hier auch geht es um Vertrauen, das, sobald es abnimmt, ein Indikator dafür sein kann, dass sich etwas verändert. Sei es verloren, werde es schwierig für das Funktionieren einer Demokratie. 

Demokratien seien darauf angewiesen, dass Bürger:innen sie anerkennen und nach gemeinsamen Regeln lebten, jedenfalls meistens. Sofern Abweichungen überhand nehmen würden, werde die Gesellschaftsform dysfunktional. Dann könne man sich nicht mehr auf kollektiv verbindliche Regeln verlassen. Es regiere das Recht des Stärkeren oder Reicheren. 

Was also tun? Begegnungsorte begreift der Autor als Infrastrukturen der Demokratie. Solche Orte gilt es zu bewahren oder neu zu installieren. Viertel mit funktionierende, sozialer Infrastruktur bilden Auffangnetze, mittels denen sich Krisen meistern ließen. Manthe bringt es auf den Punkt, wenn er schreibt: "Ohne Begegnung keine Bindungen zwischen Menschen und ohne Infrastruktur keine Begegnung untereinander." 

Im Kapitel 4 erfährt man, was Parks, Bahnen und Straßen für die Demokratie leisten. Nicht grundlos ist auf dem Buchdeckel eine Zeichnung angebracht, die einen Eindruck von dem Park (Jardin du Luxembourg) vermitteln soll, wo es frei arrangierbare Stühle gibt. Es geht ums Sehen und Beobachten. Dieses zufällige gegenseitige Beobachten, das für die allermeisten Begegnungsorte kennzeichnend sei, sei ein wichtiger Grundbaustein für moderne Demokratien. 

Der Autor hebt einige Begegnungsorte hervor, so beispielsweise Bibliotheken, in denen nicht nur gelesen werde. Doch leider werden diese, ähnlich wie öffentliche Schwimmbäder stets weniger.

Interessant auch die Betrachtung des ÖPNV und hier beispielsweise die Kooperationsbereitschaft beim Ein- und Aussteigen. Kooperation ist aber auch auf Straßen notwendig. Dort gehe es primär um Mobilität. Begegnung fände häufig nur flüchtig statt. 

Wie auch immer, das zufällige Wahrnehmen anderer Menschen sei die Grundlage moderner Demokratien. Nur wenn wir konkret und vielseitig wahrnehmen, mit wem wir unser Gemeinwesen teilten, könnten wir auch sie auch als legitime andere akzeptieren. Auf diese Weise bestünde die Chance, ein Mindestmaß an Vertrauen aufzubauen. 

Weiter wird gezeigt, wie Gespräche in Cafés, Kneipen, Buchläden und der Politischen Bildung für Verständnis sorgen können. Sich mithilfe von Sprache auszutauschen, ermögliche die Bearbeitung komplexer Themen. Darüber hinaus sei Sprache die Grundlage für komplexe Gesellschaften wie unsere, weil nur sie zur Bewältigung komplexer Themen tauglich sei. Zudem sei sie die Grundlage für zahlreiche Prozesse unseres Miteianders. 

Auch über wiederkehrende Begegnungen erfährt man Wissenswertes und über Begegnungen im Rahmen von gemeinsamer Aktivität, so etwa beim "Urban Gardening" oder im Ehrenamt. Auch über die digitale Begegnung liest man und hier u.a. über soziale Medien und weshalb Medienkompetenz für unsere Demokratie notwendig ist. Filterblasen und Echokammern werden thematisiert und es wird die Frage beantwortet, ob die meisten alltäglichen Begegnungen auch digital funktionieren.

Warum eine Politik der Begegnungen zwingend notwendig ist und weshalb Demokratie Begegnung braucht,  leuchtet jedem spätetstens nach der Lektüre dieses Buches ein. 

10 Handlungsempfehlungen zum Schluss verdeutlichen, dass der Dr. Manthe Begegnungswilligen  einen sinnvollen Leitfaden an die Hand gibt,  mit dem es möglich ist, tatkräftig für den Bestand unserer Demokratie aktiv zu werden. Dies ist in unseren Zeiten bitter notwendig. 

Maximal empfehlenswert

 Helga König

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Rezension: Den Frieden gewinnen- Die Gewalt verlernen- Heribert Prantl- Heyne


Prof. Dr. jur. Heribert Prantl ist Autor und Kolumnist der Süddeutschen Zeitung. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter der Geschwister-Scholl-Preis und den Erich-Fromm-Preis.

Mit dem hier vorliegenden Buch versucht der Autor, einen Weg zu finden, wie man den Gezeiten der Gewalt ein Ende setzen kann. 

Das Werk ist nach einem mehrseitigen Vorwort in sieben Kapitel untergliedert. Dabei reflektiert Prantl den Begriff "Zeitenwende", die für ihn eine echte wäre, sofern die Gezeiten der Gewalt ein Ende hätten. Sie ist es allerdings momentan nicht, weil die derzeitige Begriffsbestimmung antiutopisch sei. 

Junge Menschen sind verunsichert. Die Hälfte von zehntausend Befragten glaubt, dass die Menschheit dem Untergang geweiht sei. Es breite sich das Gefühl aus, das Leonhard Cohen in nachstehendem Satz zusammenfasst: "There´s a crack in everything." Allerdings, so gibt Prantl zu bedenken, seien die Risse im Gehäuse der Geschichte nicht allein destabilisierend und destruktiv, nicht allein Anlass der Hoffnung aufzugeben. Die Risse im Gebäude der Geschichte seien es, wodurch Licht reinkomme. Der Riss sei die Stelle, wo Veränderungen ansetzen müssen. Hier und jetzt, genau da, wo der Riss sei. 

Menschen, die den Riss erkennen und den Mut besitzen, zu handeln, gab es zu allen Zeiten, so etwa Gustav Stresemann, Martin Luther King oder Willy Brandt. Auch die Arche Noah besaß einen Spalt durch den das Licht kam. "Spaltsuchtage" wie etwa der "Weltfriedenstag" der Katholiken, der "Antikriegstag der Deutschen" am 1. September und der "Internationale Tag des Friedens" hebt Prantl hervor. Die Welt benötige Hoffnung, damit der Hass nicht das letzte Wort habe. 

Der Autor sieht im Hass die furchtbarste Kraft, die es gibt, weil Hass entmenschliche. Er sei ein niedriger Beweggrund, der sich mit Geltungssucht selbst erhöhe. Hass sei eine Verführungskraft, die das Morden für eine tapfere Tat halte. Prantl schafft Bewusstsein für die Dynamik des Hasses und verdeutlicht, dass diese Dynamik zu stoppen, die Voraussetzung für Frieden sei.

Der Autor kritisiert zu recht den Begriff der "Kriegstüchtigkeit" von Pistorius, weil er alte Denk- und Verhaltensmuster aktiviere, er führe zu einem positiven Bild vom Krieg, breche der ständigen Aufrüstung Bahn und behaupte, dies sei tüchtig. Das Friedensgebot des Grundgesetzes weise den richtigen Weg. Es sei dies der Weg vom Recht des Stärkeren zur Stärke des Rechts. 

Prantl erinnert an Kants Schrift "Zum ewigen Frieden", auch an Bertha von Suttners Roman "Die Waffen nieder" und nicht zuletzt Erich Maria Remarques Roman "Im Westen nichts Neues". Erwähnt werden Manifeste gegen das Kriegshandwerk, unterzeichnet von Menschen wie Albert Einstein, Stefan Zweig und auch Thomas Mann. 

Zudem erinnert  Prantl an Max Weber und dessen Vortrag, in dem dieser die Begrifflichkeiten prägt, die seither in ethischen und politischen Debatten zum Tragen kommen: gemeint die Unterscheidung zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. 

Unglaublich viel weiß und schreibt Prantl zum Thema Pazifismus und weiß, dass der, der Frieden will nicht zum Krieg rüsten, sondern den Frieden suchen solle. Er solle den Frieden vorbereiten und pflegen- nicht erst im Krieg, sondern lange vorher, bevor er zu köcheln und zu kochen begänne. Das sei Pazifismus. Diesem Gedanken schließe ich mich an. 

Prantl erwähnt u.a. den Geschwister-Scholl-Preisträger Arno Grün, der sich sein ganzes Leben über für die seelischen Ursprünge von Gewalt interessiert hat. Er strebte eine Welt ohne Kriege an. Dessen Frage "Warum stellen sich Menschen gegen das, was sie miteinander verbindet, gegen das, was sie gemeinsam haben- ihr Menschsein?"sollte jeder für sich beantworten sollte, bevor er weiterliest. 

Wer ist böse und was ist das Böse? Für Prantl ist das Böse der aggressive Bruch von Recht, von Grund- und Menschenrecht. Bösartig sei es, solchen Rechtsbruch zu verherrlichen. Das sehe auch ich so. 

Prantl hält nichts von Vermonsterung, sondern macht begreifbar, dass Kriegsverbrecher erst zu solchen gemacht werden durch Propaganda. Die Kriegsverbrecher glauben für eine gerechte Sache zu handeln. Das ist das Problem. 

Aus den einzelnen Taten einzelner Menschen entstehe im Krieg eine Tötungsmaschine und die Gewalt, die sie produziere, sei weit größer als die Addition der einzelnen Taten. 

Prantl schreibt auch darüber, dass zur Globalisierung die Migration gehöre. Es geht ihm um die Begrenzung des Grenzenwahns und um die Zähmung der Gewalt, kurzum, es geht ihm um Entfeindung und um Waffenstillstand. Es geht um die Sicherheit aller. Diese werde steigen, wenn sich die Gegner die Brille des anderen aufsetzten würden, so beginne das Frieden-Lernen. 

Kann dies geschehen, wenn die Aktie des Rüstungskonzern Rheinmetall 2023 um 54,2 Prozent zulegt und damit an der Spitze der 40 größten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes steht? 

Die neuen Gedanken sollen vermutlich von Aufrüstung handeln und die neue Kriegstüchtigkeit vermutlich zum Band werden, dass Staat und Gesellschaft zusammenhalte, so Prantl, der nicht vergisst von Streumunition zu schreiben, die die Amerikaner in die Ukraine liefern und der Tatsache, dass Bundespräsident Steinmeier entgegen seiner Unterschrift des Osloer Übereinkommens gegen Cluster-Munition 5 Jahre danach seine Verpflichtung verleugnet, indem er zu diesem Tun der Amerikaner schweigt.

Prantl wünscht sich heute Diplomaten wie den "weltweisen Venezianer" Alvise Contarini, der mit mühseligen Verhandlungen des Dreißigjährigen Krieg beendete. Der Westfälische Frieden sei sein Werk. Schade, dass Frau Baerbock nicht dessen Format hat. 

Frieden durch Vernichtung- oder Frieden durch Vertrag? Fragt Prantl und nennt Karthago als Urbeispiel der Vernichtung. 

Wer sich wünsche, dass das Kriegshandwerk aussterbe, sei ein pazifistischer Mensch. Prantl schreibt, weiter, dass es gut wäre, wenn dieser Wunsch wieder eine parteipolitische Heimat hätte. Dem stimme ich zu und finde es bedauerlich, dass man das BSW noch immer diffamiert. 

Friedenserziehung sei nicht Konfliktvermeidung, sondern Unterricht darin, Konflikte zu erkennen, zu benennen, zu verhandeln und zu lösen- und die lösbaren auszuhalten. Friedenserziehung sei Bildung in der Kunst des Kompromisses. Sie sei die Schule der Neugier, die dem anderen begegnet, ohne gleich zu werten. 

Und auch das: Der Weg zum Frieden gehe nicht über die Bekämpfung von Religion, sondern man müsse das Gewalt- und auch Friedenspotential der Religion verstehen,  ersteres zähmen und letzteres realisieren. 

Der Inhalt des Buches umfasst vieles mehr, unmöglich alles in dieser Rezension zu streifen. 

Wer den Frieden gewinnen und die Gewalt verlernen möchte, sollte dieses Buch unbedingt lesen.

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Kriegspropaganda und Medienmanipulation-Christian Hardinghaus- Europaverlag



Christian Hardingshaus, der Autor dieses Buches, wurde nach seinem Studium im Bereich Propaganda und Antisemitismusforschung promoviert. Seine Publikation "Das Wolfsmädchen" habe ich vor einigen Monaten auf "Buch, Kultur und Lifestyle" bereits rezensiert und möchte es an dieser Stelle nochmals empfehlen. 

Die vorliegende Publikation "Kriegspropaganda und Medienmanipulation" ist in sechs Kapitel untergliedert als da sind: 
Propaganda erkennen Propaganda verstehen 
Propaganda entlarven 
Kriegspropaganda 
Propaganda im Ukrainekrieg 
Ukraine-Berichterstattung in deutschen Medien und Plädoyer für einen besseren Journalismus 

Dazu kommen noch: das Vorwort, das Nachwort und Danksagung, die Auflistung der Propagandamethoden, wie auch die Auflistung der Anmerkungen. 

Der Autor möchte durch sein Werk vor den alltäglichen Gefahren von Propaganda warnen, weil sie sich in Kriegen des 20. Jahrhundert als eine der tödlichsten Waffen erwiesen habe. Am einfachsten könne man Propaganda mittels der 4-M- Formel charakterisieren. Propaganda beschreibe die Manipulation der Massen durch Machthaber (oder Mächtige/nach Macht Strebende) mittels Medien. Bei diesen Medien handele es sich um Massenmedien mit Schwerpunkt Nachrichtenvermittlung. Je mehr mediale Präsenz Politiker, Parteien und politische Organisationen erhielten, desto größer werde, gewissermaßen automatisch, ihr gesellschaftliches Standing. Die Gefahr bestehe, dass man durch Propaganda vorgeschrieben bekomme, was man zu denken habe. 

Die Methode sei das Erzeugen von Negativgefühlen, primär von Angst. Wenn es um Massenmanipulation gehe, dann sind es existentielle Ängste, wie etwa vor Kriegen, Krankheiten, Naturkatastrophen oder wirtschaftlicher Not. Die Furcht vor einer propagierten Katastrophe könne so ausgeprägt sein, dass die Bürger eines Staates sogar Gesetze akzeptierten, die ihnen ihre Grundrechte nehmen oder massiv einschränkten. 

Dabei inszeniere sich der Propagandist medial stets als Heilsbringer und lasse verlauten, dass allein er oder seine verordneten Maßnahmen dazu in der Lage seien, das drohende Unheil abzuwenden. Sofern Machthabende eine Diktatur anstreben, könnten sie Propaganda durch Angsterzeugung so lange auf die Spitze treiben, dadurch immer größere Macht an sich reißen, bis das ausgetrickste Volk keine Chance mehr habe, sich zu wehren. 

Die Medien, die dem Diktator zunächst hörig waren, würden dann wie alle anderen Staatsorgane gleichgeschaltet. Von da an diene Propaganda ideologischen Zielen wie etwa die Entfesselung von Kriegen und werde als Kriegspropaganda noch radikaleren Prinzipien untergeordnet. 

Entdecke man Angstthemen in den Medien, müsse man wachsam sein und sich fragen, wer davon profitieren könne, uns diese Ängste einzujagen. 

Der Gesamtfokus des Buches läge auf Kriegspropaganda, die die gesamte Bevölkerung eines Landes und darüber hinaus zum Ziel habe, so Hardingshaus. Der Autor möchte präzise Entschlüsselungstaktiken vorstellen und verweist auf weiterführende Literatur für alle, die sich noch tiefer mit dem Thema befassen wollen. 

In Kapitel 2 erfährt man u.a., welchen Begriffswandel Propaganda im Laufe der Zeit durchgemacht hat und wie man ihn heute definiert. Im darauffolgenden Kapitel lernt man dann Strategien kennen, mittels denen man Propaganda entlarven kann. Hier wird man mit sieben Grundformen von Propaganda vertraut gemacht, indem diese gut verständlich erläutert werden. Alsdann werden 60 Propagandatechniken der Täuschung vorgestellt. Dazu zählt auch "Gaslighting", von der man in jüngste Zeit immer wieder liest. Das ist eine Form der Gehirnwäsche über einen längeren Zeitraum, die darauf abziele, dass das Opfer in seiner Wahrnehmung und seinem Realitätssinn zweifele, indem man ihm einrede, es sei psychisch krank oder rede sich nur Dinge ein. "Gaslighting", eine beliebte Technik von Narzissten, könne auch von Regierigspolitikern und Medien ausgehen, die bestimmte im Buch genannten Ziele verfolgen und dazu spezielle Taktiken verwenden, die der Autor auch nicht verschweigt. 

Auf die vielen im Buch beschriebenen Techniken im Rahmen der Rezension einzugehen, führt allerdings zu weit. Es lohnt, sie sich immer mal wieder vor Augen zu führen. Alle genannten Techniken finden auch in der in Kapitel 4 behandelten Kriegspropaganda Anwendung. 

Hier werden diverse Methoden und Prinzipen erörtert und diese am 1. und 2. Weltkrieg, zudem am Vietnamkrieg, den Zweiten Golfkrieg (1990-91), den Kosovokrieg, dem Irakkrieg, sowie den Kriegen in Afghanistan und Syrien aufgezeigt. Spannend zu lesen, sind die jeweiligen Kriegsanlasslügen. Sehr aufschlussreich.

In Kapitel 5 schließlich, kann man sich mit der Propaganda im Ukrainekrieg befassen und sich bewusst machen, wie die einzelnen Akteure agieren. Zum Schluss dann erfährt man Wissenswertes zur Ukraine-Berichterstattung in den deutschen Medien, die Hardinghaus als dilettantisch bezeichnet. Dies begründet er ausführlich und schreibt ein beeindruckendes Plädoyer für einen besseren Journalismus, das sich alle Journalisten zu Herzen nehmen sollten.

Das Buch enthält eine Fülle von Fakten und ist ungemein bewusstseinsfördernd, nicht nur für Journalisten. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Unser Schwert ist die Liebe- Die feministische Revolte im Iran- Gilda Sahebi- S.Fischer



Gilda Sahebi, die Autorin dieses bedrückenden Buches ist ausgebildete Ärztin und studierte Politologin. Sie ist tätig als freie Journalistin mit den Schwerpunkten Antisemitismus und Rassismus, Frauenrechte, Naher Osten sowie Wissenschaft, zählt zu den wichtigen Stimmen über den Iran und wurde 2022 seitens des "Focus" zu den "100 Frauen des Jahres" ernannt. 

Sie schreibt im vorliegenden Buch von den Protesten im Iran seit im September 2022 Nika Shakarami im Alter von nur 17 Jahren in Teheran von den dortigen Schergen der Machthaber ermordet wurde,  genau wie nur wenige Tage zuvor die 22 jährige Kurdin Jina Masha Amini. 

Man erfährt, dass die "Sittenpolizei", die aus Frauen und Männern besteht, im Land umherfährt und Menschen, primär Frauen, einfängt, inhaftiert und misshandelt, die gegen die vermeintlichen Sitten des Iran verstoßen. Oft ist es nur das Kopftuch, das Stein des Anstoßes ist. 

Nach der Beerdigung von Jina Masha Amini allerdings beginnen die Proteste. Unzählige Frauen ziehen ihre Kopftücher ab und schwenken sie in der Luft und Nika Shakarami, die andere ermordete Frau wird zum Symbol der Bewegung junger Menschen, die gegen das iranische Regime aufstehen. 

Bis Mitte Oktober, so Sahebi, hatte das Regime bereits 23 sehr junge Menschen, im Grunde noch Kinder, ermordet, wobei Amnesty von einer höheren Zahl unbestätigter Fälle ausgeht. Die Proteste nahmen weiter zu. Immer mehr Frauen legen ihren "Hijab" ab, wissend, was sie damit riskieren. 

Wie die Autorin schreibt, können im Iran Verstöße gegen die Zwangsverschleierung mit Haft, Peitschenhieben und Misshandlung bestraft werden oder sogar mit dem Tode wie bei Jina Masha Amini. 

Eine solche Protestbewegung, wie sie seitdem stattfindet, habe es im Iran noch nie gegeben, denn jetzt begriffen sich die verschiedenen Ethnien des Landes dabei als Einheit. Die Proteste begannen in Kurdistan. Dort und in Sistan Belutschtan, Gebieten von Minderheiten, zeigten die Menschen besonders viel Mut und Widerstand. Dort aber auch schlage das Regime besonders intensiv zu. 

Seite für Seite liest man mehr über den Fortgang der Protestbewegung. Erwähnt wird die Kampagne politischer Patenschaften. Aufmerksamkeit sei das Einzige, das Leben retten könne. 

Dennoch, Menschen würden weiterhin getötet bei Protesten, in den Folterkellern und noch etwas: Sippenhaft werde routiniert eingesetzt. 

Die Autorin lässt in ihrem Buch eine Anzahl von Menschen zu Wort kommen, berichtet auch von eigenen Erlebnissen. Mitunter war ich als Leserin geradezu überfordert von dem vielen Unrecht und Leid, das sie benennt und konnte erst nach Tagen weiterlesen. 

Sie erinnert an die Massaker in den Jahren nach 1988, schreibt von den Tausenden von Morden in den Gefängnissen damals und vergleicht die Gewaltexzesse mit jenen seit September 2022. 

Sehr lesenswert ist das umfangreiche Interview mit Nasrin Sotoudeh, mehrfach im Iran inhaftiert, obschon sie mit dem "Menschenrechtspreis" als auch dem "Alternativen Nobelpreis" ausgezeichnet und von dem "Times Magazin" zu den "100 einflussreichsten Personen 2021" ernannt wurde. Ihr größter Wunsch ist es, "dass die iranische Gesellschaft den Segen der Gleichberechtigung genießen könnte, um ein normales Leben in Ruhe und Frieden zu führen." Dies begründet sie dann auch näher. 

Wie die Autorin zutreffend schreibt: "Die Freiheit eines Landes misst sich an der Freiheit und Gleichberechtigung aller Geschlechter." Leider wird dies weder von den Machthabern im Iran, noch in anderen Ländern, in denen Diktatoren herrschen, begriffen. Aufklärung, Widerstand und Solidarität sind deshalb auch im Jahre 2023 notwendig, vielleicht mehr denn je. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Macht und Ohnmacht einer Mutter- Kaiserin Maria Theresia und ihr Kinder- Elisabeth Badinter-Zsolnay



Elisabeth Badinter, die Autorin dieses Buches, war Professorin für Philosophie an der Elitehochschule École Polytechnique in Paris und hat einige bemerkenswerte Bücher verfasst, nicht zuletzt das Buch "Mutterliebe", das als ein Klassiker der feministischen Literatur gilt. 

Im vorliegenden Werk geht es um Kaiserin Maria Theresia im Hinblick auf ihre 16 Kinder. Sie wurde, ungewöhnlich für ihre Zeit, einmütig als "zärtliche Mutter" bezeichnet und soll als Mutter die Moderne vorweggenommen haben, weil sie sich für alle Belange der Kinder verantwortlich und wegen all ihrer Probleme schuldig fühlte. Dabei offenbarte sie sich allerdings, so die Autorin, nicht als Vorzeigemutter, wohl aber als "echte" Mutter. 

Die Historikerin fragt zunächst, welche Art von Mutter Maria Theresia war und erwähnt, dass es schwierig sei, die Realität und Intensität der Mutterliebe zu bemessen, speziell in einer Zeit, in der Frauen viele Kinder zur Welt brachten und nicht wenige früh verstarben. Zu ihrem Getreuen Rosenberg soll sie gesagt haben "Ich liebe meine Kinder sehr, spüre es aber nur, wenn ich eines von ihnen verlieren muss."

Man lernt die Kaiserin als Erzieherin kennen. Sie soll feste Vorstellungen im Hinblick auf die Erwartungen an ihre Kinder gehabt haben. Allesamt sollten der Habsburger Dynastie nützlich sein. Der grundlegende Auftrag bestand darin, dass die Mädchen durch entsprechende Heiraten Bündnisse mit ausländischen Königshäusern stärken und die Jungen die Habsburger in verschiedenen Königreichen und Fürstentümern des Kaiserreichs repräsentieren sollten. 

Anhand einer Schautafel wird der jeweilige Status Maria Theresias zum Zeitpunkt der Geburt der einzelnen Kinder dokumentiert. Dann werden Etappen der Kindheit, die Erzieher und Erzieherinnen, deren Stellenbesetzung und Aufgaben auch das enge Verhältnis Maria Theresias zu den Ayas sehr gut besprochen, die sich übrigens stets sehr anerkennend ihnen gegenüber zeigte.

Man erfährt Näheres zu mütterlichen Anweisungen, die sich auch auf die konkrete Bildung bezogen. Sehr jung mussten die Töchter und Söhne Französisch und Latein lernen und hier auch  in den schriftlichen Fertigkeiten brillieren. Von den Söhnen forderte sie allerdings diesbezüglich mehr ab als von den Mädchen. Die Töchter sollten in erster Linie gefallen und nicht die gelehrten Damen spielen. Maria Theresia setzte sich also nicht über den Zeitgeist hinweg.

In der Folge lernt man die einzelnen Kinder näher kennen und das jeweilige Verhältnis, dass Maria Theresia zu ihnen hatte. Sie hatte eindeutig Vorlieben. Gab drei der Kinder das, was sie anderen verweigerte. So soll sie den Grundstein für Eifersucht zwischen den Geschwistern, selbst unter den Favoriten gelegt haben. Eine geeinte Familie hat sich offenbar nicht hinterlassen. Dazu war sie nicht gerecht genug. 

Die Autorin sieht ihr dies nach, wissend, dass Vollkommenheit in dieser Welt wohl nirgendwo zu finden ist, auch nicht bei Müttern im Hier und Heute. 

Lernen kann man m.E. schon von dieser Mutter aus abgelebten Zeiten, nämlich Vorlieben (Lieblingskindern) nicht nachzugeben, sondern stattdessen die Einigkeit der Kinder über den eigenen Tod hinaus als oberste Priorität des Erziehungsziels im Auge zu haben. 

Empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Die Erfindung der Eleganz- Kersten Knipp- Reclam



Der Autor dieses informationsreichen Buches, das den Untertitel "Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens" trägt, ist der freie Journalist und Publizist Kersten Knipp. 

Sein Werk enthält nach einer umfangreichen Einleitung 15 Kapitel und ein Schlusswort. Darüber hinaus viele interessante Literaturhinweise und ein Register im Anhang.

Worum es geht? Um eine bestimmte Form von Gewandtheit, gepaart mit Höflichkeit im Zusammenleben, die sich im Laufe der Zeiten wandelte. Der elegante Auftritt umfasst eine ganze Reihe von Dingen, keineswegs nur die Kleidung, sondern beispielsweise auch die Sprache. So liest man zunächst Wissenswertes über den Salon der Madame de Rambouillet. 

Salons, so erfährt man, waren im frühen 17. Jahrhundert entstanden. Geleitet wurden sie nahezu immer von Frauen, die "unter der Hand" Impulse freisetzten, die die französische Gesellschaft und Kultur ins Tiefste geprägt haben sollen. Im Salon sollte eine Auszeit von der Politik genommen werden. Hier ging es um Tanz, Theater, Konzert, Lesung und Spaziergang, in erster Linie aber um Konversation, Unterhaltung und die Lust am zwanglosen Gespräch, erfährt man. Bei Madame de Rambouillet wurde ein unterhaltender, spielerischer Stil gepflegt. Wie der aussah, beschreibt der Autor detailliert. Man lernt den stilbildenden Künstler Vincent Voiture (1598-1648) in diesem Zusammenhang kennen und wie er sich im Salon einbrachte. 

In der Folge  geht es um  Rhetorik und Politik im Absolutismus.  Man liest von historischen Begebenheiten in jener Zeit, den Religionskriegen und dem Edikt von Nantes 1598. In jenen Tagen war eine Sprache erforderlich geworden, die die Spannungen der Zeit auszugleichen vermochte, eine Sprache, die auf Versöhnung und Verständigung setzte. Jetzt musste der König ein Meister der Sprache werden, um seinen Herausforderern zumindest rhetorisch gewachsen zu sein. Aus Sicht seiner Berater sei es wichtig gewesen, dass der König auch die sprachliche Macht repräsentiere, weil er so auch kulturelle Macht erlangen könne. 

Man erfährt als Folge Wissenswertes zur Gründung der "Académie francaise". Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden in Frankreich viele Dialekte gesprochen. Das hochsprachliche Französisch habe sich nur mühsam gegen die Dialekte behaupten können. Kardinal Richelieu sei es gewesen, der sich dafür stark machte, dass der Hof Impulse setzte, die sich mithilfe der Gebildeten im Reich verbreiten sollten, um so bei allen Schichten der Bevölkerung anzukommen. Eine Gruppe von Schriftstellern und Gelehrten um den Königlichen Rat Valentin Conrat (1603-1675) habe 1629 darüber diskutiert wie man eine Standartsprache schaffen könne. So entwickelte sich die "Académie francaise" deren Ziel es war, die Sprache reicher, feiner, subtiler werden zu lassen. Knipp fasst zusammen, dass die Akademie eine Institution der allmählich sich artikulierenden Aufklärung sei. Man wird mit erhellenden Zeilen des Gründungstextes konfrontiert und damit auch mit dem verächtlichen Blick der Akademiemitglieder auf das Volk, das die Sprache verderbe. Nicht Paris, begriffen als die Stadt des Bürgertums, sei das sprachkreative Zentrum des Reichs gewesen, sondern Hof. Von dort gingen die Impulse des Königs aus. Ludwig XIV. hat viel auf den Weg gebracht. Die Dichter sollen nun die Sprache zum Glänzen bringen. Sie und die Architekten hätten dazu beigetragen, dem König den Anschein übermächtiger Größe zu verleihen. 

Die Gebildeten schauten fortan in sprachlichen Dingen auf den Hof, wohl aber waren sie nicht bereit, ihm das Monopol der Sprachpflege zu überlassen. In den Salons der gehobenen Stände festigten sich die Regeln des Miteinanders, deren Ergebnis ein galantes Verhalten gewesen sei. Dies zeigte sich in Leichtigkeit, Verspieltheit und Eleganz. Man liest weiter von Baldassare Castiglione, einem Italiener, der sich Anfang des 16. Jahrhunderts dafür interessierte, was einen gewandten Hofmann auszeichnet. Eine wichtige Komponente des Auftritts sei die Konversation gewesen und bei allem Lässigkeit und Beiläufigkeit. Es ging bei Castiglione um entspannte Nonchalance in allem Tun, egal wie schwierig und anspruchsvoll sie sein mochte. Grundlage aller Eleganz war Diskretion.

Eleganz sei nicht nur in der Gesellschaft möglich gewesen, sondern auch in der Abgeschiedenheit der Bibliothek. Dies wird bei den französischen Philosophen Michel de Montaigne deutlich, mit dem sich der Autor ebenfalls befasst. Wir Knipp bekundet, sei die lockere Ungezwungenheit seiner Essays das große formale Geschenk an die nachfolgenden Generationen gewesen. 

Es folgen Fakten auf Fakten, unmöglich sie im Rahmen dieser Rezension auch nur ansatzweise zu streifen. Man liest wie die Hofgesellschaft sich veränderte im fortgeschrittenen 17. Jahrhundert. So wurde auf Duelle allmählich verzichtet. Der Adelige sei nicht mehr als Held gefragt gewesen, sondern als verlässlicher Staatsdiener. Bei Hof geht es nun um Selbstdarstellung, Eloquenz und Selbstsicherheit. Der Luxus des Königs sei vor allem ein Instrument der Psychopolitik gewesen und der Kern des Hoflebens habe in der Kunst der Repräsentation bestanden, die über Nähe und Ferne der Macht Auskunft gab und Hierarchien ordnete. 

Eine zweckfreie Kommunikation gab es nicht, alles war Strategie, Hinterhalt, Mittel zum Zweck. Man erfährt auch Wissenswertes über die frühen Ansätze der Emanzipation der Frauen, die sich im Anfang des 17. Jahrhunderts  noch zurückhalten sollten. Von daher stellten sie ihr Wissen nicht zur Schau. Man liest wie sich dies allmählich veränderte, liest vom Verhältnis der Geschlechter in der fokussierten Zeit.

Die Galanterie, das verfeinerte Verhältnis zwischen den Geschlechtern, habe als Sache des Bürgertums gegolten. In Kreisen der gehobenen Bourgeoisie habe sich das neue Ideal des "galant homme", des galanten Mannes“ durchgesetzt. Um in galanten Kreisen als attraktiv zu gelten, benötigte man Geist, die Fähigkeit zum intelligenten-verspielten Gespräch. Es geht auch um ein ironisches Verhältnis zu sich selbst. Angesprochen wird auch der Unterschied zwischen Galanterie und Libertinage und was den "galant homme" auszeichnet. 

Gespräche sind nun eine Form des Austauschs aber auch der Selbstfindung. Der wache Verstand ist nicht mehr hinwegzudenken. Galanterie sei als Arbeit an sich selbst verstanden worden. Sie sei, so Knipp, wesentlich  für die Ästhetisierung einer inneren Haltung, "die in äußere Form gebrachte Summe persönlicher Weltzuwendung und Dankbarkeit". 

In den weiteren Kapiteln wird auch der spanische Essayist Baltasar Gracián thematisiert. Knipp charakterisiert ihn als einen Autor für alle, die wissen wollen, mit wem sie im Zweifel zu tun haben, die sich einen Eindruck von den Spielformen der Korruption verschaffen wollen, ohne ihnen selbst zu erliegen. 

Was noch? Die Entdeckung der Mode ist ein Thema. Hier  kommt  z.B. Puder zur Sprache, als Zaubermittel der Distinktion, ebenso wie der Kunst gefallen zu wecken. Es sei um die Ästhetik des Menschen gegangen, konkret um seine Anmut. 

Auch Jean-Jacques Rousseau kommt zur Sprache, der sich gegen die falsche Höflichkeit seines Jahrhunderts ausspricht. Alle Künstliche ist ihm zuwider. Die Leichtigkeit der Unterhaltung, die in den vergangenen 150 Jahren entwickelt worden war, hatte in den Augen dieses Philosophen keinen Sinn.

Ganz anders der Blickwinkel von Denis Diderot, auch ihm ist ein Kapitel gewidmet. Sah Rousseau die Gesellschaft als einziges Maskenspiel, so erkannte Diderot dieses Spiel als Bedingung der Kommunikation. Darüber mehr in besagtem Kapitel, dem die Kapitel "Die Französische Revolution und der neue Mensch" und "Die Restauration und das 19. Jahrhundert" folgen. Man denke hier an den großen Selbstdarsteller Oscar Wilde, ein Beispiel des ästhetischen Rebellen und Dandys in der Öffentlichkeit! Eleganz im Wandel der Zeiten...

Sehr spannend zu lesen und vielleicht alsdann zu begreifen, woran es heute fehlt. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: „Sollen sie doch Kuchen essen!“- Verleumdungen, Fälschungen und Verschwörungsmythen- Bernd Ingmar Gutberlet- Europaverlag



Autor dieses spannend zu lesenden Buches ist der Historiker Bernd Ingmar Gutberlit. 

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um den ersten Band einer Buchreihe, die sich mit Irrtümern und Kontroversen, Lügen und Fälschungen, Legenden und Verschwörungsmythen der Geschichte befasst. Dabei geht es in dem ersten Band mit dem Titel "Sollen sie doch Kuchen essen!" um Verleumdungen in der Geschichte, mit Fälschungen und Verschwörungsmythen. 

Untergliedert ist das Werk in drei große Abschnitte, die da sind: Verleumdungen, Fälschungen Verschwörungsmythen. Konkret werden in 21 Kapiteln unzählige Verleumdungen thematisiert, in weiteren 10 Fälschungen und in 7 schließlich Verschwörungsmythen. 

Dabei möchte der Autor, wie er schreibt, einerseits einer durch die Jahrhunderte hindurch unterhaltsamen Vielfalt des Falschen vergnüglich nachspüren und andererseits immunisieren, um der Instrumentalisierung von Geschichte nicht auf den Leim zu gehen, sondern an den richtigen Stellen skeptisch zu werden.  Dies gelingt ihm in allen Kapitel vortrefflich.

Die beschrieben Ereignisse haben sich in unterschiedlichen Jahrhunderten abgespielt, einige bereits im Altertum und zeigen, dass die Charaktere von Menschen und ihre Verhaltensmuster sich im Grunde wenig geändert haben. Die gesamte Palette der Abgründigkeit hat also die Zeiten überdauert. So werden bestimmte Namen noch immer mit bestimmten Ereignissen in Verbindung gebracht, die so einfach unwahr sind oder es werden Mythen verbreitet, die, weil es eben Mythen sind, nur scheinbar etwas mit der Realität zu tun haben.

Man liest u.a. über die Templer, auch Jesuiten angebliche Wahrheiten, aber auch von Friedrich dem Großen und dessen Spott im Hinblick auf die "Verschwendungssucht" seitens seines Großvaters und erkennt, dass die Erzählungen um viele Ereignisse so allesamt nicht stimmten. 

Zurechtrücken ist angesagt und genau das geschieht in vorliegendem Buch, auch was die sogenannten "potemkinschen Dörfer" anbelangt. 

Besonders lesenswert fand ich das Kapitel "Das schlechtgeredete Geschlecht". Hier kommen einige namhafte Frauen aus der Geschichte zur Sprache, denen man übel mitspielte, allen voran Marie Antoinette. 

Die Verschwörungsmythen im 3. Abschnitt enden übrigens mit dem "Blutigen Herbstende" 1977 und der wahrscheinlichsten Erklärung im Hinblick auf das Ableben der Top-Terroristen in Stammheim. 

Interessante Bettlektüre. Kurze, in sich abgeschlossene Kapitel.

Doch lesen Sie selbst. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: Das Wolfsmädchen-Christian Hardinghaus- Europaverlag.



Dr. phil. Christian Hardinghaus ist beratender Historiker, Fachjournalist und Autor zahlreicher Bücher. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkrieges. 

Vor einigen Monaten rezensierte ich seinen hervorragenden Roman "Die Spionin der Charité" und habe nun mit großem Interesse sein Sachbuch "Das Wolfsmädchen" gelesen, nicht zuletzt, weil meine mütterlichen Vorfahren aus Ostpreußen stammen und zwei meiner Tanten nach Königsberg verschleppt worden sind. Jetzt sind mir die Zustände in Königsberg zu Ende des Krieges erschreckend klar geworden. Das Leid der Zivilisten dort war unermesslich.

Der Untertitel des vorliegenden Werks heißt "Flucht aus der Königsberger Hungerhölle". Im Vorwort schreibt der Autor eingangs bereits, dass über 20 000 verwahrloste deutsche Kinder infolge des Zweiten Weltkrieges ab 1946 aus dem sowjetisch besetzten, nördlichen Ostpreußen nach Litauen flüchteten, um nicht den Hungertod sterben zu müssen. Diese Kinder wurden Wolfskinder genannt. Viele überlebten die nächsten beiden Jahre nicht und von denjenigen, die ab 1948 in die DDR entkamen oder in Litauen eine neue Heimat fanden, leben heute nur noch wenige, so Hardingshaus. Eine von ihnen ist Ursula Dorn, die Protagonistin dieses packend zu lesenden Sachbuchs, in dem man nicht nur mit den sogenannten Wolfskindern (weshalb diese so genannt werden, erfährt man im Buch), sondern auch mit der Tragödie Königsbergs zu Kriegsende vertraut gemacht wird. 

So erfährt man, dass 120 000 Zivilisten dort im April 1945 eingeschlossen waren. Ihnen war die Flucht nicht mehr gelungen oder aber die Naziführung hinderte sie daran. Diese bemitleidenswerten Menschen erlebten horribele Gewaltexzesse und totale Zerstörungswut seitens der Roten Armee, denen sie, wie der Autor schreibt, schutzlos ausgeliefert waren. Diese Gewaltexzesse sind auch Gegenstand des Buches. Beklemmend darüber zu lesen.

Das zu Kriegsende 10 jährige Wolfsmädchen Ursula ist eine Königsbergerin, kommt also aus der Stadt, die einst die Hochburg des Liberalismus war. Dort lebten die Eltern Ursulas und ihre Geschwister in ärmlichen Verhältnissen. Man erfährt von den Luftangriffen Englands, durch die 200 000 Menschen obdachlos werden und 5000 Zivilisten sterben, liest von Leichenbergen, liest hauptsächlich von Ursulas Erfahrungen täglich mit den tödlichen Gefahren zu leben, rechtzeitig in Luftschutzkeller zu gelangen, liest von den vielen Vergewaltigungen seitens russischer Soldaten, die auch an Kindern begangen werden und der Unmenschlichkeit der russischen Soldateska, die durch nichts zu rechtfertigen ist.

Man liest aber auch von der Unmenschlichkeit der Nazis im Hinblick auf die Juden und Sinti und Roma im nördlichen Ostpreußen und dem grauenvollen Verbrechen, dass die Nazischergen unter Anleitung des SS-Oberscharführer Fritz Weber an der Ostsee bei Palmicken begangen hatten, wo sie am 26. Januar bei eisiger Kälte 6000 Juden, zumeist Frauen in die Ostsee trieben und liest weiter, dass Weber zuvor 3000 der Frauen in einen Bernsteinstollen einmauern wollte, sich jedoch der dortige Bergwerksdirektor weigerte und mit Palmicker Bürgern diese halbverhungerten Menschen mit Essen versorgten. Am Ende gelingt es Weber seinen Mordauftrag  doch noch auszuführen. Nur 200 von 6000 Juden überleben. Sie werden von Palmicker Bürgern aus dem Wasser gezogen und so gerettet. 

Die wenigen Juden, die in Königsberg den 2. Weltkrieg überlebt haben, wurden zum Teil nach dem Krieg von der Roten Armee nach Sibirien verschleppt. Es interessiert die Russen nicht, dass  diese Juden Verfolgte in der Nazizeit waren. 

Bei 25 Grad Kälte versuchen die obdachlosen, ausgehungerten Bürger Königsbergs zu überleben. Dass sie in diesen Zustand gerieten, geht auf das Konto des Gauleiters Erich Koch, der die Bewohner der Geburtsstadt Immanuel Kants aus ideologischen Gründen nicht evakuieren ließ. 

Man erfährt von den Todesmärschen Königsberger Bürger zu Kriegsende, die seitens der Roten Armee betrieben wurden, immer wieder von den Massenvergewaltigungen der Frauen und Kinder seitens der russischer Soldateska  und vom großen Sterben der Ostpreußen mehrheitlich an den Folgen von Hunger. 

Ursula ist eine der wenigen, die diesen Wahnsinn überlebt haben, weil sie betteln gelernt hatte, zudem extrem achtsam war und auf ihrer Nahrungssuche in Litauen hilfsbereite Menschen fand, die ihr oft Lebensmittel schenkten. Die Litauer durften sich seitens der Russen allerdings nicht erwischen lassen, wenn sie den Wolfskindern halfen, weil ihnen ansonsten Sibirien drohte. 

Es ist unmöglich, im Rahmen der Rezension auf die vielen Facetten des Buches einzugehen, so auch auf Ursulas problematische Mutterbeziehung, durch die sie in ihrem Leben zusätzlich traumatisiert wurde. Man erfährt, wie Ursula schließlich in die DDR und später nach Westdeutschland kam, liest von ihrem Werdegang und ihrer Aufklärungsarbeit, ihren Lesungen zum Thema Wolfskinder, erfährt auch wie sie den Autor dieses Buches kennenlernte und dank Christian Hardinghaus dieses zutiefst berührende Antikriegsbuch entstanden ist.

Die 87 jährige Ursula Dorn sieht, was die Ukraine anbelangt, viele Parallelen zu dem, was sich einst in ihrer Heimatstadt Königsberg zutrug.

Es geht um die Gewaltspirale und die Gewaltexzesse, die stets Bestandteil von Kriegen sind und seitens Putin in erschreckend brutaler Weise erneut auch gegen Zivilisten und deren Kinder eingesetzt werden. 

Krieg gebiert Ungeheuer.  Deshalb darf es keine Kriege mehr geben. Das sollte jedem bewusst werden. Pazifismus ist das Gebot der Stunde.

Maximal empfehlenswert.

Helga König

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Rezension: Menschenrechte-Gerhart Baum-Benevento


Der Autor dieses Buches, Gerhart Baum, ist in diesen Tagen 90 Jahre alt geworden. Der einstige Bundesinnenminister (von 1978-1982) zählt zu den profiliertesten Verteidigern des Rechtsstaates und wurde 2021 für sein Engagement für Verständigung und Versöhnung mit dem Marion-Dönhoff-Preis ausgezeichnet. 

Gerhart Baum berichtet in diesem Buch zunächst über sein Wirken für die Menschenrechte. Es sei die Mahnung "Nie wieder Diktatur", die ihn, das Kriegskind und den Halbwaisen, zur Politik gebracht habe. Sein systematischer Einsatz für Menschenrechte habe 1992 begonnen als Hans-Dietrich Genscher ihn zum Leiter der Deutschen Delegation in der Menschenrechtskommission in Genf bestimmte, schreibt er und berichtet von seinem vielfältigen politisch-institutionellen Engagement auf diesem Gebiet, das er dann gemeinsam mit seiner Frau Renate Liesmann-Baum privat fortsetzte und einer gemeinnützige Stiftung gründete, die als Schwerpunkt Menschenrechtsaktivitäten im Fokus hat. Alle zwei Jahre vergeben die beiden einen Menschenrechtspreis, der mit 10 000 € dotiert ist. 

Damit jeder weiß, worum es in diesem Buch konkret geht, hat der Leser Gelegenheit auf den letzten Seiten die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" nachzulesen. Dies die Theorie. Doch wie sieht es mit Anspruch und Wirklichkeit zur Lage der Menschenrechte heute aus? Der Autor konstatiert, dass seit 2006 die Zahl der Demokratien kontinuierlich abnimmt. Der Angriffskrieg auf die Ukraine sei ein Anschlag auf die wertegebundene Weltordnung. Die Menschenrechtsbrüche nehmen allerorten zu. Somalia und Libyen, auch Afghanistan und natürlich Syrien werden erwähnt und resümierend festgehalten, dass der Rückfall ins Archaische erschütternd sei. Dem kann man nur zustimmen.

Gerhart Baum möchte mit seinem Buch die Erfahrungen, die er in vielen Jahren in UNO-Gremien und überall in der Welt gesammelt hat, weitergeben und tut dies auch auf beeindruckende Art. Er schreibt zur Lage Russlands und wie dort jede Freiheitsregung unterdrückt wird, schreibt über Putin und dessen Machenschaften, schreibt auch über die Verhältnisse in China und fragt wieviel Freiheitswille in den Chinesen steckt. Nach seiner Ansicht wird es auf Dauer nicht funktionieren, wirtschaftlichen Erfolg bei gleichzeitigem Entzug bürgerlicher Freiheiten zu haben. 

Dass die weltweiten Krisen und die daraus resultierende Migrationsbewegungen Europa vor nie dagewesenen Herausforderungen stellt, steht für ihn außer Frage und er weiß, dass unzählige Migranten in unwürdigen Lagern auf ihre Verfahren warten und dort das Selbstbild, das Europa von sich selbst als Hort der Freiheit und Menschenwürde zeichnet, erschüttert wird.

Unterstrichen wird, dass Menschenrechte kein "westliches Projekt" sind, sondern dass sie für die gesamte Menschheit gelten. Dabei müsse man sich bewusst machen, dass es Menschenrechtsverletzungen nicht nur in Kriegszeiten gibt. Heute setzen sich Millionen von Menschen in Bewegung, um sich vor Hunger und Not zu retten, bald schon werden Menschen vor den Folgen der Klimaerwärmung fliehen. Das gibt er zu bedenken.

Das deutsche Asylrecht sei in den letzten Jahren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und das Flüchtlingsproblem in der Europäischen Union sei nicht gelöst worden. Wer das Weltflüchtlingsproblem lindern möchte, müsse für die Menschenrechte vor Ort eintreten, für die bürgerlichen wie auch für die wirtschaftlichen und sozialen und ihnen zur Durchsetzung verhelfen. Da kann man nur zustimmen.

Gerhart Baum schreibt u.a. über die historischen Wurzeln der Menschenrechte und lässt Menschenrechtsverteidiger wie Pico della Mirandola, Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam, Hugo Grotius aber auch Las Casas nicht unerwähnt. Diese Wurzeln sollte man kennen und sich der Aufgabe bewusst werden, die  noch vor uns allen steht: Das Archaische  zu überwinden.

Die Charta der Vereinten Nationen kommt zu Sprache, wonach Krieg nur noch in engen Grenzen der Selbstverteidigung erlaubt ist. Weiterhin schreibt der Autor über die Entwicklung des internationalen Rechts seit 1948 und über die Menschenrechtsinstitutionen Europas. Nicht unerwähnt bleiben die Menschenrechtsverletzungen vor Gericht. Die Nürnberger Prozesse kommen zur Sprache und auch das Handeln des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. 

Menschenrechtsverteidiger benötigten Unterstützung. Das gelte auch für Whistleblower. Gerhart Baum schreibt in diesem Zusammenhang, dass sich auch bei uns der Staat gerne allzu oft hinter angeblichen Staatsgeheimnissen verstecke und auf diese Weise die Informationsfreiheit beschränke. 

Hörigkeit und Angst müssen überwunden werden, das fordert die Verantwortung unserer Demokratie gegenüber von uns allen, damit  Menschenrechte nicht  allerorten zur Disposition gestellt werden.

Maximal empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Die vierte Gewalt-Richard David Precht- Harald Welzer- S. Fischer


Der Sozialpsychologe und Publizist Harald Welzer hat gemeinsam mit dem Philosophen und Publizist Richard David Precht das vorliegende Buch geschrieben, das sich damit befasst, dass seit einiger Zeit die Leitmedien sich immer mehr inhaltlich angleichen, doch nicht wie man annehmen könnte staatlich gelenkt sind, sondern, dass sich der Konformismus deshalb ausbreite, weil sie sich an, dem, was gerade gehypt wird, an den Direktmedien orientieren. Dafür gibt es natürlich Gründe, die die Autoren nicht verschweigen.

Eine der Hauptthesen im Buch ist, dass die Grenze zwischen politischen Journalismus und politischem Aktivismus in den Leitmedien immer fließender werden. Dass dies nicht unproblematisch ist, dürfte klar sein.

Der öffentliche Raum als Ort unausgesetzter Sensationierung und Skandalisierung lasse wenig Platz für Glaubwürdigkeit, Sachverstand, Bürgernähe und Tatkraft, den Eigenschaften also, die Bürger an Politikern laut einer Statistik am meisten schätzen. Der wachsende Einfluss der Medien verändere nicht nur ihre Macht, sondern zugleich auch die Politik. 

Die Autoren lassen nicht unerwähnt, dass geradezu geschlossen einseitige Positionierung der Kommentare, Leitartikel und Kolumnen meinungsführender Publizisten in den deutschen Leitmedien, die Lieferung schwerer Waffen an die von Russland überfallene Ukraine nicht bloß gutheißen, sondern vom Bundeskanzler nachdrücklich fordern, sei ein demokratisch höchst bedenkliches Phänomen. Dies wird in der Folge im Buch begreifbar gemacht. 

Der hohe Anspruch an die freiheitliche Demokratie gehe historisch wie systematisch mit einem hohen Anspruch an die Qualität ihrer Öffentlichkeit einher. Doch genau diese Qualität sei heute in Frage gestellt. 

Was Gruppendenken (group think) bewirkt, wird näher erläutert, weil sich dieses derzeit bei den Publizisten verstärkt ausmachen lässt. Bei einer konzentrierten Übernahme eines Regierungs-Narrativs durch sämtliche Leitmedien seien sie nicht mehr in der Lage, die Position eines Dritten gegenüber den Angegriffenen und den Angreifern einzunehmen, d.h. die Position, die am besten dazu geeignet sei, objektiv über das Geschehen und die Deutungsmöglichkeiten zu berichten. Auf diese Weise werde die Informationsfunktion und Integrationsfunktion der Leitmedien eingeschränkt und sie irgendwann  vermutlich sogar ad absurdum geführt. 

Die Autoren heben hervor, dass sich ein Journalist mit keiner Sache gemein machen dürfe, auch nicht mit einer guten.  Das wird leider immer mehr vergessen.

Man liest  weiter Wissenswertes zur Geschichte der Öffentlichkeit und wird mit der Frage des Systemvertrauens konfrontiert. Mit sinkendem Vertrauen in die Problemlösungskompetenz der Regierenden sinke zugleich das Systemvertrauen und mit ihm die Zustimmung zur bestehenden Staatlichkeit. 

Man erfährt, was bei der Kriegsberichterstattung derzeit unterrepräsentiert sei, u.a. die Natur und Dynamik des Krieges, d.h. die eigene Logik und Psychologik, einschließlich Verrohung, Brutalisierung, Anomie und "irrer" Kriegshandlung. Es wird zudem erörtert, was Leitmedien nicht thematisieren und warum politischer Journalismus zwischenzeitlich Journalismus über Politiker und weniger über Politik zu sein scheint. Die Autoren nennen dies "Gala"-Publizistik. 

Man liest zudem vom Stellenwert von Twitter für politische Journalisten und weiter, Twitter sei das neue Machtmittel des politischen Journalismus. Wo politischer Journalismus mit Journalismus über Politiker verwechselt werde, entleere sich das Politische im Sinn des Aushandelns der Zukunft des Gemeinwesens. Die Rede ist auch vom sogenannten "Cursor-Journalismus". Was das ist wird gut erklärt und es wird betont, dass die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg sich hierzu als Anschauungsobjekt eigne. Gezeigt wird wie dieser "Cursor-Journalismus"  seine Breitenwirkung entfaltet und es wird auch offengelegt, wie es dazu kam, dass die Leitmedien sich so veränderten. Algorithmen sind in dieser Beziehung ein Thema, in der Folge das liebe Geld. 

Um nicht unterzugehen, hätten die etablierten Medien und ihre Onlineableger das Reiten von Aufmerksamkeitskurven und Empörungswellen gelernt. Reichweitenfetischismus, Hochgeschwindigkeitsjournalismus, Verlust an Sorgfalt, voneinander und von Twitter abschreiben seien die Folgen, die man heute nicht bloß online, sondern nicht selten auch in den sogenannten Qualitätsmedien besichtigen könne. 

Was noch? Thematisiert wird zudem wie die Leitmedien durch die Direktmedien an Qualität verlören. Verzerrungen und Verunglimpfungen seien keine Seltenheit mehr. Sogar einer der besten Denker unseres Landes, Alexander Kluge, wurde leitmedial niedergemacht, weil er in einem Interview gesagt habe, dass die Kapitulation der Ukraine eine zivilisatorische Möglichkeit sei. 

Es stimmt, wenn die Autoren feststellen: "Man kann gar nicht genug darauf hinweisen, dass der Zwang zum Bekenntnis bestimmter Meinungen ein Element des Totalitarismus ist." Deshalb sollten Journalisten, - nicht nur der Leitmedien-, darauf achten, wie sie auf Mindermeinungen reagieren. 

Zum Schluss stellen Precht/Welzer Überlegungen an,  welche Richtung der neue Kurs der Leitmedien gehen könnte und weshalb ein lösungsorientierter, neben dem aufklärerischen und informationellen Journalismus wichtig ist.

Das Buch enthält eine Fülle von Sachinformationen und analytischen Überlegungen, ist sehr kritisch und wird gewiss bei all jenen auf Widerstand stoßen, die in ihrer Eitelkeit sich angegriffen fühlen.

Dennoch: Recht haben die beiden. 

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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Rezension: Cancel Culture- Demokratie in Gefahr- Kolja Zydatiss

 



Der Autor dieses aufschlussreichen Buches befasst sich in seinem Werk mit der Unkultur des gezielten Stummschaltens rechtlich von der Meinungsfreiheit gedeckter Meinungen, der sogenannten "Cancel Culture". Dabei wird anhand von ausgewählten Beispielen aus unterschiedlichen Lebensbereichen, die Intoleranz und Brutalität der "Cancel Culture" dokumentiert, die, so Zydatiss, in selbstermächtigter Weise Menschen sozial ausstoße, materiell entrechte und sie nicht selten sogar vernichte.
 
Dem Autor geht im Buch vor allem darum, zu hinterfragen, wer diese Antidemokraten sind. Dabei teilt er sein Werk in drei Teile ein: 

Teil 1 behandelt dabei die neue Kultur des Ausgrenzens und Stummschaltens; Teil 2, die Treiber der "Cancel Culture". Teil 3 verdeutlicht, weshalb durch die "Cancel Culture" die Demokratie in Gefahr ist. 

Wie in Teil 1 an konkreten Beispielen verdeutlicht wird, sind es u.a. Wissenschaftler, Sportler, Journalisten, Politiker, Autoren, Künstler, Unternehmer und Geistliche, die mundtot gemacht werden. Konsequenzen seien u.a. klärende Gespräche, die Betroffene unter Druck setzen sollen, Ausladungen und Absagen von Veranstaltungen, Ausgrenzung im beruflichen Umfeld, Kampagnen in den sozialen Medien, Jobverlust, Beschädigung des Privateigentums als auch im Extremfall körperliche Angriffe.

Als heikle Themen nennt Zydatiss u.a. Rechtspopulismus, (Trans-)-Gender, Islam, Rassismus, Migration, Klimawandel und Corona. Zum Fallstrick könnten alberne Witze, auch unüberlegte Likes in den sozialen Medien werden, zudem private Kontakte zu unliebsamen Personen, (selbst sachlich) vorgetragene Kritik an der Regierungspolitik, auch völlig unbegründete Beschuldigungen sexuellen Fehlverhaltens. 

Der Autor spricht von einem Meinungsklimawandel. Die eventuell maßgeblichsten Aspekte des heutigen gesellschaftlichen Klimas seien die Tatsache, dass immer mehr Menschen fürchten müssen, mundtot gemacht zu werden. Damit einhergehend verarme das Meinungs- und kulturelle Angebot zunehmend. Zydatiss hält fest, dass wir in der "Cancel-Culture" leben und diesen Begriff durchaus als Epochenbezeichnung verwenden können. 

Zudem erlebten wir gerade einen Sieg der Gesinnung über rationale Urteilsfähigkeit. Dabei legten lautstarke Minderheiten fest, was gesagt und überhaupt zum Thema werden darf. Ziel der "Cancel-Culture" sei nicht der Diskurs, also das Aufeinandertreffen verschiedener Meinungen, sondern die Verengung des Meinungsraums. Zensorische Aktivisten wollten anderen Menschen vorschreiben, welche Werke und Veranstaltungen sie konsumieren dürfen und welche nicht. Es sei das Klima der Angst, die Personen dazu veranlassen solle, Selbstzensur zu üben. Es werde gelöscht, gesperrt und angezeigt. 

Im 2. Teil liest man dann von den Treibern der "Cancel Culture" und liest in diesem Zusammenhang, dass die künftige Bildungselite von einer tiefen Illiberalität geprägt sei wie empirische Studien zeigten. Auch wird dargelegt, weshalb die Bürger immer unzufriedener werden. Hier auch wird erwähnt, dass immer mehr Tabus und Denkverbote verbreitet werden und die vorherrschende "progressive" Ideologie (tendenziell die Interessen und Prioritäten der Gebildeten und Wohlhabenderen) widerspiegele, nicht jedoch der breiten Masse. 

Im dritten Teil dann geht es darum, den Mund aufzumachen und sich der "Cancel-Culture" entgegenzustellen. Für Zydatiss sagt die Einstellung gegenüber der "Cancel-Culture" viel darüber aus, wie man zur Demokratie grundsätzlich steht. Das freie Wort sei ein starkes Werkzeug, um das Handeln der Mächtigen zu kontrollieren und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Die Meinungsfreiheit sei inhärent emanzipativ. Ohne Meinungsfreiheit stirbt das Leben, so Zydatiss. Künstlern müsse erlaubt sein, zu provozieren, Gefühle zu verletzen, alles in Frage zu stellen und zu verspotten. Es seien die Meinungen, die in Auseinandersetzungen der eigenen komplett entgegenstehen, die zum Klärungsprozess beitragen, sei es uns zu einer neuen Sichtweise bringen oder uns zur Schärfung unserer Argumente verhelfen. 

Aus eigenen Erfahrungen im Internet, kann ich Kolja Zydatiss nur zustimmen. Er ist kein Schwarzmaler, übertreibt nicht. Die Intoleranz gegenüber freier Rede ist enorm und so macht sich bei vielen Angst breit, überhaupt noch ein Wort zu sagen, um nicht den Terror zu erleben, der dann droht, wenn man Intoleranten ungewollt oder beabsichtigt auf die Füße tritt. Wir gehen katastrophalen Zeiten entgegen, wenn der "Cancel Culture" nicht der Garaus gemacht wird. Die Beispiele des Autors zeigen, dass es jeden treffen kann. 

Maximal empfehlenswert 

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 Helga König
 

Rezension: Strengt Euch an!-Wolf Lotter-ecowin



Der Autor dieses Buches, Wolf Lotter, ist Mitbegründer des Magazins "brand eins". Dort schreibt er die Leitessays. Zudem ist er Keynote-Speaker und Berater zum Thema "Transformation von der Industrie- zur Wissensgesellschaft". Genau darum geht es auch in dem vorliegenden Buch. 

Die Transformation verlange von uns die Neuorientierung "in nahezu allem, was bisher "normal" schien und gewohnt". In der Wissensgesellschaft seien Denken und Kreativität die wichtigsten Ressourcen für Wohlstand und Fortschritt, während in der Industriegesellschaft, die offenbar bald der Vergangenheit angehört, Normen und Routine das Wichtigste seien. 

Die Wissensgesellschaft erfordere mehr als nur Fleiß. Sie mache Anstrengung erforderlich. Zukünftig werde es darum gehen, Leistung als positive Vorstellung zu betrachten und Anstrengung und Bemühung als unerlässlichen Preis, den alle zahlen müssen, die etwas erreichen wollen. 

Forderungen nach weniger, nach mehr Übersicht, mehr Regeln seien reaktionär, wenn sie nicht die eigene Leistung forderten und Lösungen erarbeiteten. Der Autor zitiert in diesem Zusammenhang den Philosophen Ernst Bloch, der in seinem Werk "Prinzip Hoffnung" schreibt, "Man muss in das Gelingen verliebt sein". 

Gelingen setzt aber Anstrengung voraus. Diese verlange von uns Aufrichtigkeit, Selbstkritik, Selbsterkenntnis und große Bemühung, uns selbst ernst zu nehmen und aus unserem Leben etwas zu machen. 

Der Autor reflektiert den Begriff Leistung und konstatiert, dass sich diese nicht an Rekorden und Tiefen messe, sondern an Einstellung, einer Haltung, dem Bemühen sein Bestes zu geben. Leistung benötige durchaus Disziplin, Geduld und Ausdauer, aber keine sinnlose Disziplin, keinen Starrrinn und keinen blinden Eifer. 

Das industrielle Management sehe Menschen als Teil einer Maschine. Es gehe insofern dabei um Einordnung. Humanistisches Denken sei damit nicht vereinbar, weil dieser dem Menschen eigene Entscheidungen zutraue, ihn also nicht als "nützlichen Idioten" behandelte. Humanismus- und dies hebt Wolf Lotter besonders hervor- fordere das Bemühen, sein Bestes zu geben, aus dem Menschen selbst heraus, nicht als Ergebnis von Leid, Verzicht und Plage. 

Die Höchstleister der ersten und zweiten Welle der industriellen Revolution (gemeint bis zum Ende des 19. Jahrhunderts) seien eigensinnige, auf den Erhalt und Bestand ihres Lebenswerks bedachte Unternehmer gewesen. Es waren keine Manager. Letztere seien erst ins Spiel gekommen als die Industrieunternehmen aus eigener Kraft nicht mehr weiterkonnten. Durch sie bildete sich dann der Finanzkapitalismus. 

Wie Wolf Lotter festhält, üben Manager und Bürokraten die gleiche Tätigkeit aus: Sie verwalten Bestand. Wohl einerseits beschworen, werden andererseits von ihnen die Werkzeuge der Innovation bekämpft. Die Rede ist von: einem Bemühen um mehr Wissen, selbstständiges Denken und Ausbrechen aus der Routine. 

Durch Anstrengung werde der Wettbewerb zu dem, was er sein sollte: keine brutale Konkurrenz um Leben und Tod, sondern ein faires Streben nach besseren Lösungen. Überall, wo sich Monopole bildeten und Korruption einkehre, müsse entschieden dagegen vorgegangen werden, denn sobald man Monokulturen zulasse, werde nicht nur der preisliche Wettbewerb zerstört, sondern auch die Gründe dafür, sich anzustrengen, sein Bestes zu geben. Dieser Meinung schließe ich mich ohne Wenn und Aber an. Er ist einfach wahr: "Wo keine Anstrengung ist, dort ist auch keine Zukunft."

Nochmals also: Worum es in der Wissensgesellschaft geht? "Anstelle des Fleißes und des blinden Eifers treten Neugier, Experiment und Wissbegierigkeit: Kurz Innovationsfähigkeit."

Es führt zu weit,  auf alle Überlegungen im Buch im Rahmen dieser Rezension einzugehen.  Es dürfte aber schon jetzt klar sein, weshalb das Buch wichtige Gedanken für das Hier und Jetzt und die Zukunft  Transformation vermittelt.

Ein Merksatz vielleicht noch zum Ende: "Wo geistige Höchstleistung, Innovationsfähigkeit und Wissensarbeit tatsächlich am Werk sind, merkt man es ohne Worte. Sie nützt nämlich anderen." 

So gesehen wird die Wissensgesellschaft eine humanistische Gesellschaft sein, in der Mensch nicht länger Mittel, sondern Ziel der Leistung aller ist. Man darf gespannt sein, wenn  die Früchte  besagter  Leistung verteilt werden, wie es dann um die Verteilungsgerechtigkeit bestellt sein wird. 

Maximal empfehlenswert.

Helga König

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Rezension: Diktator werden-Populismus, Personenkult und die Wege zur Macht-Frank Dikötter-Klett-Cotta


#Frank_Dikötter, der Autor dieses Werkes, ist Professor of Humanities an der Universität in Hongkong. Er gilt als einer der führenden Zeithistoriker und vehementesten Kritiker der Diktaturen im 21. Jahrhundert. 

Die Liste der Staatslenker, die allgemein als moderne Diktatoren betrachtet werden, umfasst, so der Autor, weit über hundert Namen. Die meisten von ihnen hätten eine Art Personenkult gepflegt und Variationen ein und desselben Themas geboten. 

Diktatoren, die sich an der Macht hielten, sollen sich häufig zweierlei Instrumente bedient haben. Genannt werden #Kult und #Terror. Nach Auffassung des Autors- und diese macht er an seinen Beispielen deutlich- ist der Personenkult der Mittelpunkt der Tyrannei. 

Um an die Macht zu gelangen und zugleich dabei ihre Rivalen los zu werden, gab es für die fokussierten Diktatoren stets viele Möglichkeiten. Dazu gehörten blutige Verfolgungen, Manipulation und Teile- und herrsche-Strategien. Langfristig allerdings, so Dikötter, habe sich der Personenkult als die effizientere Option erwiesen. Dieser Kult habe Verbündete und Gegner gleichermaßen erniedrigt, weil er sie durch eine allgemeine Erniedrigung in die Kooperation gezwungen habe. Primär allerdings habe ein Diktator Menschen zu Lügnern gemacht, weil er sie nötigte, ihm vor den Augen und Ohren anderer zu huldigen. 

Der Autor fragt, wer diesen Kult schuf und nennt Hagiographen, Fotografen, Theaterschriftsteller, Komponisten, Dichter, Redakteure und Choreographen,  aber auch mächtige Propagandaminister und bisweilen sogar ganze Industriezweige. 

Die acht schrecklichsten Diktatoren des 20. Jahrhunderts, die im Buch näher beleuchtet werden,  haben ganz unterschiedliche Persönlichkeiten, allerdings traf jeder von ihnen die wichtigsten Entscheidungen zur Verherrlichung seiner Person selbst. 

Bei den Diktatoren handelt es sich um: #Mussolini, #Hitler, #Stalin, #Mao_Zedong, #Kim Il-sung, #Duvalier, #Ceausecu und #Mengistu. 

Alle Diktatoren erwarteten bedingungslose Zustimmung. Wer dem Diktator die Illusion von Zustimmung nicht zu geben vermochte, wurde bestraft, inhaftiert oder sogar erschossen. 

Der Sinn des Kults habe darin bestanden, Verwirrung zu stiften, den gesunden Menschenverstand ad absurdum zu führen, Gehorsam zu erzwingen, Individuen voneinander zu isolieren und ihre Würde zu brechen. 

Menschen, die dem Diktator gegenüber im Hinblick auf ihre Treuebekundungen nicht aufrichtig genug erschienen, wurden denunziert. Allerdings gab es bei allen Diktatoren, die im Buch benannt werden, stets genügend Anhänger, Opportunisten und Schläger wie auch Personen, die gleichgültig oder apathisch waren.

Der Kult um einen Diktator sei nicht selten mit Magie und Aberglauben durchtränkt gewesen. So sei es auch immer wieder zur säkularen Anbetung gekommen.

Was wohl bei allen Diktatoren mehr zählt als Gesinnungstreue, sei Loyalität gegenüber ihrer Person. Nicht selten sei die Ideologie ein Akt des Glaubens gewesen, eine Prüfung der Loyalität. 

Indem Diktatoren die Macht personalisieren, wird ihr Wort zum Gesetz. Alle Diktatoren haben ihr Volk und sich selbst belogen. Einige waren von ihrem Genie überzeugt, andere in ihrer Welt gefangen, wiederum andere entwickelten krankhaftes Misstrauen gegenüber ihrem persönlichen Gefolge.

Vor allem seien die Diktatoren von Kriechern umgeben gewesen, schwankten, keine Kritik duldend, zwischen Selbstüberschätzung und Paranoia, trafen, so Dikötter infolgedessen wichtige Entscheidungen alleine, was verheerende Folgen hatte.  Diktatoren verlieren  nicht selten den Bezug zur Realität, wie die Beispiele Hitler und  Ceausescu zeigen, vollständig.

Die Sucht verehrt zu werden, das  pervertierte Prestigestreben und ihr krankhaftes Misstrauen zeigen die innere Schwäche all dieser Größenwahnsinnigen, die immerfort Leid über die Menschheit bringen.

Maximal empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Heute schon einen Prozess optimiert? Gunter Dueck- Campus


#Gunter_Dueck, der Autor dieses Buches, ist Mathematikprofessor. Er schreibt erfolgreiche Bücher, ist Netzaktivist, Business Angel und Speaker. Der Untertitel seines neuen Werkes lässt bereits erahnen, worum es ihm diesmal geht: "Das Management frisst seine Mitarbeiter."

Im Rahmen von sechs Kapiteln wird der Zustand in vielen Unternehmen analysiert und beschrieben, um am Ende eine Lösung des Problems anzubieten. Nach Duecks Beobachtung stemmen sich das Management und die Politik gegen eine gute Zukunft. Die Manager der Industrieproduktionen seien seit etwa 35 Jahren damit befasst, Prozesse zu optimieren und Roboter einzusetzen. Das Aufkommen von Computern, Datennetzen und Unternehmenssoftware ("SAP") habe zu einem enormen Effizienzschub geführt und darüber hinaus zu großen Profitsteigerungen. Weil der wirtschaftliche Erfolg aufgrund des Fokus auf die Effizienz so immens war, hätten viele Unternehmen ihre Zukunftsfähigkeit eingebüßt. 

Für Dueck steht fest, dass es in den kommenden Dekaden mehr um neue Inhalte und ein verändertes Denken geht und nicht mehr so sehr um das alte Ringen um die effizienteste Form. Das aber scheint nicht begriffen zu werden. Die Mehrheit der Führungskräfte unterliege dem Effizienzwahn, der das Betriebsklima entsprechenden aufheize. Obgleich langfristig alles andere als sinnstiftend, kämen die Protagonisten aus ihrer "Systemneurose" nicht heraus, die die Mitarbeiter als "Menschen" fresse und sie als bloße Ressource behandele. Das persönliche Menschsein trete hinter die Prozesseffizienz zurück. 

Die Managerkompetenz beschränke sich derzeit auf Prozesssteuerung und harsche Mitarbeitermotivation rund um die Uhr. Auf diese Weise gestresste Mitarbeiter lernten nicht mehr und bildeten sich nicht mehr weiter. Dis-Stress durch Effizienzdruck wirkt sich u.a. auf die Qualität des Produkts aus und auf die mangelnde Zufriedenheit der Kunden. Je größer der Druck auf Quantität, umso mehr verschlechtere sich die Qualität bis über die Strafrechtsgrenze hinaus. 

Die Digitalisierung zeige neue Wege auf. Um diese zu gehen, sei allerdings Zukunftsfähigkeit eine entscheidende Voraussetzung. Dueck veranschaulicht wie man  ticken muss, um Neues auf den Weg zu bringen und macht auch klar, dass alles, was digitalisiert werden kann, digitalisiert wird. Mitarbeiter verlieren, so Dueck, ihre Kompetenz, wenn ihre Arbeitsprozesse digitalisiert werden. Sobald die Mitarbeiter zu Human-Ressourcen degradiert werden, verschwindet das Persönliche und damit auch die Würde. 

Man liest mehr zur "Mc Donaldisierung". Jobs in Unternehmen, die nach dieser Methode arbeiten sind die menschliche Endstation vor der Automatisierung. Die Mitarbeiter sollen sehr schnell und fehlerfrei arbeiten und die Kunden sollen keine Sonderwünsche haben. Standardisierung findet sich allerorten und sie nährt weitere Standardisierung. 

Dueck schreibt  auch über Auslastungsdruck, der dazu führe, dass letztlich die Kreativität den Bach runter geht. Er schreibt zudem darüber wie Mitarbeiter durch Messen und Vergleichen ausgepresst werden und wie bei all dem Optimierungsstress psychologische Vereinzelung und soziale Phobien entstehen. Aufgrund des starken Drucks im Hinblick auf geforderte Zahlen würden Manager und Mitarbeiter den Gesamtzustand eines Unternehmens vergessen, so marodiere letztlich allerorten die Zukunft. 

"Der Egoismus beutet die Infrastrukturen der Gemeinschaft und Staaten aus, die Idee der Nachhaltigkeit wird propagiert und mit Füßen getreten." (S.165) 

Unmöglich, im Rahmen der Rezension alle Faktoren zu benennen, die der Autor hier unter die Lupe nimmt. Klar wird, dass alle Faktoren zum Niedergang der Qualität, des Vertrauens, der Mitarbeiterzufriedenheit und der Zukunftsfähigkeit führen und zwar bis über die Grenzen des Erlaubten. 

Innovation und Kreativität (sie sind die Voraussetzung für eine gute Zukunft)  machen ein ruhiges Klima erforderlich. Dueck listet Unruhequellen auf und philosophiert über Unternehmen mit einer Persönlichkeitszwangsstörung, die Innovation und Kreativität verhindern. 

Was ist zu tun, damit bei der nächsten Sintflut, Schiffe anstelle von Deichen gebaut werden, man also klug handelt?  Wie schafft man einen Perspektivwechsel?

Gunter Dueck hilft ihnen dabei, die Antwort zu finden. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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