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Rezension: #Faschismus-Eine Warnung-Madeleine Albright-DUMONT

#Madeleine_Albright wurde 1937 in Prag geboren, emigrierte mit ihrer Familie in die USA, arbeitete von 1978 bis 1981 im US-amerikanischen Nationalen Sicherheitsrat und ab 1993 als US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen. Unter Präsident Bill Clinton war sie von 1997 bis 2001 Außenministerin der USA. Seitdem ist sie als Universitätsdozentin tätig und leitet eine Consultingfirma in Washington.

Ihr vorliegendes Werk hat sie den Opfern des Faschismus - damals und heute - und allen, die den Faschismus der anderen und ihren eignen bekämpfen, gewidmet. 

In 17 Kapiteln breitet sie ihr Thema aus. Der Faschismus entstand in den Anfängen des 20. Jahrhunderts zu Zeiten des neu erwachten Nationalismus. Man erfährt zunächst mehr von Benito Mussolini, dem Begründer der faschistischen Bewegung, der diese innerhalb von zwei Jahren so vorantrieb, dass sie 2000 Ortsverbände vorweisen konnte. Dieser Faschismus begann also mit einem charismatischen Führer, der eine weit verbreitete Unzufriedenheit seinen Zwecken dienstbar machte, indem er Unhaltbares versprach. Jene die Mussolini zujubelten und sich mit ihm gemein machten, trugen eigene Uniformen und setzen ohne Skrupel Gewalt ein. 

Man liest vom rasanten Aufstieg dieses Herrschers, der sein Ziel erreichte, ohne eine Wahl gewinnen oder die Verfassung brechen zu müssen. Die Italiener hielt er dazu an, die Vorstellung über Gleichheit aufzugeben und stattdessen das faschistische Jahrhundert willkommen zu heißen, wonach sich die Völker Autorität, Lenkung und Ordnung (Ideale des Faschismus)wünschten. 

Albright beschreibt einzelne faschistische Herrscher des vergangenen Jahrhunderts, natürlich auch Adolf Hitler, der von seinem ehemaligen Lehrer als widerborstig, eigenmächtig, rechthaberisch und jähzornig beschrieben wurde. Seinen Aufstieg skizziert die Autorin sehr präzise. 

Hitler versuchte Hass zu schüren und verwendete bei seinen Reden immer wieder dieselben Schlagworte"zerschmettern, zerstören, vernichten, töten." Man erfährt, was  er alles von den italienischen Faschisten übernommen hat, liest von seinen schamlosen Lügen, über sich und seine Feinde, dabei verbarg er seinen mörderischen Ehrgeiz, seinen Rassismus und seine extreme Unmoral hinter der Fassade bürgerlicher Verlogenheit. 

Zu den Taktiken, die Hitler von Mussolini übernommen hatte, gehörten auch der Einsatz von Schlägertrupps, die Einschüchterung des Parlaments, die Stärkung und den anschließenden Missbrauch der Amtsbefugnisse, die Unterwerfung der Beamtenschaft, spektakuläre Auftritte und das Beharren darauf, dass das Oberhaupt, sei es der Führer oder der Duce, niemals irrt. 

Indem die Autorin viele historische Fakten vermittelt, zeigt sie, warum der Faschismus einen solchen Anklang damals fand. 

Dann liest man von Stalin. Verdeutlicht wird, dass Hitler und Stalin eine gemeinsame Sprache hatten, sprich die der Gewalt und beide die Ideale von Thomas Jefferson verachteten, nämlich eine Volksregierung, vernunftsgeleitete Debatten, Meinungsfreiheit, eine unabhängige Rechtsprechung und freie geheime Wahlen. 

Albright zählt in der Folge weitere Machtmenschen auf, deren Handlungsmuster faschistisch war oder ist, so auch den Peronismus als linksgerichtete Variante des italienischen Faschismus mit einer korporatistischen Wirtschaft, Einschränkungen der Pressefreiheit, einer hart durchgreifenden Polizei.etc. 

Die Autorin macht durch viele Beispiele auch im Hier und Jetzt klar, dass es an uns allen liegt, die Mängel der Demokratie zu beheben und niemals deren Stärke zu vergessen, den Führerkult zu hinterfragen und sich der Angriffe auf die demokratischen Werte bewusst zu werden. Die Angriffe haben eine lange Tradition. Die Angreifer wollen unterwerfen und diktieren. Diesbezüglich sollte keiner zur Verfügung stehen.


Sehr empfehlenswert

Helga König

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Faschismus: Eine Warnung

Rezension: Zeitenwende in der Weltpolitik- Sigmar Gabriel

Autor dieses faktenreichen Buches ist der beeindruckend analytisch denkende, ehemalige SPD-Vorsitzende und Vizekanzler Sigmar Gabriel, der sich bis vor noch nicht allzu langer Zeit als Wirtschafts- und Außenminister auf der internationalen Bühne bewegte. 

"Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten" lautet der Untertitel des Werks. Damit die Leser einen Eindruck davon erhalten, wie ungewiss die Zeiten, in denen wir leben, tatsächlich sind, berichtet der Autor ausführlich aus seinen reichhaltigen Erfahrungen, schreibt über drei deutsche Sonderwege, die zum Unmut unserer Nachbarn geführt haben und hier vor allem auch von der Flüchtlingskrise, die die Lage in Europa grundlegend verändert und sich als Europas 11. September erwiesen habe. 

Ein starkes Land wie Deutschland müsse sich einem Perspektivwechsel unterziehen und zwar hin zur Sichtweise der Schwächeren, um Sonderwege zu vermeiden, weil nur ein geeintes Europa handlungsfähig sei und bleiben müsse in diesem unruhigen Zeiten. Ohne ein geeintes Europa bestehe die Gefahr, dass wir in der Welt des 21. Jahrhunderts untergehen, weil diese Welt sich rasant und dramatisch verändere und uns alle durch Ungewohntes herausfordere. Dem könnten die Europäer nur gemeinsam begegnen. 

Auf dem Weg in eine neue Welt erfährt man mehr über Donald Trumps "Zuverlässigkeit" und weshalb mit ihm die USA vom Architekten und Garanten der liberalen Weltordnung zu deren Abrissunternehmer mutiere. Hier liest man auch, dass Trump im Umgang mit Europa keine Partnerschaft, sondern Gefolgschaft wolle. 

Sigmar Gabriel schreibt dann weiter über die weltpolitischen Spielregeln des 20. Jahrhunderts. So erfährt man von den Phasen Weltordnung 1.0 und 2.0 und auch, dass wir uns derzeit am Übergang zu einer Weltordnung 3.0 befänden. Allerdings seien deren Konturen noch nicht deutlich sichtbar.  Amerikas Macht und Ressourcen seien  relativ geschrumpft, während andere Mächte wie China, Russland und der Iran ihre Ziele konsequent weiterverfolgten und  sie sich  deshalb weiterentwickelt hätten. In der noch nicht neu geordneten Welt bleibe die USA in absehbarer Zeit allerdings immer noch stärkste Kraft, aber Europa verlöre aus diversen Gründen, die Gabriel nennt, wohl seine Sonderstellung. An allen außenpolitischen Fronten sehe sich Europa derzeit bedroht. 

Was es bedeute, dass die Welt sich im Krisenmodus befindet, beschreibt der Autor ausführlich, erwähnt wird auch die rapide wachsende internationale Kriminalität und die verursachten Schäden, die Interpol auf jährlich bis zu 4,8 Billionen US-Dollar beziffere. Man liest von der nuklearen Bedrohung in unserer aus den Fugen geratenen Welt und dass Abrüstung und Rüstungskontrolle nicht mehr auf der internationalen Agenda stünden. Auch liest man von der wachsenden sozialen Ungleichheit, die längst schon die Mittelschichten erreicht habe. Die entgrenzte Globalisierung sei verantwortlich für die wachsende Kluft bei den Vermögensverhältnissen, die weitgehend unkontrollierte Rolle der Finanzmärkte, bei der neoliberalen Wende, dem Kontrollverlust staatlicher Institutionen und der Freisetzung bürgerlicher Wutkräfte.  Die Zeiten sind ungewiss, ohne Frage.

Sigmar Gabriel stellt in einem Exkurs Überlegungen an zur Attraktivität der Autoritäten. Dies hier näher auszuführen, sprengt allerdings den Rahmen der Rezension. Des Weiteren liest man über die Botschaft des Trumpismus, speziell über die besorgniserregende derzeitige amerikanische Politik, aber es bleibt nicht unerwähnt, dass die Fähigkeit, Werte und Macht trotz aller Unzulänglichkeiten und Widersprüche immer wieder miteinander zu versöhnen, Amerika erfolgreich gemacht habe und das stimmt hoffnungsfroh. 

Über Russland schreibt der Autor ebenfalls differenziert, hier u.a. über den Aufstieg Wladimir Putins und weshalb wir unsere Goethe-Institute und deutschen Schulen in Russland verdoppeln sollten. Auch die chinesische Herausforderung ist ein breites Thema für den Politiker, um schließlich  nach einer Fülle von Fakten und Überlegungen über die europäische Idee zu philosophieren. 

"Europa ist die Idee vom Zusammenleben der Menschen und der Völker. Die europäische Idee stellt das Gemeinwohl über das Einzelinteresse, die kulturelle Vielfalt über den Zwang der Anpassung und die Lebensqualität über die Anhäufung von Reichtum. Europa setzt die nachhaltige Entwicklung vor die rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur. Und allem voran stellt die europäische Idee die Zusammenarbeit über einseitige Machtausübung."

Das sind wahrlich genügend gute Gründe, um der europäischen Idee zu folgen. Wie das im Einzelnen funktionieren kann, schreibt Sigmar Gabriel auch, um schließlich zu einer europäischen Antwort zu gelangen, die in vielen Beziehungen den Abbau eines Transformationsstaus bedeutet, aber nicht nur dies. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Zeitenwende in der Weltpolitik: Mehr Verantwortung in ungewissen Zeiten

Rezension: Ein ganz normales Pogrom-November 1938 in einem deutschen Dorf- #Sven_Felix_Kellerhoff - Klett-Cotta

Autor dieses exzellent recherchierten Werkes ist der Historiker Sven Felix Kellerhoff. Er hat zahlreiche zeithistorische Sachbücher verfasst und ist Leitender Redakteur für Zeit-und Kulturgeschichte der WELT. 2012 bekam er den Ehrenpreis der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

Im vorliegenden Buch, das er in 13 Kapitel untergliedert hat, zeigt er am Beispiel des Dörfchens Guntersblum/Rheinhessen wie  aufgrund des Novemberpogroms im Jahre 1938 die Qualität und Verfolgung der jüdischen Mitbürger im Nazis-Deutschland an Intensität zunahm. 

Jahrzehntelang nach 1945 wurden die Übergriffe- wie in vielen anderen Städten und Dörfern Deutschlands - verschwiegen, doch in Guntersblum tauchten nach 70 Jahren Fotos eines demütigenden Marsches jüdischer Männer durch den alten Weinort auf. 

Dieses "ganz normale Pogrom" war Teil dessen, was dazu führte, dass in rund tausend Städten und Dörfern etwa 1400 Synagogen und Betsäle verwüstet, angezündet und abgerissen wurden. Hinzu kamen Tausende von Plünderungen von Geschäften jüdischer Eigentümer und eine fünfstellige Zahl von Plünderungen von Privatwohnungen jüdischer Mitbürger. 

Wie der Autor schreibt, wurden rund 31000 jüdische Männer in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt und es seien Hunderte gewesen, die die Tortouren nicht überstanden haben. Nach den November- Gräuel von 1938 habe es in Deutschland quasi keine jüdische Kultur mehr gegeben. 

Sven Felix Kellerhoff beleuchtet den Begriff Pogrom und kommt zu dem Ergebnis, dass bei helllichtem Tage in Guntersblum genau ein solches stattgefunden habe. Die Autor analysiert die Ursachen für den Judenhass in Rheinhessen, berichtet von der Fremdherrschaft nach dem 1. Weltkrieg und der materiellen Not damals, die die Deutschen selbst verschuldet hatten, indem sie einen Krieg gegen Frankreich angezettelten. Für all das brauchte man einen Sündenbock.

Eine jüdische Gemeinde gab es seit 1555 in dem fokussierten  rheinhessischen Dorf bereits, doch judenfeindliche Vorfälle  habe es während des Kaiserreichs in Guntersblum noch nicht gegeben. Der Hass musste erst gesät werden und dies geschah durch die Nazi- Ideologen. 

Die Nationalsozialisten  Guntersblums teilten die Weltanschauung der Gesamtpartei, wie sich denken lässt. Als Feinde loteten sie Demokraten, Marxisten und Juden aus. Man erfährt mehr von der Aufgabe der Ortsgruppe Guntersblum, vom zunehmenden Erfolg der Partei, auch in anderen rheinhessischen Gemeinden, so etwa im Weinort Stadecken und liest schließlich von der Ausgrenzung der Juden dort und anderenorts. 

Wer privat oder gesellschaftlich mit Juden Verbindungen unterhielt, wurde von der Vergabe gemeindlicher Aufträge für die Zukunft ausgeschlossen. Ziel der Judendiskriminierung war die Aneignung des jüdischen Eigentums und der Versuch den Auswanderungsdruck zu steigern. Die  Juden wurden also gemobbt. Man ging immer heftiger gegen sie vor, auch im antisemitischen, ländlichen Hessen und  man erhält einen sehr plastischen Eindruck von den Demütigung der Juden in Guntersblum im November 1938. Dabei kann man sich ein Bild vom "Schandmarsch "durch beigefügte Fotos machen. Dieser Demütungsmarsch, zu dem jüdischen Bewohner des Weinorts gezwungen wurden, soll einige Stunden angedauert haben. Über das Geschehen berichtet der Autor ausführlich. 

Immer wieder auch schreibt Sven Felix Kellerhoff vom abgründigen Geschehen in ganz Deutschland damals, um die Strategie der Nazis begreifbar zu machen. Verwüstungen und Plünderungen waren das Prinzip, das mancherorts orgiastische Züge annahm.

In Guntersblum blieben die Übergriffe auf jüdisches Eigentum ungeahndet. Die Juden wurden deportiert. Über ihr weiteres Schicksal wird man nicht im Ungewissen gelassen, auch nicht wie man nach 1945 mit den Tätern umging und die Geschehnisse feige verschwieg. 

Seit dem 2. April 2011 liegen 23 #Stolpersteine für NS-Verfolgte in dem rheinhessischen Weinort, die der Künstler #Gunter_Demnig verlegt hat. Sie erinnern an die Niedertracht der Täter aber vor allem an das Leid der Opfer, vor denen sich jeder tief verbeugen sollte. 

Der Autor resümiert "Sechs Millionen Menschen mussten sterben, weil untergeordnete Dienststellen und Einzelpersonen sich die nationalsozialistische Maxime des Judenhasses zu eigen machten und sie mit aller Kraft so gründlich wie möglich umzusetzen suchten. Erst dieses furchtbare Engagement sorgte dafür, dass völlig unschuldige Menschen bis in den letzten Winkel Deutschlands, später des besetzten Europas diskriminiert, deportiert und umgebracht wurden."

Das sollte im Hier und Jetzt zu denken geben, wenn erneut Hassparolen die Runde machen und zugleich gegen das Asylrecht gewettet wird. 

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

Im Fachhandel erhältlich

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Ein ganz normales Pogrom: November 1938 in einem deutschen Dorf

Rezension: Die Abgehobenen- Wie die Eliten die Demokratie gefährden- Michael Hartmann- Campus

Der Autor dieses Buches war bis Herbst 2014 Professor für Soziologie an der TU Darmstadt. Sein Schwerpunkt ist "Eliteforschung" geblieben. Dabei steht Michael Hartmann für die These, dass Herkunft entscheidend für den beruflichen Erfolg ist. Diesbezüglich hat er bereits mehrere Bücher verfasst. Das vorliegende Werk ist in fünf Kapitel untergliedert, als da sind: 

1. Einleitung: Paralleltext mit eigenen Regeln 
2. Eine zunehmend geschlossene Gesellschaft 
3. Wie Eliten die soziale Ungleichheit vorantreiben 
4. Eigennutz vor Gemeinnutz-so ticken die Eliten 
5. Eine Politik jenseits des Neoliberalismus ist nötig und möglich 

Wie Michael Hartmann die Leser wissen lässt, stammen zwei von drei Elitemitgliedern aus bürgerlichen und großbürgerlichen Familien und haben neben einem hohen Einkommen zudem noch ererbtes Vermögen. Dabei führten die eigene Lebenssituation und die exklusive soziale Rekrutierung der meisten Eliten zu einer zunehmenden Homogenisierung der Einstellungen gerade in Fragen der sozialen Ungleichheit. 

Für die meisten Elitemitglieder-vor allem in der Wirtschaft- sei charakteristisch, dass sie glauben, die allgemeinen Regeln hätten für sie nur noch eingeschränkt Gültigkeit. Diese Grundhaltung habe sich auf nicht wenige Finanzskandale niedergeschlagen. Dafür zeigt der Autor zahlreiche Beispiele auf. Dass Machtausübung beispielsweise durch Spenden und Sponsoring funktioniert und dass Elitenverhalten in anderen Länder auch nicht besser ist als hierzulande, sind Hinweise für die Gründe, dass der Rechtspopulismus zunimmt. Konkret heißt es da "Der Rechtspopulismus hat seine Erfolge zum größten Teil der neoliberalen Politik in den letzten Jahrzehnten zu verdanken sowie der schier unendlichen Zahl von Skandalen in deren Kreisen." (28)

Michael Hartmann ist davon überzeugt, dass man sich darüber Klarheit verschaffen muss, was Elite wirklich bedeutet und ob so etwas wie eine einheitliche Elite existiert. Dies müsse man deshalb ermitteln, um der Politikverdrossenheit und dem Rechtspopulismus erfolgreich begegnen zu können. 

Der Autor begründet in seinem Werk deshalb vier zentrale Themen ausführlich:

1. Die Elite in den großen westlichen Industriestaaten sind überwiegend sozial exklusiv und homogen. 
2. Soziale Exklusiviät und Homogenität der Eliten waren und sind eine entscheidende Voraussetzung für die Durchsetzung neoliberaler Politik 
3. Die Haltung der Eliten zu sozialer Ungleichheit und neoliberaler Politik wird entscheidend durch ihre soziale Herkunft geprägt. 
4. Die Antwort auf Politikverdrossenheit und Rechtspopulismus kann nur in einer grundlegenden Abwendung von der herrschenden neoliberalen Politik liegen. Notwendig dafür sind eine von der Basis ausgehende, durchgreifende Erneuerung der Parteien des linken Spektrums und eine daraus resultierende massive soziale Öffnung der politischen Elite. 

Elite bedeute Macht auszuüben. Diese Macht erlange man, wenn man an der Spitze einer sehr einflussreichen Organisation stehe oder über viel Kapital verfüge. Kapital verleihe Macht, Geld allein hingegen nicht. 

Die einflussreichsten Eliten kommen, so der Autor, in allen modernen Industrieländern immer aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Verwaltung und Justiz. Wissenschaften und Medien seien eine Etage tiefer angesiedelt. Intellektuelle unterscheiden sich grundsätzlich von den Mitgliedern der tatsächlichen Eliten durch die fehlende Stabilität und Kontinuität, die den zuvor genannten Elitemitgliedern durch die großen Konzerne und Institutionen garantiert werden. 

Um in Spitzenpositionen zu gelangen, sei es notwendig, eine Eliteuniversität erfolgreich absolviert, aber auch Eigenschaften kultiviert zu haben, die man in großbürgerlichen Elternhäusern erlernt habe. Die kostspieligen Elite-Universitäten sorgen für soziale Exklusivität. Soziale Ähnlichkeit werde von den Prüfern belohnt, soziale Differenz werde bestraft. Die hohen Studiengebühren, die an Eliteuniversitäten derzeit jährlich 20 000 Euro betragen, hätten zusätzliche soziale Selektionswirkung. 

Michael Hartmann zitiert den Philosophen Max Horkheimer, um zu verdeutlichen, woran die Großbourgeoisie Menschen erkennt, mit denen sie gern umgeht. "Die Freiheit, Selbstverständlichkeit, "Natürlichkeit", die einen Menschen in gehobenem Kreis sympathisch machen, sind eine Wirkung des Selbstbewusstseins, gewöhnlich hat sie nur der, welcher immer schon dabei war und gewiss sein kann, dabei zu bleiben."

Der Autor blickt in seinen Elitebetrachtungen auch auf andere Länder. Dabei ist in Frankreich eine geradezu außergewöhnliche Homogenität feststellbar. 

Es führt zu weit, im Rahmen der Rezension auf all die angeführten Fakten und Betrachtungen näher einzugehen. Empfehlenswert ist u.a.,  das Kapitel "Wie Eliten die soziale Ungleichheit vorantreiben" genau zu studieren. Überall wachsen die Einkommensunterschiede rasant und die Einkommensmitte ist dabei zu erodieren, wie Zahlen belegen. Dass die Herkunft der politischen Elite ihre Entscheidungen prägt, lässt sich denken und dass in neoliberalen Zeiten Eigennutz vor Gemeinnutz bei den Eliten geht, steht auch außer Frage. 

Auch nicht uninteressant zu lesen sind die Begründungen von Elitemitgliedern für Topgehälter aber auch wie sehr das Elternhaus eine Rolle spielt bei der Beurteilung von Sachverhalten,  so etwa bei der Finanzkrise. Dass Eliten in ihrem eigenen Kosmos leben, keinen Blick für die Armut haben und weniger liberal sind als sie vorgeben, bleibt auch nicht als bloße These stehen, sondern wird belegt und dass man  durchaus  erfolgreiche Politik betreiben kann, die den Neoliberalismus außen vor lässt, wird zu Ende des Buches thematisiert.

Dieses Werk ist Aufklärung pur und deshalb empfehlenswert.

Helga König

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Die Abgehobenen: Wie die Eliten die Demokratie gefährden

Rezension: Heimat.Volk.Vaterland-Eine Kampfansage an Rechts- #Peter_Zudeick- Westend

Peter Zudeick, der Autor des vorliegenden Buches, arbeitet als freier Journalist und Korrespondent für nahezu alle ARD-Rundfunkanstalten.

Der promovierte Philosoph reflektiert in seinem Buch bestimmte Begriffe, die sich das rechte Lager schon im letzten Jahrhundert angeeignet hat, um mit ihnen in ideologische Schlachten zu ziehen. Diese Begriffe aber waren vormals völlig wertfrei und könnten es auch wieder werden, wenn man sich darum ernsthaft bemüht. Peter Zudeick tut dies bereits. Er meint, im Sinne des Philosophen Ernst Bloch, dass es "Kategorien des Irrationalen" gäbe, die vor dem Zugriff der Rechten gerettet werden können. Allerdings klammert Zudeick Begriffe aus, die von den Nazis so sehr beschmutzt wurden, dass sie nicht mehr wiederverwendbar sind. Einer dieser Begriffe ist beispielsweise "Blut und Boden".

Peter Zudeick hat mit "Heimat.Volk.Vaterland" ein Buch vorgelegt, bei dessen Erarbeitung er bemerkenswert wissenschaftlich vorgegangen ist, wie das Literaturverzeichnis und die Anmerkungen deutlich machen. Trotz dieser Tatsache liest sich sein eloquenter Text flüssig, auch spannend, motiviert zum Nachdenken und ist dazu noch lehrreich. 

"Heimat" ist die erste Begrifflichkeit, die der Autor in seinem Werk näher in Augenschein nimmt. Den diesbezüglichen Überlegungen stellt er eine Heimatdefinition der Brüder Grimm voran und erinnert später daran, dass Heimat neuerdings wieder Konjunktur habe. Ein Zeichen dafür sei die Einrichtung von Heimatministerien. 

Den Begriff "heimuot" kannte man schon im 11. Jahrhundert, die moderne Form "Heimat" ist seit dem 15. Jahrhundert bekannt. Bedeutete der Begriff ursprünglich "Haus", "Hof", "Stammsitz", wurde er nun zu einem klar definierten Rechtsverhältnis. Dieses vom Autor näher ausgeführte Rechtsverhältnis wandelte sich im 19. Jahrhundert. Nun war Heimat nicht mehr nur Geburtstort. Nun entstanden Heimatlieder und die sogenannte Heimatbewegung. Nun wurden hierzulande Heimatvereine, Heimatbünde, Trachtenvereine, Geschichtsvereine, Volkskunstvereine und Heimatmuseen gegründet und das Schulfach Heimatkunde eingeführt.

Zu Ende des 19. Jahrhunderts dann gewann die Heimatbewegung immer größeren Einfluss, zugleich seien die nationalistischen und völkischen Töne stärker geworden. Wie es dazu kam, wird auch aufgezeigt und es bleibt nicht unerwähnt, dass die sogenannte  Blut- und Boden-Ideologie der Nazis  genau hier ihre Wurzeln hat. 

Hitler übernahm also später, was schon dagewesen. Nun allerdings wurde Heimat in der Nazi-Ideologie zu etwas, was  gegen "rassenfremde Kräfte" (darin sah man Urheber der Heimatzerstörung) und gegen den äußeren Feind, der angeblich die Heimat rauben wollte, verteidigt werden musste. Der Heimatbegriff wurde aggressiv aufgeladen, wie beispielsweise das Wort "Heimatfront" dokumentiert. 

Nach dem 2. Weltkrieg wurde der Begriff im wissenschaftlichen Diskurs nicht mehr verwendet. Heimatfilme und Heimatlieder standen in den 1950er Jahren aber hoch im Kurs und der Begriff Heimat blieb auch später ein ungebrochener Teil der Kulturindustrie. In intellektuellen Kreisen allerdings war er lange tabuisiert. 

Für den Philosophen  und Linksintellektuellen Ernst Bloch - und das ist sehr interessant- war Heimat ein "philosophischer Begriff" gegen die Entfremdung. Ihm geht es um den Umbau der Welt zur Heimat. 

Auch der Schriftsteller Bernhard Schlink begreift Heimat als Gegenentwurf zur Entfremdung. Peter Zudeick zitiert aus dessen Werk "Heimat als Utopie", wo für Schlink in der Uniformierung und Anonymisierung der Lebenswelt  die Entfremdung konkret vor Ort erfahrbar ist.

Dass nun auch die Grünen mit dem Begriff "Heimat" auf Tuchfühlung gehen und ihn neu definieren, zeigt, dass dieser Begriff sich allmählich wieder wertfrei im Raum bewegt, auch wenn die Rechten ihn gerne noch immer als ihr Eigentum betrachten möchten. 

"Vaterland" ist ein weiterer Begriff, den Peter Zudeick unter die Lupe nimmt. Auch hier zeigt er die historische Entwicklung und auch hier sieht man, dass der Begriff Ende des 19. Jahrhunderts kippte und nun Elemente feindseliger Ausgrenzung enthielt. Wie er dann im Nazi-Regime geradezu krankhafte Formen annahm und welche Rolle der Stolz dabei hatte, bleibt in den Betrachtungen auch nicht ausgespart, bevor es um die Begriffe "Volk" und "völkisch" geht. 

Es führt zu weit, all die Zwischenüberlegungen des Philosophen hier zu erwähnen. Was dem Linksintellektuellen geglückt ist, betrachte ich weniger als eine Kampfansage an Rechts, vielmehr  als gelungenen Versuch für eine differenziertere Sprache zu sensibilisieren und dafür zu werben, den Mut aufzubringen - jenseits ideologischer oder emotionaler Überfrachtung - Worte entspannt zu verwenden, die in der Lage sind, Gemeinschaft im positiven Sinne zu bestärken  und so ein friedliches Miteinander zu leben, in einer Heimat, die die gesamte Erde und alle Völker mit einbezieht. Die Völker einer solchen Heimat  beseitigen Fluchtursachen wie Krieg, Armut und Hunger überall, weil  ihr Solidaritätsdenken nichts anderes zulässt.

Leben auf der ganzen Welt lebenswert zu machen, heißt Heimat nicht zur bloßen Worthülse verkommen zu lassen und sie im Irgendwo sehnsüchtig  suchen zu müssen. Das sollte allen bewusst werden.

Sehr empfehlenswert. 

Helga König

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Heimat. Volk. Vaterland: Eine Kampfansage an Rechts

Rezension: Peter J. König: Arabisches Beben- Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten-Rainer Hermann -Klett-Cotta

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als langjähriger Auslandskorrespondent hat er wie kaum ein Zweiter den Nahen Osten kennengelernt. Schon als Student war er unter anderem in Damaskus, um hier Islamwissenschaften zu studieren. Er berichtete vom Einmarsch der Iraker in Kuweit, den er selbst Vorort miterlebte. Seine weiteren Stationen waren Istanbul und Abu Dhabi, wo er einige Jahre lebte und journalistisch tätig war, bevor er anschließend Mitglied der politischen Redaktion der "FAZ" wurde. In seinem hier vorgelegten Werk "Arabisches Beben" versucht der Autor ganz akribisch zu hinterfragen, wo die Ursachen zu suchen sind, dass der Nahe Osten so aus den Fugen geraten ist, dass er mittlerweile zu den gefährlichsten und explosivsten Regionen weltweit gehört. Alles begann mit dem Untergang des Osmanischen Reichs, das zuvor jahrhundertelang für Ruhe und Ordnung in der Region sorgte, als die Türken die Ländereien dominierten von Euphrat und Tigris, auf der Arabischen Halbinsel und auch in Syrien. 

Die türkische Vorherrschaft zerbrach mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, als die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die Macht im ganzen Nahen Osten übernahmen, von Marokko über das Maghreb, Ägypten und die gesamte Levante. Als Schutzmächte sorgten sie für eine gewisse Stabilität in diesen Regionen, die aber dann brüchig wurde, als nach dem Zweiten Weltkrieg quasi auf dem Reißbrett Staaten herausgebildet wurden, die über keinen inneren Zusammenhalt verfügten und wo man die Grenzen willkürlich gezogen hatte. Mit der Entlassung in die Unabhängigkeit wurde die Machtfrage immer aktueller, die dann durch Militärputschs und despotische Herrscherhäuser in den einzelnen Ländern geklärt wurde und so wieder eine gewisse trügerische Ruhe einkehrte. 

Zugleich nahmen die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Glaubensrichtungen zu und mit der Gründung der schiitischen Islamischen Republik Iran entstand ein gefährlichen Gegenspieler zum saudi-arabischen sunnitischen Königshaus, zumal Russland die Ayatollahs in Teheran massiv unterstütze, während die USA die engsten Verbündeten der Saud-Dynastie waren. Den Ländern im Nahen Osten war es nicht gelungen, nach ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit eine eigene staatliche Identität zu entwickeln. Ihre Bezüge bestanden aus ihrer jeweiligen Religion, ihrer Volks- und Stammeszugehörigkeit oder ihren wirtschaftlichen Interessen, wobei alles zusammen gewürfelt war, ohne auf natürliche Weise über einen langen Zeitraum gewachsen zu sein. 

Das Militär und die Geheimdienste haben in allen Staaten des Nahen Ostens dafür gesorgt, dass der Zusammenhalt erzwungen werden konnte. Aufstände, die es immer wieder gab, wurden brachial im Keim erstickt. So konnte die Ordnung in der Region erhalten bleiben, bis zu dem Zeitpunkt als in Tunesien der sogenannte "Arabische Frühling" ausbrach und sich im ganzen Nahen Osten fortzusetzen schien. Dabei wurde Ägypten, das Land mit der größten Bevölkerung im Nahen Osten ebenso erschüttert, wie Syrien, Jemen, Libyen und der Libanon. 

Jetzt zeigt sich, dass die Länder neben ihren mangelnden Identitäten auch mit den größten wirtschaftlichen und religiösen Problemen zu kämpfen haben. Bürgerkriege und die Vorherrschaft von Sunniten oder Schiiten haben die unterschiedlichsten Formen von Milizen entstehen lassen, die alle versuchen die Macht in der Region zu erlangen und mit dem "Islamischen Staat" ist ein Gebilde entstanden, dass über den Nahen Osten hinaus die Weltherrschaft der Scharia mit Terror und Gewalt durchsetzen will. 

Rainer Hermann belässt es in seinem Buch "Arabisches Beben" nicht allein bei der Analyse der Vergangenheit und der Beschreibung des aktuellen Zustands, wo neben den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran, die um die Vorherrschaft in der Region kämpfen, auch Russland, die Türkei und die USA in diesen Konflikt involviert sind. Für den Autor ist klar, dass auf einen langen Zeitraum das Beben im arabischen Raum anhält und dass eine Entspannung in der Region nur dann zustande kommen kann, wenn die Menschen sich einer neuen staatlichen Identität bewusst werden, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen für die Menschen sich so ändern, dass sie eine Perspektive in ihren Ländern sehen und sie nicht gezwungen sind, ihre Zukunft durch die Flucht nach Europa zu suchen.

Die Vorgänge im Nahen Osten sind seit jeher komplex und die militärischen Auseinandersetzungen im Bürgerkrieg in Syrien mit seiner Stellvertreter-Funktion macht die Situation zusätzlich kompliziert. Hier den Überblick zu bekommen, das ist der Verdienst von Rainer Hermann, der es schafft sehr verständlich und nachvollziehbar dem Leser die Zusammenhänge zu vermitteln. 

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König

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Arabisches Beben: Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten

Rezension: Die Erfindung der Leistung- Nina Verheyen- Hanser Berlin

Nina Verheyen ist Historikerin an der Universität zu Köln. Sie schreibt nebenbei Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und für den Merkur. Das vorliegende Buch hat sie in insgesamt 7 Kapitel gegliedert. Diesen gehen eine umfangreiche Einleitung voran.

Wie sie festhält, übe sie in ihrem Werk weder pauschale Leistungskritik, noch breche sie eine Lanze für das Leistungsprinzip. Vielmehr sollen ihre Ausführungen zu einem besseren Verständnis von "Individueller Leistung" als einer im Alltag mächtigen und gleichwohl unentdeckten Kategorie beitragen. Dies sei die Grundlage für eine differenzierte Kritik, die tatsächlich etwas bewirken könne, ohne sogleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Die Autorin schreibt in ihrem Buch aus unterschiedlichen Perspektiven wie sich das Leistungsparadigma im Verlauf der Zeit verfestigt hat, allerdings auch immer wieder verändert wurde. Dies geschah dadurch, dass Leistungserwartungen ebenso stabilisiert wie aufgebrochen, Techniken der Leistungsmessung einerseits fortgeführt, andererseits aber auch modifiziert und schließlich Formen der Leistungsbelohnung zementiert aber auch reformiert wurden.

Der räumliche Schwerpunkt der Betrachtungen Nina Verheyens liegt auf Deutschland und führt nur ab und an in andere Länder. Es waren die Europäer, die im 19. und 20. Jahrhundert von der Leistung anderer profitiert haben und zwar durch die schon im frühen 16. Jahrhundert begonnen habende ökonomische, kulturelle und soziale Verflechtung der Welt. Nach Ansicht Verheyens sei die Leistung der westlich-modernen Welt vor allem eines: eine gelungene Zuschreibung.

Man erfährt in der Folge, wie Menschen aus vergangenen Zeiten sich die Vorstellung ihrer Leistung zu Eigen machten und welches Glücksgefühl, aber auch welches Leid damit verbunden war, wenn jemand den Anforderungen nicht entsprach. Zwar komme man an die Geschichte der Gefühle, um die es hier geht, nicht mehr heran, wohl aber an die öffentlichen Debatten und Bekenntnisse, die Gefühle zum Thema hätten. Sowohl die Debatten über "Leistungsgefühle" als auch die damit verbundenen Praktiken der Leistungszuschreibung hatten im ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland für große Teile der Bevölkerung an Gewicht gewonnen.

Der bürgerliche Tugenddiskurs der Dekaden um 1800 habe- zumindest im deutschsprachigen Raum wenig mit dem optimierungswütigen, produktivitäts- und effizienzorientierten Leistungsverständnis der Gegenwart zu tun. Damals ging es um das Leisten von Gesellschaft, um Wertschätzen von Familie in dem Diskurs. Mit der Industrialisierung, Nationalstaatenbildung und der von Globalisierungsschüben geprägten Epoche habe sich ein stark auf die Erwerbsphäre bezogenes, von den Naturwissenschaften in den Bereich des Sozialen übertragenes Leistungsverständnis herausgebildet, in dessen Tradition heute noch jene stehen, die höhere Leistungen einfordern und damit nicht nur höhere Umsatzzahlen aber auch eine bessere Unterstützung für Erwerbslose.

In der Zeit zwischen dem Fin de Siècle und dem Zweiten Weltkrieg wurde das Leistungsparadigma zugespitzt und verband sich immer fester mit dem Gedanken der Leistungssteigerung. Dies führte zum einen zu rationalisierten Arbeitsprozessen und gezielt herbeigeführten Spitzenleistungen zum anderen aber auch zu kollektiven und individuellen Zusammenbrüchen. Während der Nazizeit steigerte sich das Verhalten noch mehr. So war der systematische Massenmord und die Politik der Euthanasie in den Augen des braunen Packs die Voraussetzung dafür, die Leistungskraft der "Volksgemeinschaft" weiter zu steigern.

In den 1960er Jahren begann dann die Debatte um und das Zeitalter der Leistungskritik, die auch als Kapitalismuskritik betrieben werde, anstelle zu erkennen wie sich mit Leistung gegen die dunklen Seiten des Kapitalismus streiten lasse. Dies setze aber voraus, dass man ein soziales Leistungsverständnis entwickele, dass individuelle Leistung als einen kollektiven Kraftakt begreife und als eine gemeinsame Konstruktion, die sich auch ändern lasse- sowohl auf der großen Bühne der Politik als auch im Alltag. So nämlich sei man nicht länger dem Leistungsprinzip des Kapitalismus ausgeliefert. Auf diese Weise gestalte man selbst. Dass Leistung dieser Art erfüllend und weniger stressend und selbstausbeutend ist, steht für mich außer Frage.

Ein spannend zu lesendes Buch, das ich gerne weiterempfehle.

Helga König

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Rezension Peter J. König: Rückkehr nach Lemberg; Philippe Sands- S. Fischer

Der Autor dieses bemerkenswerten, wichtigen und preisgekrönten Buches ist Philippe Sands, Anwalt und Professor für Internationales Recht sowie Direktor des Centre on International Courts and Tribunals am University College London. Als einer der führenden Professoren für das Völkerrecht hat er u.a. die Anklageschrift gegen den chilenischen Diktator Pinochet vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag formuliert. Sands jüdische Vorfahren stammen aus der Gegend um die ehemals galizische Universitätsstadt Lemberg, heute Lwiw. Sie gehört seitdem die Rote Armee im Sommer 1944 die Nazis vertrieben hat zur Ukraine. 1941 nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen wurde die Stadt, die nach dem Ersten Weltkrieg polnisch und unter ihrem Namen Lwow bekannt war, wieder in Lemberg umbenannt und wurde gleichzeitig Hauptstadt des Distrikts Galizien im deutschen Generalgouvernement. 

Die Geschichte des heutigen Lwiw ist bewegt und traurig zugleich, nicht nur weil sie zwischen 1914 und 1945 nicht weniger als achtmal den Besitzer wechselte, sondern weil sie auch unauslöschbar mit der Vertreibung und Ermordung von Millionen von Juden, Polen und einiger anderer Minderheiten wie Sinti und Roma in Verbindung steht. Denn hier im galizischen Generalgouvernement sollte hauptsächlich die „Endlösung“ durchgeführt werden, der Genozid an den Juden, die Unterwerfung der Polen und die Ausrottung unliebsamer anderer Minderheiten, die nach der nationalsozialistischen Rassenlehre als minderwertig galten. In den Konzentrationslagern von Auschwitz, Birkenau und Treblinka und einigen anderen Vernichtungslagern sind etwa 3 ½ Millionen Menschen umgebracht worden, mit bestialischsten Mitteln und mit einer nie gekannten Verrohung. Hitler hatte seinen persönlichen Anwalt Dr. Hans Frank mit der Leitung des Gouvernements beauftragt und dieser war federführend für die unsäglichen Verbrechen die dort stattgefunden haben.

Auf Einladung der Universität von Lwiw kam der Autor, Philippe Sands, ohne große Kenntnis seiner Familiengeschichte in die ostukrainische Stadt, um einen Gastvortrag zum Völkerrecht und seinen Erfahrungen am Internationalen Strafgericht in Den Haag vor Studenten zu halten. Dabei stieß er auf zwei bedeutende Völkerrechtskollegen, Professor Lauterpacht und Professor Lemkin, die beide um 1900 geboren, an dieser Universität ihre juristischen Ausbildungen begonnen hatten, um sich später auf das Völkerrecht zu spezialisieren, das nach dem Ersten Weltkrieg erstmalig sich neu entwickelte. 

Als Juden war dies ihnen in ihrer galizischen Heimat nicht möglich, Lauterpacht ging über Wien nach Cambridge und Lemkin, der zunächst noch in Lwiw blieb, gelang es vor seiner Deportation von den Deutschen auf einer monatelangen Reise über Sibirien und Japan nach den USA zu kommen, wo er an einer kleinen Universität in Carolina einen Lehrauftrag erhielt. Sowohl Lauterpacht als auch Lemkin haben das Völkerrecht mit ihren Rechtstheorien vom "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und dem "Genozid“ entscheidend beeinflusst und die erstmalige praktische Anwendung dieser internationalen Strafrechtsnormen hat dann bei den "Nürnberger Prozessen", dem Tribunal gegen das Nazi-Regime und ihre Täter, stattgefunden. 

Philippe Sands selbst jüdischer Abstammung mütterlicherseits, ihre Vorfahren haben lange galizische Wurzeln, ist durch den Vortrag in der Universität von Lwiw dieser Umstand erst richtig bewusst geworden und er begann eine Reise in die Vergangenheit, um sowohl seine eigenen familiären Ursprünge als auch die seiner Professoren-Kollegen Lauterpacht und Lemkin zu recherchieren. Dabei hat er sich die Mühe gemacht, all die Schicksale der vielen verwandten Menschen nachzuvollziehen, die aufgrund ihres jüdischen Glaubens ermordet worden sind oder denen es gelang durch Flucht ihr Leben zu retten, um ganz verstreut über die Welt neu anzufangen. Sie alle zu finden, war eine unermüdliche Leistung. Bei der Vielzahl der Personen hat er sich in seinem Buch "Rückkehr nach Lemberg" neben Lauterpacht und Lemkin überwiegend auf die nächsten Verwandten seiner Mutter konzentriert, so auch auf seine Großeltern, die er als Kind in Paris noch persönlich kennenlernen durfte. 

Aber Sands hat nicht nur das Schicksal der verzweigten Familien interessiert, seine Recherchen galten auch den deutschen Besatzern im Generalgouvernement und ihren mörderischen Machenschaften. Dabei steht im Mittelpunkt Hans Frank, der die Leitung des Gouvernements mit brutaler Härte betrieb. Er war es auch der das Ghetto von Warschau veranlasste. Der Werdegang des Juristen wird genau nachgezeichnet, ebenso sein prunkvolles Leben auf der Wewelsburg in Krakau, einst Sitz der polnischen Könige. Sein unrühmliches und dabei noch feiges Ende haben die Nürnberger Prozesse besiegelt, mit dem Urteil des Tribunals: Tod durch den Strang. Philippe Sands hat unzählige Zeitzeugen befragt, aber noch mehr Dokumente in Archiven in der ganzen Welt durchforstet, um ein möglichst genaues Bild aller Personen und Ereignisse zeichnen zu können. Ganze Heerscharen von Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und sachkundigen Helfern haben ihn mit unzähligen Informationen versorgt und dabei hat er sich nicht gescheut die allermeisten persönlich aufzusuchen, um sich ein möglichst authentisches Bild zu machen, alles zusammen wahrlich eine Herkulesarbeit.

Das Ergebnis ist dieses äußerst spannende und fesselnde Buch, dass auf der einen Seite die vielen Leiden der gepeinigten und getöteten Menschen dem Leser tief ins Bewusstsein bringt, auf der anderen Seite gerade an dem Beispiel des Nazi-Schergen Hans Frank zeigt, welche entmenschlichten, eiskalten, gierigen und hemmungslosen Kreaturen sich hinter der Fassade dieser „Herrenmenschen“ verborgen haben. Das Buch gibt aber auch einen gekonnten Aufschluss darüber, wie gerade im Zuge der Nürnberger Prozesse, die sehr detailliert nachgezeichnet wurden, um die Erweiterung des Völkerrechts seitens Lauterpacht und Lemkin gerungen worden ist, damit solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Genozids zukünftig von der internationalen Gemeinschaft strikt vor einem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden können. Überaus bemerkenswert ist auch die Zeitreise, die der Leser unternimmt, wenn er getragen von dem Einblick in die persönlichen Schicksale der Menschen auch eine genaue Vorstellung ihrer Zeit und ihrer Lebensumstände bekommt. Besser und spannender kann man Geschichte nicht vermitteln, auch wenn sie zutiefst ergreifend und sehr traurig ist.

Maximal empfehlenswert.

Peter J. König

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Rückkehr nach Lemberg: Über die Ursprünge von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

Rezension: Die Geschichte Hessens- Von den Neandertalern bis zur schwarz-grünen Koalition-Waldemar Kramer

Die Autoren dieses spannend zu lesenden Buches sind der Hans Sarkowicz, er leitet das hr 2 –Ressort Literatur und Hörspiel beim Hessischen Rundfunk und Prof. Dr. Heiner Boencke. Dieser lehrt an der Goethe-Universität in Frankfurt/ Main Vergleichende Literaturwissenschaften und ist künstlerischer Leiter des Rheingau Literatur Festivals sowie Vorstandsmitglied der Frankfurter Romanfabrik.

Das Buch befasst sich in sechs Kapiteln mit der Geschichte Hessens. Dies geschieht in vielen Miniaturen, denen stets  umfangreiche Literaturverzeichnisse folgen, um sich weiter informieren zu können. Bildmaterial schenkt dem Leser einen visuellen Eindruck  des längst Vergangenen. 

Natürlich sind der Limes und die Saalburg gleich im ersten Kapitel thematisiert worden, denn die Burg ist das bekannteste Kastell Hessens und bot einst einer Kohorte von etwa 1000 Soldaten Platz.

Auch Bonifatius kommt zur Sprache. Er war einst 721 nach Hessen gekommen und hatte damals seine Missionstätigkeit in der fränkischen Festung Amöneburg begonnen. Zu jener Zeit gab es Klostergründungen in Fulda und Lorsch, über die man ebenfalls informiert wird.

Erfreulich, dass man an die Heilige Elisabeth erinnert, die tief geprägt war von den Armuts- und Barmherzigkeitsgedanken des zu diesem Zeitpunkt gerade heiliggesprochenen Franz von Assisi. Sie widmete sich der Pflege von Kranken und ließ in der großen Hungersnot 1226 Brot verteilen. Später gründete sie sogar ein Hospital, wo sie die Ärmsten der Armen versorgte. Selbst die niedersten Dienste waren ihr nicht zu schade. Die letzten drei Jahre ihres Lebens verbrachte Elisabeth als ärmliche Spitalschwester in Marburg an der Lahn. Sie wurde nur 24 Jahre alt, doch noch heute spricht man voller Wertschätzung  über sie. Das sollte zu denken geben.

Unmöglich an dieser Stelle all die historischen Miniaturen, die das Buch enthält, zu erwähnen. So liest man vom Erzbistum Mainz und sein Verhältnis zu Hessen, auch über die Reichsstätte in der Wetterau, wie etwa von Gelnhausen, wo es eine Kaiserpfalz gab, die zu Zeiten Friedrich Barbarossas Geschichte machte. Über die Wahl- und Krönungsstadt Frankfurt  wird man informiert und auch über Goethe als Chronisten der Wahl Joseph II. In einer weiteren Miniatur dann erfährt man noch mehr über den größten Sohn der Stadt, der Weimar zum Pilgerort für Intellektuelle zu seinen Lebzeiten machte.

Spannend ist es, mehr über die Hugenotten in Hessen zu erfahren. Diese haben seit Ende des 17. Jahrhunderts in Hessen-Kassel einen festen Platz in der Kultur des Landes und der Geschichte.

Über den 30 jährigen Krieg und auch über Grimmelshausens Simplicius Simplisissimus kann man sich informieren, der sich  u.a. in Gelnhausen und Hanau aufhielt.

Das jüdische Leben in Hessen ist gottlob auch ein Thema. In Wetzlar beispielsweise lebten Juden seit  dem 12. Jahrhundert. Immer wieder wurden sie in den Zeitläuften verfolgt. Darüber erfährt  man Wissenswertes in  dieser Miniatur.

Die Gebrüder Grimm, gehören zu Hessen und letztlich auch Hölderlin, der in Bad Homburg eine Weile lang lebte. Erfreulich, dass Friedrich Ludwig Weidig und Georg Büchner einige Seiten gewidmet wurden und man sich mit dem Vormärz befasst hat.

Entsetzt hat mich ein altes Foto aus der Naziszeit. Zu sehen ist der Frankfurter Römer mit Hakenkreuzfahnen. Dass in der alten Klosterkirche in Breitenau ein Konzentrationslager für politische Gefangene eingerichtet war, wusste ich bislang nicht. Die brennende Synagoge am Frankfurter Börneplatz war der Beginn der entsetzlichen Ereignisse in Frankfurt, die zur Deportation und Vernichtung der Frankfurter Juden führte. Darüber liest man Erschreckendes, aber auch wie es nach 1945 weiterging.

"Die Geschichte Hessens- Von den Neandertalern bis  zur schwarz-grünen Koalition" ist ein spannendes, kurzweilig zu lesendes Buch, das aufgrund des umfangreichen Literaturverzeichnisses  dazu motiviert, sich in einzelne Themen zu vertiefen.

Sehr empfehlenswert. 

Helga König

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Die Geschichte Hessens: Von den Neandertalern bis zur schwarz-grünen Koalition

Rezension: #Meinungsfreiheit- Demokratie für Fortgeschrittene- Volker Kitz – S. Fischer

Dr. Volker Kitz ist Jurist, Bestsellerautor und international gefragter Redner. Seine Bücher sind in mehr als 10 Sprachen übersetzt worden. Das allein macht neugierig auf sein jüngstes, hier vorliegendes Werk, das er als Gebrauchsanweisung begreift. Es beinhaltet Gedanken zur Demokratie für Fortgeschrittene in zwölf Lektionen und ist eine Einladung, unsere Freiheit zu verteidigen. 

Am Ende der einzelnen 12 Kapitel steht immer ein Merksatz, der die Kerngedanken der jeweiligen Lektion zusammenfasst.

Dieses Buch sei ein Plädoyer dafür, mit Meinungen gelassener umzugehen, schreibt der Autor eingangs und betont zugleich, dass Meinungsfreiheit keine Tatsachenfreiheit sei. 

Unwahrheit sei heute ein Geschäft geworden. Man könne bewusst gefälschte Nachrichten "Fake News" im Darknet, dem anonymen Internet erwerben. Dort offerieren Unternehmen, Einzelpersonen für ein paar tausend Euro zu diskreditieren. Ab 300 000 Euro sei es möglich, dass eine politische Wahl beeinflusst werden kann.  Das gibt zu denken.

Um Wahrheit zu ermitteln, sei es notwendig ein Stück zurückzutreten, um die Totale in Augenschein zu nehmen. Wahrheit könne nämlich aus mehreren Teilen bestehen und nur zusammen ergäbe sich in einem solchen Falle die Wahrheit. Wichtig sei für einen Demokraten zwischen Tatsachen und Meinungen zu unterscheiden und sich mit dem Konzept der Meinungsfreiheit zu befassen. Dabei sei Meinung all das, was nicht überprüfbar sei. Was objektiv weder richtig noch falsch sein könne, sei frei. 

Für Meinung benötige man weder einen emotionalen Grund, noch Wissen, auch keine Betroffenheit. Unser Grundgesetz lasse Meinungen einen freien Raum. In autoritären Staaten schaut dies allerdings anders aus. 

Kitz reflektiert auch die Vereinbarkeit von Hate Speech mit dem Grundgesetz und macht klar, dass das Grundgesetz erst dann gegen Hass vorgehen kann, wenn daraus Hasskriminalität werde.

Zur Sprache gebracht wird zudem, dass jene, die ihre Meinung äußern, auch Kritik ertragen müssen und wie es sich mit Stornierern, Verhinderern und Teufelsaustreibern verhält.

Dass Medien Meinungsfreiheit nicht gewährleisten, sondern durch die Pressefreiheit genießen, scheint nicht jedem bewusst zu sein und dass Meinungen durch Diskussionen sich ändern lassen, scheint ein Trugschluss zu sein. Dies hänge damit zusammen, dass Meinungen selten auf Argumenten beruhen, sondern das Ergebnis einmaliger Lebensumstände sind. Das leuchtet ein.

Diskussionsteilnehmer, die in politischen Diskussionen das Ziel haben, Recht zu bekommen, tragen, so der Autor, zur Politikverdrossenheit bei. Das sehe ich auch so. 

Der Autor schreibt auch über Toleranz und meint, dass ein Demokrat ein Schmerzkünstler sei, für den Freiheit und wahre Toleranz über kleinkarierter Rechthaberei stünden.  Merken wir uns also: "Nur wenn es weh tut, ist es Toleranz." 

Die Grenzen der Meinungsfreiheit beginnen bei Beleidigern, Faktenfälschern und Friedensstörern. Für diesen Personenkreis kann es sehr teuer werden, was offenbar einigen Usern im Netz nicht klar ist. 

Der Autor plädiert dafür, als Demokrat Vorbild zu sein und dort, wo es keine Wahrheit gäbe, stets die Freiheit zu verteidigen. 

Ich stimme Volker Kitz in allen Punkten seines Buches zu und bin davon überzeugt, dass Meinungsfreiheit am besten gelebt werden kann, wenn die Bürger wirklich mündig sind und gelernt haben mit den Meinungen Dritter gelassen umzugehen. 

Sehr empfehlenswert.

Helga König


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Rezension: Die Freiheit, frei zu sein- Hannah Arendt- dtv

Hannah Arendt gilt als eine der wichtigsten politischen Denkerinnen des 20. Jahrhunderts. Als Professorin lehrte sie zunächst an der University of Chicago und später an der New School for Social Research in New York. 

Der vorliegende Essay wurde von Andreas Wirthensohn aus dem amerikanischen Englisch übersetzt und ist jetzt erstmals auf Deutsch erschienen. Das Nachwort hat der Philosoph Thomas Meyer von der LMU München geschrieben. 

Wie Thomas Meyer zu Beginn seines Nachwortes betont, hat der Inhalt des Essays rund 50 Jahre nach seiner Niederschrift noch immer Aktualität. Nach wie gehe es um Fragen nach Freiheit und ihren Gefährdungen, nach revolutionären Umwälzungen und ihren Ursachen, politischer Stabilität wie auch den Formen des Zusammenlebens moderner Gesellschaften, schlussendlich um das Wiedererstarken des Nationalstaates in einer von globalen wirtschaftlichen Prozessen dominierten Welt. Diese Fragen werden von Arendt herausfordernd beantwortet. 

Zunächst erläutert die Autorin die Geschichte von Revolutionen. Sie stehen, auch wenn sie antiwestlich erscheinen, alle im Zeichen traditionell westlicher Revolutionen.  Dabei zeigt sich, dass militärische Interventionen letztlich hilflos gegenüber Revolutionen erweisen und nur wenige Revolutionen in den letzten 200 Jahren mit Gewaltmitteln zerschlagen wurden. 

Folge von unterbrochenen Revolutionen sind Restaurationen. Diese, so Arendt, sorgen jedoch nur für einen dünnen und erkennbar provisorischen Deckmantel, unter dem der Auflösungsprozess ungehindert weitergeht. Sobald Menschen erfahren haben, was Freiheit für sie bedeuten kann, werden sie auch in unterbrochenen Revolutionen weiter danach streben. Kant wusste das bereits und schrieb auf die Französische Revolution bezogen "Denn ein solches Phänomen in der Menschheitsgeschichte vergisst sich nie mehr". 

Ursprünglich bedeutete das Wort "Revolution" "Restauration". Es erfuhr allerdings im Zuge des revolutionären Prozesses eine radikale Veränderung, ganz ähnlich erging es dem Wort "Freiheit". Sie enthält mehr als die Freiheiten im Sinne von Bürgerrechten. Revolutionen sind eine mögliche Antwort auf den Niedergang eines Regimes, so die Essayistin. 

Sie sind also nicht die Ursache, sondern die Folge des Verfalls politischer Autorität. Jede Revolution durchlaufe erst die Phase der Befreiung, ehe sie Freiheit erlangen kann.  Die  zweite entscheidende Phase ist die Gründung einer neuen Staatsform und einer neuen "civil Body Politick". Deformierte und abgebrochene Revolutionen können blanken Horror nach sich ziehen. Deshalb gilt es, Freiheit dort, wo sie sich bereits etabliert hat, zu bewahren und auszubauen, bevor sie auf dem Altar von deformierten oder abgebrochenen Revolutionen geopfert wird. 

Wie Thomas Meyer festhält, wurde nach den Ereignissen von 1989 die Gestaltung des neuen politischen Raumes namens "Europa" versäumt. Das Neue sei zwar gesehen worden, doch dessen politische Institutionalisierung und damit Festigung in einen bereits vorhandenen Rahmen gepresst, der sich ökonomischen Kategorien zu unterwerfen hatte. Der vermeintliche Vorrang des Ökonomischen habe jedweden Sturz des Neuanfangs in die zerbrechliche Nüchternheit von Zahlen und Zwecken überführt. Dadurch offenbar ist die Gefahr entstanden, die wir heute überall in Europa zu Kenntnis nehmen müssen, ein Wiedererstarken der Nationalstaatlichkeit mit bislang noch ungeahnten Folgen. 

Sehr empfehlenswert

Helga König

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Rezension: Ohne Glück kein Erfolg- Der Zufall und der Mythos der Leistungsgesellschaft- Robert H. Frank- dtv

Prof. Dr. Robert H. Frank lehrt Wirtschaftswissenschaften an der Cornell University in Ithaca. Zudem schreibt er Bücher und Wirtschaftskolumnen für die New York Times.

Im Rahmen von acht spannend zu lesenden Kapiteln erfährt man mehr darüber, was alles unseren Werdegang beeinflusst und wieso nicht wenige Menschen die Bedeutung von glücklichen Zufällen oft unterschätzen aber auch, weshalb diese Wahrnehmung sich letztlich nachteilig auswirkt. 

Zufallsereignisse haben im Leben von Menschen schon immer eine Rolle gespielt. Allerdings hat sich ihre Bedeutung in den zurückliegenden Jahren verstärkt. Die Ursache liegt laut Frank in der Ausbreitung und Intensivierung der sogenannten "Winner-take-all- Märkte" begründet. Die Märkte entstehen zumeist dann, wenn Technologien auf einem bestimmten Gebiet Begabtesten in die Lage versetzen, ihre Reichweite zu vergrößern. Solche Märkte gibt es mittlerweile auf vielen Gebieten, so etwa im Rechtswesen, in der Medizin, im Sport, im Journalismus, im Einzelhandel, in der Produktion und auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Hier überall wurde die Kluft zwischen Gewinnern und Verlierern vertieft. 

Dort, wo zunächst wenige Gewinner außerordentliche Erträge einfahren, werden stets eine große Anzahl Wettbewerber angezogen. Je mehr Wettbewerber es gibt, umso mehr ist es wichtig, Glück zu haben. 

Ein bedeutendes Hindernis am Erfolg ist es, hinzunehmen, dass resultierende Erträge erst mit Verzögerung fließen oder überhaupt unsicher sind. Dass triviale Zufallsereignisse bei Erfolgen eine Rolle spielen, ist für viele schwer hinnehmbar. An zahlreichen Beispielen wird gezeigt, dass Glück auch durch Rückkoppelung entsteht und dem gegeben wird, der bereits Glück durch scheinbar unbedeutende Zufallsfaktoren in irgendeiner Form sein Eigen nennt. So kann beispielsweise sogar der erste Buchstabe des Nachnamens einer Person dabei helfen, signifikante Unterschiede im Erfolg zu erklären. 

Wie Frank zeigt, ist es  mittlerweile in vielen Gebieten ohne eine gehörige Portion Glück nahezu unmöglich, materiell erfolgreich zu sein. 

Winner-take-all-Märkte haben generell zwei charakteristische Merkmale. Die Erträge basieren stärker auf relativen als auf absoluten Leistungen. Insgesamt konzentrieren sich bei diesen Märkten die Erträge aber tendenziell auf wenige Performer. 

Zukünftig wird es wohl  immer mehr um triviale Zufallsereignisse bei wirtschaftlichen Erträgen gehen, dafür immer weniger um das größte Talent und den fleißigsten Einsatz. Frank verdeutlicht, weshalb die größten Gewinner nahezu immer Glück haben und weshalb sich trotzdem falsche Überzeugungen zu Glück und Talent hartnäckig halten. 

Aus dem Umstand des Glücks, sollte sich für Menschen, die ihr Glück als letztlich zufallsmitbestimmt begreifen, Dankbarkeit entwickeln, die sich darin zeigt, andere am materiellen Ertrag, der durch den eigenen Erfolg entstanden ist, teilhaben zu lassen und zum Gemeinwohl beizutragen.

Bleibt zu hoffen, dass  diese Erkenntnis bei allen  materiell Erfolgreichen reift. 

Empfehlenswert.

Helga König

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Rezension: Peter J. König: Kometenjahre - 1918 Die Welt im Aufbruch- Daniel Schönpflug- S. Fischer

Daniel Schönpflug, Professor für Geschichte an der Freien Universität in Berlin beschäftigt sich wissenschaftlich mit Europa zwischen dem 18. und dem 20. Jahrhundert. Nach mehreren Publikationen etwa über den Jakobinismus in der Französischen Revolution („Der Weg in den Terreur“) und die Wirkungen der politischen Moderne auf die Welt der fürstlichen Dynastien, hat er sich nun in seinem neuesten Buch "Kometenjahre", erschienen im S. Fischer Verlag, mit der Zeit unmittelbar nach dem Ende des 1.Weltkrieges befasst.

Der Autor sieht nach dem 11.November 1918 eine Zeitenwende, zumal die alte Weltordnung in Europa danach zerbrach und ähnlich wie 1789 in Frankreich, neue politische Systeme den Untergang der dynastischen Ordnungen, etwa in Russland, Österreich/Ungarn und Deutschland besiegeln sollten. Für einen Zeitraum von etwa 15 Jahren schien es so, als würde durch den Untergang der Monarchien die Zeit reif sein, neue Wege zu gehen und so moderne, demokratische Strukturen die Chance haben, das Leben der Menschen positiv zu verändern. 

Aber nicht nur im politischen Bereich konstatiert Daniel Schönpflug den Aufbruch, dies scheint auch der Beginn einer gesellschaftlichen Zeitenwende zu sein, zumal feudale Herrschaftsstrukturen, sei es durch die Revolution in Russland oder die Abdankung des deutschen Kaisers nach der Kapitulation ihr jähes Ende fanden. Dies schien eine neue europäische Ordnung zu begründen, und die Hoffnung gar auf ein friedliches Europa mit demokratischen Staaten schien mehr als ein lang gehegter Traum zu sein. Doch die Hoffnung war nur von kurzer Dauer, denn bereits unmittelbar nach dem Kriegsende sollten politische Zustände eintreten, die ein friedliches Zusammenleben in Europa in weite Ferne rückten und Terror und Unterdrückung zur Tagesordnung machen sollten. 

Die Unterdrückung der Kommunisten in Russland spielt da ebenso eine entscheidende Rolle, wie die knebelartigen Bedingungen des Versailler Vertrags, der das Deutsche Reich ad acta legte und durch Gebietsverluste und durch brachiale Reparationszahlungen unwillkürlich massiven Widerstand bei den Deutschen hervorrufen sollte und letztendlich den Aufstieg Adolf Hitlers beförderte und damit den Weg zu einem noch schlimmeren Krieg ebnete. 

Hatten die Menschen nach Beendigung des 1. Weltkrieges noch den Glauben in eine neue Welt einzutreten, so wurde doch schnell klar, dass dies ein Irrglaube war. Und doch sieht der Autor, unterstützt von anderen namhaften Historikern eine Zeitenwende, die nach kommunistischer und nationalsozialistischer Diktatur mit entsprechenden Folgen eine Demokratisierung in fast allen europäischen Staaten voran getrieben hat, um so überhaupt die Möglichkeit für eine Annäherung in Europa und gar eine Europäische Union und ein europäisches Parlament zu schaffen.

Der Autor Daniel Schönpflug hat in seinem Werk "Kometenjahre" den Prozess vom Ende des 1. Weltkrieges bis zum Beginn des "Dritten Reichs" anhand von einzelnen Schicksalen lebendig werden lassen. Dabei zeigt er die Hoffnungen und Enttäuschungen von völlig unterschiedlichen Persönlichkeiten, die alle in unterschiedlicher Weise vom Ausgang des 1.Weltkrieges betroffen sind. 

Da sind die heimgekehrten Kriegsveteranen aus den USA, von denen Harry S. Truman sogar 33. Präsident der Vereinigten Staaten werden sollte, die Kosakin Marina Yurlowa, die in Russland gegen die Revolution kämpft, aber auch Käthe Kollwitz, die ihren Schmerz in ihrer Kunst abbildet, oder etwa der Lagerkommandant von Auschwitz, Rudolf Höß, ebenso Virgina Woolf und Walter Gropius und nicht zu vergessen die ehemalige Publizistin Louise Weiss, die als eine der ersten Abgeordneten im Europaparlament schließlich Alterspräsidentin auf Lebenszeit werden sollte. 

Daniel Schönpflug zeigt anhand dieser Schicksale, was die Zeitenwende hätte bringen können und was sie tatsächlich gebracht hat, jedem Einzelnen und den Staaten insgesamt. So gelingt es dem Autor ein weitaus anschaulicheres Bild der Zeit zu zeichnen, seine Darstellung der Zeitgeschichte wird anhand der Personen plastisch gemacht. Der Leser bekommt einen unmittelbaren Eindruck der "Kometenjahre", er spürt wie sie vorüberziehen, um dann zu verglühen. 

Anschaulicher kann Geschichte nicht dargestellt werden, denn Geschichte ist in erster Linie immer die Geschichte von Menschen und ihren Schicksalen in einer ganz bestimmten Zeit. Der Bezug der politischen und gesellschaftlichen Ereignisse in Hinblick auf das persönliche Erleben ist der Grund für die Spannung und das Interesse, die den Leser mitnehmen und auf sehr informative und anschauliche Weise Geschichte erleben und verstehen lässt. 

 Sehr empfehlenswert.

 Peter J. König

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