Nina Verheyen ist Historikerin an der Universität zu Köln. Sie schreibt nebenbei Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und für den Merkur. Das vorliegende Buch hat sie in insgesamt 7 Kapitel gegliedert. Diesen gehen eine umfangreiche Einleitung voran.
Wie sie festhält, übe sie in ihrem Werk weder pauschale Leistungskritik, noch breche sie eine Lanze für das Leistungsprinzip. Vielmehr sollen ihre Ausführungen zu einem besseren Verständnis von "Individueller Leistung" als einer im Alltag mächtigen und gleichwohl unentdeckten Kategorie beitragen. Dies sei die Grundlage für eine differenzierte Kritik, die tatsächlich etwas bewirken könne, ohne sogleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.
Die Autorin schreibt in ihrem Buch aus unterschiedlichen Perspektiven wie sich das Leistungsparadigma im Verlauf der Zeit verfestigt hat, allerdings auch immer wieder verändert wurde. Dies geschah dadurch, dass Leistungserwartungen ebenso stabilisiert wie aufgebrochen, Techniken der Leistungsmessung einerseits fortgeführt, andererseits aber auch modifiziert und schließlich Formen der Leistungsbelohnung zementiert aber auch reformiert wurden.
Der räumliche Schwerpunkt der Betrachtungen Nina Verheyens liegt auf Deutschland und führt nur ab und an in andere Länder. Es waren die Europäer, die im 19. und 20. Jahrhundert von der Leistung anderer profitiert haben und zwar durch die schon im frühen 16. Jahrhundert begonnen habende ökonomische, kulturelle und soziale Verflechtung der Welt. Nach Ansicht Verheyens sei die Leistung der westlich-modernen Welt vor allem eines: eine gelungene Zuschreibung.
Man erfährt in der Folge, wie Menschen aus vergangenen Zeiten sich die Vorstellung ihrer Leistung zu Eigen machten und welches Glücksgefühl, aber auch welches Leid damit verbunden war, wenn jemand den Anforderungen nicht entsprach. Zwar komme man an die Geschichte der Gefühle, um die es hier geht, nicht mehr heran, wohl aber an die öffentlichen Debatten und Bekenntnisse, die Gefühle zum Thema hätten. Sowohl die Debatten über "Leistungsgefühle" als auch die damit verbundenen Praktiken der Leistungszuschreibung hatten im ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland für große Teile der Bevölkerung an Gewicht gewonnen.
Der bürgerliche Tugenddiskurs der Dekaden um 1800 habe- zumindest im deutschsprachigen Raum wenig mit dem optimierungswütigen, produktivitäts- und effizienzorientierten Leistungsverständnis der Gegenwart zu tun. Damals ging es um das Leisten von Gesellschaft, um Wertschätzen von Familie in dem Diskurs. Mit der Industrialisierung, Nationalstaatenbildung und der von Globalisierungsschüben geprägten Epoche habe sich ein stark auf die Erwerbsphäre bezogenes, von den Naturwissenschaften in den Bereich des Sozialen übertragenes Leistungsverständnis herausgebildet, in dessen Tradition heute noch jene stehen, die höhere Leistungen einfordern und damit nicht nur höhere Umsatzzahlen aber auch eine bessere Unterstützung für Erwerbslose.
In der Zeit zwischen dem Fin de Siècle und dem Zweiten Weltkrieg wurde das Leistungsparadigma zugespitzt und verband sich immer fester mit dem Gedanken der Leistungssteigerung. Dies führte zum einen zu rationalisierten Arbeitsprozessen und gezielt herbeigeführten Spitzenleistungen zum anderen aber auch zu kollektiven und individuellen Zusammenbrüchen. Während der Nazizeit steigerte sich das Verhalten noch mehr. So war der systematische Massenmord und die Politik der Euthanasie in den Augen des braunen Packs die Voraussetzung dafür, die Leistungskraft der "Volksgemeinschaft" weiter zu steigern.
In den 1960er Jahren begann dann die Debatte um und das Zeitalter der Leistungskritik, die auch als Kapitalismuskritik betrieben werde, anstelle zu erkennen wie sich mit Leistung gegen die dunklen Seiten des Kapitalismus streiten lasse. Dies setze aber voraus, dass man ein soziales Leistungsverständnis entwickele, dass individuelle Leistung als einen kollektiven Kraftakt begreife und als eine gemeinsame Konstruktion, die sich auch ändern lasse- sowohl auf der großen Bühne der Politik als auch im Alltag. So nämlich sei man nicht länger dem Leistungsprinzip des Kapitalismus ausgeliefert. Auf diese Weise gestalte man selbst. Dass Leistung dieser Art erfüllend und weniger stressend und selbstausbeutend ist, steht für mich außer Frage.
Ein spannend zu lesendes Buch, das ich gerne weiterempfehle.
Helga König
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