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Rezension: Peter J. König: Arabisches Beben- Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten-Rainer Hermann -Klett-Cotta

Rainer Hermann ist Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Als langjähriger Auslandskorrespondent hat er wie kaum ein Zweiter den Nahen Osten kennengelernt. Schon als Student war er unter anderem in Damaskus, um hier Islamwissenschaften zu studieren. Er berichtete vom Einmarsch der Iraker in Kuweit, den er selbst Vorort miterlebte. Seine weiteren Stationen waren Istanbul und Abu Dhabi, wo er einige Jahre lebte und journalistisch tätig war, bevor er anschließend Mitglied der politischen Redaktion der "FAZ" wurde. In seinem hier vorgelegten Werk "Arabisches Beben" versucht der Autor ganz akribisch zu hinterfragen, wo die Ursachen zu suchen sind, dass der Nahe Osten so aus den Fugen geraten ist, dass er mittlerweile zu den gefährlichsten und explosivsten Regionen weltweit gehört. Alles begann mit dem Untergang des Osmanischen Reichs, das zuvor jahrhundertelang für Ruhe und Ordnung in der Region sorgte, als die Türken die Ländereien dominierten von Euphrat und Tigris, auf der Arabischen Halbinsel und auch in Syrien. 

Die türkische Vorherrschaft zerbrach mit dem Ende des Ersten Weltkrieges, als die Kolonialmächte Großbritannien und Frankreich die Macht im ganzen Nahen Osten übernahmen, von Marokko über das Maghreb, Ägypten und die gesamte Levante. Als Schutzmächte sorgten sie für eine gewisse Stabilität in diesen Regionen, die aber dann brüchig wurde, als nach dem Zweiten Weltkrieg quasi auf dem Reißbrett Staaten herausgebildet wurden, die über keinen inneren Zusammenhalt verfügten und wo man die Grenzen willkürlich gezogen hatte. Mit der Entlassung in die Unabhängigkeit wurde die Machtfrage immer aktueller, die dann durch Militärputschs und despotische Herrscherhäuser in den einzelnen Ländern geklärt wurde und so wieder eine gewisse trügerische Ruhe einkehrte. 

Zugleich nahmen die Auseinandersetzungen zwischen den schiitischen und sunnitischen Glaubensrichtungen zu und mit der Gründung der schiitischen Islamischen Republik Iran entstand ein gefährlichen Gegenspieler zum saudi-arabischen sunnitischen Königshaus, zumal Russland die Ayatollahs in Teheran massiv unterstütze, während die USA die engsten Verbündeten der Saud-Dynastie waren. Den Ländern im Nahen Osten war es nicht gelungen, nach ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit eine eigene staatliche Identität zu entwickeln. Ihre Bezüge bestanden aus ihrer jeweiligen Religion, ihrer Volks- und Stammeszugehörigkeit oder ihren wirtschaftlichen Interessen, wobei alles zusammen gewürfelt war, ohne auf natürliche Weise über einen langen Zeitraum gewachsen zu sein. 

Das Militär und die Geheimdienste haben in allen Staaten des Nahen Ostens dafür gesorgt, dass der Zusammenhalt erzwungen werden konnte. Aufstände, die es immer wieder gab, wurden brachial im Keim erstickt. So konnte die Ordnung in der Region erhalten bleiben, bis zu dem Zeitpunkt als in Tunesien der sogenannte "Arabische Frühling" ausbrach und sich im ganzen Nahen Osten fortzusetzen schien. Dabei wurde Ägypten, das Land mit der größten Bevölkerung im Nahen Osten ebenso erschüttert, wie Syrien, Jemen, Libyen und der Libanon. 

Jetzt zeigt sich, dass die Länder neben ihren mangelnden Identitäten auch mit den größten wirtschaftlichen und religiösen Problemen zu kämpfen haben. Bürgerkriege und die Vorherrschaft von Sunniten oder Schiiten haben die unterschiedlichsten Formen von Milizen entstehen lassen, die alle versuchen die Macht in der Region zu erlangen und mit dem "Islamischen Staat" ist ein Gebilde entstanden, dass über den Nahen Osten hinaus die Weltherrschaft der Scharia mit Terror und Gewalt durchsetzen will. 

Rainer Hermann belässt es in seinem Buch "Arabisches Beben" nicht allein bei der Analyse der Vergangenheit und der Beschreibung des aktuellen Zustands, wo neben den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran, die um die Vorherrschaft in der Region kämpfen, auch Russland, die Türkei und die USA in diesen Konflikt involviert sind. Für den Autor ist klar, dass auf einen langen Zeitraum das Beben im arabischen Raum anhält und dass eine Entspannung in der Region nur dann zustande kommen kann, wenn die Menschen sich einer neuen staatlichen Identität bewusst werden, wenn die wirtschaftlichen Bedingungen für die Menschen sich so ändern, dass sie eine Perspektive in ihren Ländern sehen und sie nicht gezwungen sind, ihre Zukunft durch die Flucht nach Europa zu suchen.

Die Vorgänge im Nahen Osten sind seit jeher komplex und die militärischen Auseinandersetzungen im Bürgerkrieg in Syrien mit seiner Stellvertreter-Funktion macht die Situation zusätzlich kompliziert. Hier den Überblick zu bekommen, das ist der Verdienst von Rainer Hermann, der es schafft sehr verständlich und nachvollziehbar dem Leser die Zusammenhänge zu vermitteln. 

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König

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Arabisches Beben: Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten

Rezension: Die Erfindung der Leistung- Nina Verheyen- Hanser Berlin

Nina Verheyen ist Historikerin an der Universität zu Köln. Sie schreibt nebenbei Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und für den Merkur. Das vorliegende Buch hat sie in insgesamt 7 Kapitel gegliedert. Diesen gehen eine umfangreiche Einleitung voran.

Wie sie festhält, übe sie in ihrem Werk weder pauschale Leistungskritik, noch breche sie eine Lanze für das Leistungsprinzip. Vielmehr sollen ihre Ausführungen zu einem besseren Verständnis von "Individueller Leistung" als einer im Alltag mächtigen und gleichwohl unentdeckten Kategorie beitragen. Dies sei die Grundlage für eine differenzierte Kritik, die tatsächlich etwas bewirken könne, ohne sogleich das Kind mit dem Bade auszuschütten.

Die Autorin schreibt in ihrem Buch aus unterschiedlichen Perspektiven wie sich das Leistungsparadigma im Verlauf der Zeit verfestigt hat, allerdings auch immer wieder verändert wurde. Dies geschah dadurch, dass Leistungserwartungen ebenso stabilisiert wie aufgebrochen, Techniken der Leistungsmessung einerseits fortgeführt, andererseits aber auch modifiziert und schließlich Formen der Leistungsbelohnung zementiert aber auch reformiert wurden.

Der räumliche Schwerpunkt der Betrachtungen Nina Verheyens liegt auf Deutschland und führt nur ab und an in andere Länder. Es waren die Europäer, die im 19. und 20. Jahrhundert von der Leistung anderer profitiert haben und zwar durch die schon im frühen 16. Jahrhundert begonnen habende ökonomische, kulturelle und soziale Verflechtung der Welt. Nach Ansicht Verheyens sei die Leistung der westlich-modernen Welt vor allem eines: eine gelungene Zuschreibung.

Man erfährt in der Folge, wie Menschen aus vergangenen Zeiten sich die Vorstellung ihrer Leistung zu Eigen machten und welches Glücksgefühl, aber auch welches Leid damit verbunden war, wenn jemand den Anforderungen nicht entsprach. Zwar komme man an die Geschichte der Gefühle, um die es hier geht, nicht mehr heran, wohl aber an die öffentlichen Debatten und Bekenntnisse, die Gefühle zum Thema hätten. Sowohl die Debatten über "Leistungsgefühle" als auch die damit verbundenen Praktiken der Leistungszuschreibung hatten im ausgehenden 19. Jahrhundert in Deutschland für große Teile der Bevölkerung an Gewicht gewonnen.

Der bürgerliche Tugenddiskurs der Dekaden um 1800 habe- zumindest im deutschsprachigen Raum wenig mit dem optimierungswütigen, produktivitäts- und effizienzorientierten Leistungsverständnis der Gegenwart zu tun. Damals ging es um das Leisten von Gesellschaft, um Wertschätzen von Familie in dem Diskurs. Mit der Industrialisierung, Nationalstaatenbildung und der von Globalisierungsschüben geprägten Epoche habe sich ein stark auf die Erwerbsphäre bezogenes, von den Naturwissenschaften in den Bereich des Sozialen übertragenes Leistungsverständnis herausgebildet, in dessen Tradition heute noch jene stehen, die höhere Leistungen einfordern und damit nicht nur höhere Umsatzzahlen aber auch eine bessere Unterstützung für Erwerbslose.

In der Zeit zwischen dem Fin de Siècle und dem Zweiten Weltkrieg wurde das Leistungsparadigma zugespitzt und verband sich immer fester mit dem Gedanken der Leistungssteigerung. Dies führte zum einen zu rationalisierten Arbeitsprozessen und gezielt herbeigeführten Spitzenleistungen zum anderen aber auch zu kollektiven und individuellen Zusammenbrüchen. Während der Nazizeit steigerte sich das Verhalten noch mehr. So war der systematische Massenmord und die Politik der Euthanasie in den Augen des braunen Packs die Voraussetzung dafür, die Leistungskraft der "Volksgemeinschaft" weiter zu steigern.

In den 1960er Jahren begann dann die Debatte um und das Zeitalter der Leistungskritik, die auch als Kapitalismuskritik betrieben werde, anstelle zu erkennen wie sich mit Leistung gegen die dunklen Seiten des Kapitalismus streiten lasse. Dies setze aber voraus, dass man ein soziales Leistungsverständnis entwickele, dass individuelle Leistung als einen kollektiven Kraftakt begreife und als eine gemeinsame Konstruktion, die sich auch ändern lasse- sowohl auf der großen Bühne der Politik als auch im Alltag. So nämlich sei man nicht länger dem Leistungsprinzip des Kapitalismus ausgeliefert. Auf diese Weise gestalte man selbst. Dass Leistung dieser Art erfüllend und weniger stressend und selbstausbeutend ist, steht für mich außer Frage.

Ein spannend zu lesendes Buch, das ich gerne weiterempfehle.

Helga König

Überall im Fachhandel erhältlich

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