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Rezension: Das Wolfsmädchen-Christian Hardinghaus- Europaverlag.



Dr. phil. Christian Hardinghaus ist beratender Historiker, Fachjournalist und Autor zahlreicher Bücher. Seine historischen Schwerpunkte liegen in der Erforschung des NS-Systems und des Zweiten Weltkrieges. 

Vor einigen Monaten rezensierte ich seinen hervorragenden Roman "Die Spionin der Charité" und habe nun mit großem Interesse sein Sachbuch "Das Wolfsmädchen" gelesen, nicht zuletzt, weil meine mütterlichen Vorfahren aus Ostpreußen stammen und zwei meiner Tanten nach Königsberg verschleppt worden sind. Jetzt sind mir die Zustände in Königsberg zu Ende des Krieges erschreckend klar geworden. Das Leid der Zivilisten dort war unermesslich.

Der Untertitel des vorliegenden Werks heißt "Flucht aus der Königsberger Hungerhölle". Im Vorwort schreibt der Autor eingangs bereits, dass über 20 000 verwahrloste deutsche Kinder infolge des Zweiten Weltkrieges ab 1946 aus dem sowjetisch besetzten, nördlichen Ostpreußen nach Litauen flüchteten, um nicht den Hungertod sterben zu müssen. Diese Kinder wurden Wolfskinder genannt. Viele überlebten die nächsten beiden Jahre nicht und von denjenigen, die ab 1948 in die DDR entkamen oder in Litauen eine neue Heimat fanden, leben heute nur noch wenige, so Hardingshaus. Eine von ihnen ist Ursula Dorn, die Protagonistin dieses packend zu lesenden Sachbuchs, in dem man nicht nur mit den sogenannten Wolfskindern (weshalb diese so genannt werden, erfährt man im Buch), sondern auch mit der Tragödie Königsbergs zu Kriegsende vertraut gemacht wird. 

So erfährt man, dass 120 000 Zivilisten dort im April 1945 eingeschlossen waren. Ihnen war die Flucht nicht mehr gelungen oder aber die Naziführung hinderte sie daran. Diese bemitleidenswerten Menschen erlebten horribele Gewaltexzesse und totale Zerstörungswut seitens der Roten Armee, denen sie, wie der Autor schreibt, schutzlos ausgeliefert waren. Diese Gewaltexzesse sind auch Gegenstand des Buches. Beklemmend darüber zu lesen.

Das zu Kriegsende 10 jährige Wolfsmädchen Ursula ist eine Königsbergerin, kommt also aus der Stadt, die einst die Hochburg des Liberalismus war. Dort lebten die Eltern Ursulas und ihre Geschwister in ärmlichen Verhältnissen. Man erfährt von den Luftangriffen Englands, durch die 200 000 Menschen obdachlos werden und 5000 Zivilisten sterben, liest von Leichenbergen, liest hauptsächlich von Ursulas Erfahrungen täglich mit den tödlichen Gefahren zu leben, rechtzeitig in Luftschutzkeller zu gelangen, liest von den vielen Vergewaltigungen seitens russischer Soldaten, die auch an Kindern begangen werden und der Unmenschlichkeit der russischen Soldateska, die durch nichts zu rechtfertigen ist.

Man liest aber auch von der Unmenschlichkeit der Nazis im Hinblick auf die Juden und Sinti und Roma im nördlichen Ostpreußen und dem grauenvollen Verbrechen, dass die Nazischergen unter Anleitung des SS-Oberscharführer Fritz Weber an der Ostsee bei Palmicken begangen hatten, wo sie am 26. Januar bei eisiger Kälte 6000 Juden, zumeist Frauen in die Ostsee trieben und liest weiter, dass Weber zuvor 3000 der Frauen in einen Bernsteinstollen einmauern wollte, sich jedoch der dortige Bergwerksdirektor weigerte und mit Palmicker Bürgern diese halbverhungerten Menschen mit Essen versorgten. Am Ende gelingt es Weber seinen Mordauftrag  doch noch auszuführen. Nur 200 von 6000 Juden überleben. Sie werden von Palmicker Bürgern aus dem Wasser gezogen und so gerettet. 

Die wenigen Juden, die in Königsberg den 2. Weltkrieg überlebt haben, wurden zum Teil nach dem Krieg von der Roten Armee nach Sibirien verschleppt. Es interessiert die Russen nicht, dass  diese Juden Verfolgte in der Nazizeit waren. 

Bei 25 Grad Kälte versuchen die obdachlosen, ausgehungerten Bürger Königsbergs zu überleben. Dass sie in diesen Zustand gerieten, geht auf das Konto des Gauleiters Erich Koch, der die Bewohner der Geburtsstadt Immanuel Kants aus ideologischen Gründen nicht evakuieren ließ. 

Man erfährt von den Todesmärschen Königsberger Bürger zu Kriegsende, die seitens der Roten Armee betrieben wurden, immer wieder von den Massenvergewaltigungen der Frauen und Kinder seitens der russischer Soldateska  und vom großen Sterben der Ostpreußen mehrheitlich an den Folgen von Hunger. 

Ursula ist eine der wenigen, die diesen Wahnsinn überlebt haben, weil sie betteln gelernt hatte, zudem extrem achtsam war und auf ihrer Nahrungssuche in Litauen hilfsbereite Menschen fand, die ihr oft Lebensmittel schenkten. Die Litauer durften sich seitens der Russen allerdings nicht erwischen lassen, wenn sie den Wolfskindern halfen, weil ihnen ansonsten Sibirien drohte. 

Es ist unmöglich, im Rahmen der Rezension auf die vielen Facetten des Buches einzugehen, so auch auf Ursulas problematische Mutterbeziehung, durch die sie in ihrem Leben zusätzlich traumatisiert wurde. Man erfährt, wie Ursula schließlich in die DDR und später nach Westdeutschland kam, liest von ihrem Werdegang und ihrer Aufklärungsarbeit, ihren Lesungen zum Thema Wolfskinder, erfährt auch wie sie den Autor dieses Buches kennenlernte und dank Christian Hardinghaus dieses zutiefst berührende Antikriegsbuch entstanden ist.

Die 87 jährige Ursula Dorn sieht, was die Ukraine anbelangt, viele Parallelen zu dem, was sich einst in ihrer Heimatstadt Königsberg zutrug.

Es geht um die Gewaltspirale und die Gewaltexzesse, die stets Bestandteil von Kriegen sind und seitens Putin in erschreckend brutaler Weise erneut auch gegen Zivilisten und deren Kinder eingesetzt werden. 

Krieg gebiert Ungeheuer.  Deshalb darf es keine Kriege mehr geben. Das sollte jedem bewusst werden. Pazifismus ist das Gebot der Stunde.

Maximal empfehlenswert.

Helga König

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Rezension: Menschenrechte-Gerhart Baum-Benevento


Der Autor dieses Buches, Gerhart Baum, ist in diesen Tagen 90 Jahre alt geworden. Der einstige Bundesinnenminister (von 1978-1982) zählt zu den profiliertesten Verteidigern des Rechtsstaates und wurde 2021 für sein Engagement für Verständigung und Versöhnung mit dem Marion-Dönhoff-Preis ausgezeichnet. 

Gerhart Baum berichtet in diesem Buch zunächst über sein Wirken für die Menschenrechte. Es sei die Mahnung "Nie wieder Diktatur", die ihn, das Kriegskind und den Halbwaisen, zur Politik gebracht habe. Sein systematischer Einsatz für Menschenrechte habe 1992 begonnen als Hans-Dietrich Genscher ihn zum Leiter der Deutschen Delegation in der Menschenrechtskommission in Genf bestimmte, schreibt er und berichtet von seinem vielfältigen politisch-institutionellen Engagement auf diesem Gebiet, das er dann gemeinsam mit seiner Frau Renate Liesmann-Baum privat fortsetzte und einer gemeinnützige Stiftung gründete, die als Schwerpunkt Menschenrechtsaktivitäten im Fokus hat. Alle zwei Jahre vergeben die beiden einen Menschenrechtspreis, der mit 10 000 € dotiert ist. 

Damit jeder weiß, worum es in diesem Buch konkret geht, hat der Leser Gelegenheit auf den letzten Seiten die "Allgemeine Erklärung der Menschenrechte" nachzulesen. Dies die Theorie. Doch wie sieht es mit Anspruch und Wirklichkeit zur Lage der Menschenrechte heute aus? Der Autor konstatiert, dass seit 2006 die Zahl der Demokratien kontinuierlich abnimmt. Der Angriffskrieg auf die Ukraine sei ein Anschlag auf die wertegebundene Weltordnung. Die Menschenrechtsbrüche nehmen allerorten zu. Somalia und Libyen, auch Afghanistan und natürlich Syrien werden erwähnt und resümierend festgehalten, dass der Rückfall ins Archaische erschütternd sei. Dem kann man nur zustimmen.

Gerhart Baum möchte mit seinem Buch die Erfahrungen, die er in vielen Jahren in UNO-Gremien und überall in der Welt gesammelt hat, weitergeben und tut dies auch auf beeindruckende Art. Er schreibt zur Lage Russlands und wie dort jede Freiheitsregung unterdrückt wird, schreibt über Putin und dessen Machenschaften, schreibt auch über die Verhältnisse in China und fragt wieviel Freiheitswille in den Chinesen steckt. Nach seiner Ansicht wird es auf Dauer nicht funktionieren, wirtschaftlichen Erfolg bei gleichzeitigem Entzug bürgerlicher Freiheiten zu haben. 

Dass die weltweiten Krisen und die daraus resultierende Migrationsbewegungen Europa vor nie dagewesenen Herausforderungen stellt, steht für ihn außer Frage und er weiß, dass unzählige Migranten in unwürdigen Lagern auf ihre Verfahren warten und dort das Selbstbild, das Europa von sich selbst als Hort der Freiheit und Menschenwürde zeichnet, erschüttert wird.

Unterstrichen wird, dass Menschenrechte kein "westliches Projekt" sind, sondern dass sie für die gesamte Menschheit gelten. Dabei müsse man sich bewusst machen, dass es Menschenrechtsverletzungen nicht nur in Kriegszeiten gibt. Heute setzen sich Millionen von Menschen in Bewegung, um sich vor Hunger und Not zu retten, bald schon werden Menschen vor den Folgen der Klimaerwärmung fliehen. Das gibt er zu bedenken.

Das deutsche Asylrecht sei in den letzten Jahren bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt und das Flüchtlingsproblem in der Europäischen Union sei nicht gelöst worden. Wer das Weltflüchtlingsproblem lindern möchte, müsse für die Menschenrechte vor Ort eintreten, für die bürgerlichen wie auch für die wirtschaftlichen und sozialen und ihnen zur Durchsetzung verhelfen. Da kann man nur zustimmen.

Gerhart Baum schreibt u.a. über die historischen Wurzeln der Menschenrechte und lässt Menschenrechtsverteidiger wie Pico della Mirandola, Thomas Morus, Erasmus von Rotterdam, Hugo Grotius aber auch Las Casas nicht unerwähnt. Diese Wurzeln sollte man kennen und sich der Aufgabe bewusst werden, die  noch vor uns allen steht: Das Archaische  zu überwinden.

Die Charta der Vereinten Nationen kommt zu Sprache, wonach Krieg nur noch in engen Grenzen der Selbstverteidigung erlaubt ist. Weiterhin schreibt der Autor über die Entwicklung des internationalen Rechts seit 1948 und über die Menschenrechtsinstitutionen Europas. Nicht unerwähnt bleiben die Menschenrechtsverletzungen vor Gericht. Die Nürnberger Prozesse kommen zur Sprache und auch das Handeln des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag. 

Menschenrechtsverteidiger benötigten Unterstützung. Das gelte auch für Whistleblower. Gerhart Baum schreibt in diesem Zusammenhang, dass sich auch bei uns der Staat gerne allzu oft hinter angeblichen Staatsgeheimnissen verstecke und auf diese Weise die Informationsfreiheit beschränke. 

Hörigkeit und Angst müssen überwunden werden, das fordert die Verantwortung unserer Demokratie gegenüber von uns allen, damit  Menschenrechte nicht  allerorten zur Disposition gestellt werden.

Maximal empfehlenswert

Helga König

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