Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als langjähriger Auslandskorrespondent hat er wie kaum ein Zweiter den Nahen Osten kennengelernt. Schon als Student war er unter anderem in Damaskus, um hier Islamwissenschaften zu studieren. Er berichtete vom Einmarsch der Iraker in Kuweit, den er selbst Vorort miterlebte. Seine weiteren Stationen waren Istanbul und Abu Dhabi, wo er einige Jahre lebte und journalistisch tätig war, bevor er anschließend Mitglied der politischen Redaktion der "FAZ" wurde.
In seinem hier vorgelegten Werk "Arabisches Beben" versucht der Autor ganz akribisch zu hinterfragen, wo die Ursachen zu suchen sind, dass der Nahe Osten so aus den Fugen geraten ist, dass er mittlerweile zu den gefährlichsten und explosivsten Regionen weltweit gehört. Alles begann mit dem Untergang des Osmanischen Reichs, das zuvor jahrhundertelang für Ruhe und Ordnung in der Region sorgte, als die Türken die Ländereien dominierten von Euphrat und Tigris, auf der Arabischen Halbinsel und auch in Syrien.
Die türkische Vorherrschaft zerbrach mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, als die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die Macht im ganzen Nahen Osten übernahmen, von Marokko über das Maghreb, Ägypten und die gesamte Levante. Als Schutzmächte sorgten sie für eine gewisse Stabilität in diesen Regionen, die aber dann brüchig wurde, als nach dem Zweiten Weltkrieg quasi auf dem Reißbrett Staaten herausgebildet wurden, die über keinen inneren Zusammenhalt verfügten und wo man die Grenzen willkürlich gezogen hatte. Mit der Entlassung in die Unabhängigkeit wurde die Machtfrage immer aktueller, die dann durch Militärputschs und despotische Herrscherhäuser in den einzelnen Ländern geklärt wurde und so wieder eine gewisse trügerische Ruhe einkehrte.
Zugleich nahmen die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Glaubensrichtungen zu und mit der Gründung der schiitischen Islamischen Republik Iran entstand ein gefährlichen Gegenspieler zum saudi-arabischen sunnitischen Königshaus, zumal Russland die Ayatollahs in Teheran massiv unterstütze, während die USA die engsten Verbündeten der Saud-Dynastie waren. Den Ländern im Nahen Osten war es nicht gelungen, nach ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit eine eigene staatliche Identität zu entwickeln. Ihre Bezüge bestanden aus ihrer jeweiligen Religion, ihrer Volks- und Stammeszugehörigkeit oder ihren wirtschaftlichen Interessen, wobei alles zusammen gewürfelt war, ohne auf natürliche Weise über einen langen Zeitraum gewachsen zu sein.
Das Militär und die Geheimdienste haben in allen Staaten des Nahen Ostens dafür gesorgt, dass der Zusammenhalt erzwungen werden konnte. Aufstände, die es immer wieder gab, wurden brachial im Keim erstickt. So konnte die Ordnung in der Region erhalten bleiben, bis zu dem Zeitpunkt als in Tunesien der sogenannte "Arabische Frühling" ausbrach und sich im ganzen Nahen Osten fortzusetzen schien. Dabei wurde Ägypten, das Land mit der größten Bevölkerung im Nahen Osten ebenso erschüttert, wie Syrien, Jemen, Libyen und der Libanon.
Jetzt zeigt sich, dass die Länder neben ihren mangelnden Identitäten auch mit den größten wirtschaftlichen und religiösen Problemen zu kämpfen haben. Bürgerkriege und die Vorherrschaft von Sunniten oder Schiiten haben die unterschiedlichsten Formen von Milizen entstehen lassen, die alle versuchen die Macht in der Region zu erlangen und mit dem "Islamischen Staat" ist ein Gebilde entstanden, dass über den Nahen Osten hinaus die Weltherrschaft der Scharia mit Terror und Gewalt durchsetzen will.
Rainer Hermann belässt es in seinem Buch "Arabisches Beben" nicht allein bei der Analyse der Vergangenheit und der Beschreibung des aktuellen Zustands, wo neben den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran, die um die Vorherrschaft in der Region kämpfen, auch Russland, die Türkei und die USA in diesen Konflikt involviert sind. Für den Autor ist klar, dass auf einen langen Zeitraum das Beben im arabischen Raum anhält und dass eine Entspannung in der Region nur dann zustande kommen kann, wenn die Menschen sich einer neuen staatlichen Identität bewusst werden, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen für die Menschen sich so ändern, dass sie eine Perspektive in ihren Ländern sehen und sie nicht gezwungen sind, ihre Zukunft durch die Flucht nach Europa zu suchen.
Die Vorgänge im Nahen Osten sind seit jeher komplex und die militärischen Auseinandersetzungen im Bürgerkrieg in Syrien mit seiner Stellvertreter-Funktion macht die Situation zusätzlich kompliziert. Hier den Überblick zu bekommen, das ist der Verdienst von Rainer Hermann, der es schafft sehr verständlich und nachvollziehbar dem Leser die Zusammenhänge zu vermitteln.
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Peter J. König
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Arabisches Beben: Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten