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Rezension: Russensommer- Cornelia Schmalz-Jacobson

Die 1934 in Berlin geborene Cornelia Schmalz-Jacobson arbeitete als Journalistin und war von 1988 bis 1991 Generalsekretärin der FDP. Weiterhin war sie u.a. Senatorin von Berlin, Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1991- 1998 Ausländerbeauftragte der Bundesregierung. Heute lebt sie als freie Autorin in Berlin und ist ehrenamtlich in internationalen, humanitären Organisationen tätig. 

In ihrem spannend zu lesenden Buch erinnert sie sich an ihre Befreiung vom Nazi-Regime. Cornelia Schmalz-Jacobsen erlebt das Kriegsende in Mecklenburg- Vorpommern im Haus ihres Onkels.  

Sie ist die Tochter von Nazigegnern, deren Eltern Juden und Polen versteckten und die früh bereits begriff, welch abgründige Personen diese Nazis waren. Sie berichtet von ihrer Angst vor Bomben als Neunjährige als sie 1943 in Berlin Luftangriffe miterlebte. Noch heute erinnern sie manche Silvesterraketen eines ähnlichen Pfeiftons wegen an diese Bomben. Noch heute kann sie diese Geräusche nur schwer ertragen, weil sogleich die Bilder von Krieg und Zerstörung vor ihrem geistigen Auge erscheinen. 

Die kleine Cornelia wird zu ihrem Onkel auf den Darß in Sicherheit geschickt, wo sie das Leben zunächst als Idylle wahrnimmt. Aber sie erinnert sich auch an das, was sie in der Schule damals erlebte und wie man den Kindern Hitler als eine Art Gottfigur vermittelt hat. Der Unterricht war also nicht frei von Ideologie und Gehirnwäsche, wie sie  bestätigt. 

Cornelia ist ein hellwaches Kind, das vieles wahrnimmt, auch die "dunklen Flecken". So gab es auf dem Darß zwei Außenlager des Konzentrationslagers Neuengramme in Hamburg und in der Stadt Barth Tausende von Zwangsarbeitern, die Sklavenarbeit verrichten mussten. Mehr als zweitausend von ihnen sollen gestorben sein. Sie schreibt von dem Denunziantum im Hitlerstaat  und von den Delikten, die bei den Zwangsarbeitern mit dem Tod endeten. Eines davon war der Geschlechtsverkehr mit einer deutschen Frau. 

Die Autorin berichtet von der Legendenbildung der Nazis im Hinblick auf die Rote Armee und der geschürten Angst vor den russischen Soldaten. Sie schreibt aber auch wie die Rote Armee die Verwüstung ihrer Heimat erlebt hat und  von der Befreiung der Konzentrationslager östlich der Oder durch russische Soldaten. Bei aller berechtigten Wut der Befreier soll es nach Erfahrung der Autorin am Ende des Krieges auch mitfühlende Sowjetsoldaten gegeben haben, die deutsche Kinder und Frauen retteten. Für die meisten Deutschen sei dies unvorstellbar gewesen. Das Kind von Nazigegner empfindet die Befreiung als positiv.

Schmalz-Jacobsen schreibt von Zigtausenden von Selbstmördern in Deutschland, zu Ende des Krieges. Dieser Wahnsinn sei bis heute noch nicht aufgearbeitet worden. Von dieser Selbstmordepidemie las ich im vorliegenden Buch übrigens erstmals. Es zeigt erneut den Fanatismus der braunen Brut, die das ganze Land ideologisch kirre gemacht hatte. 

Äußerst lesenswert ist der Eindruck von der Befreiung vom Nazi-Regime durch russische Soldaten. Die liberale Autorin  ist nicht blind, sondern versucht, ihre Eindrücke fair wiederzugeben, auch das, was im Unterdrückungsstaat DDR dann folgte und kommt zum Ergebnis, das die Befreiung von NS-Regime noch lange nicht Freiheit bedeutet hat, wie man am Beispiel der DDR sehr gut erkennen konnte. Doch eine Befreiung war es allemal.

Das Buch empfehle ich gerne, denn es ist sehr aufschlussreich. 

Helga König

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