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Rezension: Die Erfindung der Eleganz- Kersten Knipp- Reclam



Der Autor dieses informationsreichen Buches, das den Untertitel "Europa im 17. Jahrhundert und die Kunst des geselligen Lebens" trägt, ist der freie Journalist und Publizist Kersten Knipp. 

Sein Werk enthält nach einer umfangreichen Einleitung 15 Kapitel und ein Schlusswort. Darüber hinaus viele interessante Literaturhinweise und ein Register im Anhang.

Worum es geht? Um eine bestimmte Form von Gewandtheit, gepaart mit Höflichkeit im Zusammenleben, die sich im Laufe der Zeiten wandelte. Der elegante Auftritt umfasst eine ganze Reihe von Dingen, keineswegs nur die Kleidung, sondern beispielsweise auch die Sprache. So liest man zunächst Wissenswertes über den Salon der Madame de Rambouillet. 

Salons, so erfährt man, waren im frühen 17. Jahrhundert entstanden. Geleitet wurden sie nahezu immer von Frauen, die "unter der Hand" Impulse freisetzten, die die französische Gesellschaft und Kultur ins Tiefste geprägt haben sollen. Im Salon sollte eine Auszeit von der Politik genommen werden. Hier ging es um Tanz, Theater, Konzert, Lesung und Spaziergang, in erster Linie aber um Konversation, Unterhaltung und die Lust am zwanglosen Gespräch, erfährt man. Bei Madame de Rambouillet wurde ein unterhaltender, spielerischer Stil gepflegt. Wie der aussah, beschreibt der Autor detailliert. Man lernt den stilbildenden Künstler Vincent Voiture (1598-1648) in diesem Zusammenhang kennen und wie er sich im Salon einbrachte. 

In der Folge  geht es um  Rhetorik und Politik im Absolutismus.  Man liest von historischen Begebenheiten in jener Zeit, den Religionskriegen und dem Edikt von Nantes 1598. In jenen Tagen war eine Sprache erforderlich geworden, die die Spannungen der Zeit auszugleichen vermochte, eine Sprache, die auf Versöhnung und Verständigung setzte. Jetzt musste der König ein Meister der Sprache werden, um seinen Herausforderern zumindest rhetorisch gewachsen zu sein. Aus Sicht seiner Berater sei es wichtig gewesen, dass der König auch die sprachliche Macht repräsentiere, weil er so auch kulturelle Macht erlangen könne. 

Man erfährt als Folge Wissenswertes zur Gründung der "Académie francaise". Zu Beginn des 17. Jahrhunderts wurden in Frankreich viele Dialekte gesprochen. Das hochsprachliche Französisch habe sich nur mühsam gegen die Dialekte behaupten können. Kardinal Richelieu sei es gewesen, der sich dafür stark machte, dass der Hof Impulse setzte, die sich mithilfe der Gebildeten im Reich verbreiten sollten, um so bei allen Schichten der Bevölkerung anzukommen. Eine Gruppe von Schriftstellern und Gelehrten um den Königlichen Rat Valentin Conrat (1603-1675) habe 1629 darüber diskutiert wie man eine Standartsprache schaffen könne. So entwickelte sich die "Académie francaise" deren Ziel es war, die Sprache reicher, feiner, subtiler werden zu lassen. Knipp fasst zusammen, dass die Akademie eine Institution der allmählich sich artikulierenden Aufklärung sei. Man wird mit erhellenden Zeilen des Gründungstextes konfrontiert und damit auch mit dem verächtlichen Blick der Akademiemitglieder auf das Volk, das die Sprache verderbe. Nicht Paris, begriffen als die Stadt des Bürgertums, sei das sprachkreative Zentrum des Reichs gewesen, sondern Hof. Von dort gingen die Impulse des Königs aus. Ludwig XIV. hat viel auf den Weg gebracht. Die Dichter sollen nun die Sprache zum Glänzen bringen. Sie und die Architekten hätten dazu beigetragen, dem König den Anschein übermächtiger Größe zu verleihen. 

Die Gebildeten schauten fortan in sprachlichen Dingen auf den Hof, wohl aber waren sie nicht bereit, ihm das Monopol der Sprachpflege zu überlassen. In den Salons der gehobenen Stände festigten sich die Regeln des Miteinanders, deren Ergebnis ein galantes Verhalten gewesen sei. Dies zeigte sich in Leichtigkeit, Verspieltheit und Eleganz. Man liest weiter von Baldassare Castiglione, einem Italiener, der sich Anfang des 16. Jahrhunderts dafür interessierte, was einen gewandten Hofmann auszeichnet. Eine wichtige Komponente des Auftritts sei die Konversation gewesen und bei allem Lässigkeit und Beiläufigkeit. Es ging bei Castiglione um entspannte Nonchalance in allem Tun, egal wie schwierig und anspruchsvoll sie sein mochte. Grundlage aller Eleganz war Diskretion.

Eleganz sei nicht nur in der Gesellschaft möglich gewesen, sondern auch in der Abgeschiedenheit der Bibliothek. Dies wird bei den französischen Philosophen Michel de Montaigne deutlich, mit dem sich der Autor ebenfalls befasst. Wir Knipp bekundet, sei die lockere Ungezwungenheit seiner Essays das große formale Geschenk an die nachfolgenden Generationen gewesen. 

Es folgen Fakten auf Fakten, unmöglich sie im Rahmen dieser Rezension auch nur ansatzweise zu streifen. Man liest wie die Hofgesellschaft sich veränderte im fortgeschrittenen 17. Jahrhundert. So wurde auf Duelle allmählich verzichtet. Der Adelige sei nicht mehr als Held gefragt gewesen, sondern als verlässlicher Staatsdiener. Bei Hof geht es nun um Selbstdarstellung, Eloquenz und Selbstsicherheit. Der Luxus des Königs sei vor allem ein Instrument der Psychopolitik gewesen und der Kern des Hoflebens habe in der Kunst der Repräsentation bestanden, die über Nähe und Ferne der Macht Auskunft gab und Hierarchien ordnete. 

Eine zweckfreie Kommunikation gab es nicht, alles war Strategie, Hinterhalt, Mittel zum Zweck. Man erfährt auch Wissenswertes über die frühen Ansätze der Emanzipation der Frauen, die sich im Anfang des 17. Jahrhunderts  noch zurückhalten sollten. Von daher stellten sie ihr Wissen nicht zur Schau. Man liest wie sich dies allmählich veränderte, liest vom Verhältnis der Geschlechter in der fokussierten Zeit.

Die Galanterie, das verfeinerte Verhältnis zwischen den Geschlechtern, habe als Sache des Bürgertums gegolten. In Kreisen der gehobenen Bourgeoisie habe sich das neue Ideal des "galant homme", des galanten Mannes“ durchgesetzt. Um in galanten Kreisen als attraktiv zu gelten, benötigte man Geist, die Fähigkeit zum intelligenten-verspielten Gespräch. Es geht auch um ein ironisches Verhältnis zu sich selbst. Angesprochen wird auch der Unterschied zwischen Galanterie und Libertinage und was den "galant homme" auszeichnet. 

Gespräche sind nun eine Form des Austauschs aber auch der Selbstfindung. Der wache Verstand ist nicht mehr hinwegzudenken. Galanterie sei als Arbeit an sich selbst verstanden worden. Sie sei, so Knipp, wesentlich  für die Ästhetisierung einer inneren Haltung, "die in äußere Form gebrachte Summe persönlicher Weltzuwendung und Dankbarkeit". 

In den weiteren Kapiteln wird auch der spanische Essayist Baltasar Gracián thematisiert. Knipp charakterisiert ihn als einen Autor für alle, die wissen wollen, mit wem sie im Zweifel zu tun haben, die sich einen Eindruck von den Spielformen der Korruption verschaffen wollen, ohne ihnen selbst zu erliegen. 

Was noch? Die Entdeckung der Mode ist ein Thema. Hier  kommt  z.B. Puder zur Sprache, als Zaubermittel der Distinktion, ebenso wie der Kunst gefallen zu wecken. Es sei um die Ästhetik des Menschen gegangen, konkret um seine Anmut. 

Auch Jean-Jacques Rousseau kommt zur Sprache, der sich gegen die falsche Höflichkeit seines Jahrhunderts ausspricht. Alle Künstliche ist ihm zuwider. Die Leichtigkeit der Unterhaltung, die in den vergangenen 150 Jahren entwickelt worden war, hatte in den Augen dieses Philosophen keinen Sinn.

Ganz anders der Blickwinkel von Denis Diderot, auch ihm ist ein Kapitel gewidmet. Sah Rousseau die Gesellschaft als einziges Maskenspiel, so erkannte Diderot dieses Spiel als Bedingung der Kommunikation. Darüber mehr in besagtem Kapitel, dem die Kapitel "Die Französische Revolution und der neue Mensch" und "Die Restauration und das 19. Jahrhundert" folgen. Man denke hier an den großen Selbstdarsteller Oscar Wilde, ein Beispiel des ästhetischen Rebellen und Dandys in der Öffentlichkeit! Eleganz im Wandel der Zeiten...

Sehr spannend zu lesen und vielleicht alsdann zu begreifen, woran es heute fehlt. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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Rezension: „Sollen sie doch Kuchen essen!“- Verleumdungen, Fälschungen und Verschwörungsmythen- Bernd Ingmar Gutberlet- Europaverlag



Autor dieses spannend zu lesenden Buches ist der Historiker Bernd Ingmar Gutberlit. 

Bei der vorliegenden Publikation handelt es sich um den ersten Band einer Buchreihe, die sich mit Irrtümern und Kontroversen, Lügen und Fälschungen, Legenden und Verschwörungsmythen der Geschichte befasst. Dabei geht es in dem ersten Band mit dem Titel "Sollen sie doch Kuchen essen!" um Verleumdungen in der Geschichte, mit Fälschungen und Verschwörungsmythen. 

Untergliedert ist das Werk in drei große Abschnitte, die da sind: Verleumdungen, Fälschungen Verschwörungsmythen. Konkret werden in 21 Kapiteln unzählige Verleumdungen thematisiert, in weiteren 10 Fälschungen und in 7 schließlich Verschwörungsmythen. 

Dabei möchte der Autor, wie er schreibt, einerseits einer durch die Jahrhunderte hindurch unterhaltsamen Vielfalt des Falschen vergnüglich nachspüren und andererseits immunisieren, um der Instrumentalisierung von Geschichte nicht auf den Leim zu gehen, sondern an den richtigen Stellen skeptisch zu werden.  Dies gelingt ihm in allen Kapitel vortrefflich.

Die beschrieben Ereignisse haben sich in unterschiedlichen Jahrhunderten abgespielt, einige bereits im Altertum und zeigen, dass die Charaktere von Menschen und ihre Verhaltensmuster sich im Grunde wenig geändert haben. Die gesamte Palette der Abgründigkeit hat also die Zeiten überdauert. So werden bestimmte Namen noch immer mit bestimmten Ereignissen in Verbindung gebracht, die so einfach unwahr sind oder es werden Mythen verbreitet, die, weil es eben Mythen sind, nur scheinbar etwas mit der Realität zu tun haben.

Man liest u.a. über die Templer, auch Jesuiten angebliche Wahrheiten, aber auch von Friedrich dem Großen und dessen Spott im Hinblick auf die "Verschwendungssucht" seitens seines Großvaters und erkennt, dass die Erzählungen um viele Ereignisse so allesamt nicht stimmten. 

Zurechtrücken ist angesagt und genau das geschieht in vorliegendem Buch, auch was die sogenannten "potemkinschen Dörfer" anbelangt. 

Besonders lesenswert fand ich das Kapitel "Das schlechtgeredete Geschlecht". Hier kommen einige namhafte Frauen aus der Geschichte zur Sprache, denen man übel mitspielte, allen voran Marie Antoinette. 

Die Verschwörungsmythen im 3. Abschnitt enden übrigens mit dem "Blutigen Herbstende" 1977 und der wahrscheinlichsten Erklärung im Hinblick auf das Ableben der Top-Terroristen in Stammheim. 

Interessante Bettlektüre. Kurze, in sich abgeschlossene Kapitel.

Doch lesen Sie selbst. 

Maximal empfehlenswert 

Helga König

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