Der Autor Thomas Harding hat nach unendlichen Bemühungen, einer Fülle von Recherchen und einer akribischen Auflistung von fünf Familiensträngen es geschafft, das Sommerhaus, das seine Vorfahren am Groß Glienicker See in der Nähe von Berlin erbauen ließen, nach nahezu hundert Jahren unter Denkmalschutz stellen zu lassen, um dort eine Begegnungs- und Erinnerungsstätte für die Menschen einzurichten, die im Laufe der vergangenen fast hundert Jahre eine unmittelbare Beziehung zu dem Haus und der Umgebung des Sees hatten.
Im Jahre 1927 hatte der Urgroßvater von Thomas Harding, ein sehr angesehener Berliner Arzt mit dem Namen Dr. Alfred Alexander das Sommerhaus für sich und seine Familie erbaut. Hier sollten sie dem Trubel der stets wachsenden Metropole entfliehen. Am idyllischen Seeufer, das so viel Ruhe und Entspannung ausstrahlte, wollte Dr. Alexander den Ausgleich finden, der sein verantwortungsvoller und anstrengender Beruf mit sich brachte. In seiner jüdischen Gemeinde war er hoch angesehen, ebenso bei den angesagtesten Künstlern, Wissenschaftlern und Industriebosse. Sie alle begaben sich vertrauensvoll in die Hände des jüdischen Arztes, der es liebte seine berühmten Patienten, wie etwa Albert Einstein oder den Dichter Walter Hasenclever auch gerne bei abendlichen Veranstaltungen in seiner eleganten Wohnung zu empfangen.
Als Refugium zum Rückzug sollte das einfache Haus am See dienen, wo Dr. Alexander mit seiner Frau und den vier Kindern sich ganz der Natur und dem einfachen Leben hingeben konnten, ohne überzogene Etikette und großbürgerliche Zwänge. Hier war die Familie in den Sommermonaten unter sich und auch die guten Freunde, die bisweilen einige Tage zu Besuch kamen, trugen merklich zur Freude und Entspannung bei.
Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wandelte sich alles grundlegend, in Berlin, in Deutschland und besonders bei den jüdischen Mitbürgern. Auch die Familie von Dr. Alexander blieb nicht verschont davon. Seiner Klinik gegenüber wurden mit den Repressalien gegen jüdische Ärzte immer mehr Verbote ausgesprochen, bis hin zum generellen Berufsverbot. Eine universitäre Ausbildung wurde den Kindern nicht mehr gestattet und bevor die unmittelbare Deportation ins KZ kam, gelang es der Familie nebst Anhang über Umwege nach London zu emigrieren.
Ihr Sommerhaus am Groß Glienicker See haben die Alexanders allerdings nie vergessen, die Erinnerung an die wunderbaren Jahre, friedlich und beschaulich am See hat sie ihr Leben lang begleitet.
Entsprechend wurden diese an die nächsten Generationen weitergegeben. Der Autor Thomas Harding erhielt sie von seiner Großmutter Elsie, einer Tochter von Dr. Alfred Alexander. Sie haben ihn nicht mehr losgelassen, sodass er 1993 beschloss, nach Berlin und an den Groß Glienicker See zu reisen, um zu sehen, was in der Realität von den großartigen Erinnerungen seiner geliebten Großmutter noch übrig geblieben ist.
Nachdem Thomas Harding mit eigenen Augen sah, dass das Sommerhaus die Wirren und die unterschiedliche Nutzung der bewegten Zeiten erstaunlich gut überstanden hatte, begann er sowohl das Schicksal des urgroßelterlichen Sommerrefugiums, als auch einiger Familien, die eng mit den Vorfahren verbunden waren, akribisch zu recherchieren. Dabei war es wichtig, auch immer den geschichtlichen Bezug herzustellen, hing doch zumeist das Schicksal der Menschen von den Geschehnissen der damaligen Zeit ab.
Parallel dazu unternahm er alles, um dem Sommerhaus eine Überlebenschance zu geben, hatte doch der jetzige Eigentümer, die Stadt Potsdam beschlossen, das Haus abzureißen, um auf dem weitläufigen Ufergelände günstigen Wohnraum zu errichten. Scheinbar aussichtlos, gelang es Thomas Harding mit Hilfe seiner Familie, seinen neuen Freunden in der Ortschaft Groß Klienicke und rund um den See, interessierten Historikern und vielen anderen Wohlgesinnten die Stadtverordneten von Potsdam von seinem Projekt einer Kultur- und Begegnungsstätte der Aussöhnung zu überzeugen.
Das Land Brandenburg stellte danach das Sommerhaus am See unter Denkmalschutz.
Thomas Harding hat nicht nur ein spannendes, ja ergreifendes Buch über das Schicksal des Hauses am Groß Klienicker See geschrieben, er hat auch davon ausgehend den bewegenden, manchmal sogar sehr tragischen Verlauf der einzelnen Mitglieder dieser fünf Familien skizziert, die mit dem Haus verbunden waren. Dabei spielt die Geschichte der letzten hundert Jahre in Deutschland, in Berlin und unmittelbar am Groß Klienicker See eine ganz entscheidende Rolle. Dies zu vermitteln ist dem Autor bestens gelungen, zeigt er doch sehr anschaulich wie einschneidend die mörderische Despotie der Nazis auf die Menschen eingewirkt hat und welche Folgen daraus bis heute entstanden sind. Gemessen an den Stürmen der Zeit zeigt sich das Sommerhaus am See geradezu als eine Konstante, die für Thomas Harding Anlass zur Erinnerung ist, an seine Vorfahren und an die deutsche Geschichte.
Sehr empfehlenswert.
Peter J. König
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