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Rezension: Kleopatras Nase- Neue Begegnungen mit der alten Geschichte- Mary Beard- S. Fischer-Geschichte

Mary Beard, die Autorin dieses Buches, lehrt Alte Geschichte an der Cambridge University und gilt in der angelsächsischen Welt als die bekannteste, lebende Althistorikerin. Beard nimmt in ihrem  Buch die Leser (m/w) mit auf einen Rundgang durch die klassische Welt. Dort lernt man die berühmtesten und berüchtigsten Charaktere der antiken Geschichte kennen. Des Weiteren gewinnt man einen Einblick in das Leben der großen Mehrheit ganz normaler Griechen und Römer.

Dabei versucht die Autorin Antworten auf viele interessante Fragen zu geben, die so von Historikern nicht oft gestellt werden. Doch das Buch handelt auch davon, wie man mit der klassischen Tradition in Dialog tritt oder sie in Frage stellen kann und weshalb es selbst im 21. Jahrhundert in den Altertumswissenschaften nach wie vor so vieles gibt, worüber man streitet. 

Untergliedert ist das Werk ist in folgende Abschnitte: 

Das antike Griechenland 
Helden und Schurken des frühen Rom 
Das kaiserliche Rom- Kaiser, Kaiserinnen und Feindinnen 
Rom von unten nach oben 
Kunst und Kultur: Touristen und Wissenschaftler 

Alle fünf Abschnitte des Buchs sind Adaptionen und Aktualisierungen von Rezensionen und Aufsätzen, die in den vergangenen Jahrzehnten in der London Review of Books, der New York Review of Books oder dem Times Literary Supplement erschienen sind. 

Diese Abschnitte sind in diverse Kapitel untergliedert. So geht es u.a. in einem der Kapitel um die Frage, worum es in der Dichtung Sapphos tatsächlich gegangen ist oder in einem anderen, was die Menschen im antiken Griechenland zum Lachen brachte. Über römische Kunstdiebe und über den Plan zu Cäsars Ermordung kann man sich kundig machen, liest über Wahrsagerei  in der Antike, auch über Leben und Tod im römischen Britannien sowie über vieles andere mehr. Dabei sind die Textbeiträge alle kurzweilig geschrieben und bringen dem Leser vor allem Details des antiken Alltagslebens nahe. 

Empfehlenswert 

Helga König

Im Fachhandel erhältlich
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Kleopatras Nase: Neue Begegnungen mit der Alten Geschichte

Rezension: Das #Bild-Buch-Taschen

Herausgeber dieses umfangreichen Werkes sind die Journalisten Julian Reichelt und Kai Diekmann. Das BILD-Buch ist eine Art Kompendium  von rund 700  Original-Titelseiten der BILD-Zeitung von 1952 an. 

65 Jahre schon werden die Leser der #BILD-Zeitung mit Schlagzeilen konfrontiert, die in intellektuellen Kreisen zumeist mit Kopfschütteln oder Verärgerung quittiert werden. 

Man muss kein BILD-Zeitungsfan sein, um diesen Band zu erwerben. Es genügt, wenn man dem Zeitgeist im Laufe der letzten 65 Jahre hierzulande nachspüren möchte und begreifen will, auf was Millionen von Lesern täglich sprachlich und inhaltlich angesprochen haben und es noch immer tun.

Texte von Stefan Aust, Viali Klitschko, Jean-Remy von Matt, Ferdinand von Schirach und Franz Josef Wagner sind dem Titelblatt-Kompendium vorgeschaltet. 

#Stefan_Aust, Herausgeber der "Welt", schreibt in seinem mehrseitigen Beitrag  gleich zu Beginn von dem revolutionären Konzept dieser Zeitung, in der Bilder eine entscheidende Rolle spielen. Dieses Blatt war, wie er festhält, damals auf der Linie der Adenauer-Regierung, proamerikanisch, sowjetkritisch und "ein wenig tolerant den Ewiggestrigen gegenüber". Sein Thema habe die Zeitung am 17. Juni 1953 (Mauerbau in Berlin) gefunden und hielt es bis zum Zusammenbruch der DDR  bei, schreibt Aust weiter.

1955 bereits hatte die BILD 1,5 Millionen Leser täglich und interpretierte nun die Realität auf ihre Weise. Wie Aust  festhält, traf die BILD die kollektive Stimmung der damaligen Ära. Er fasst diese in wenigen Worten zusammen: "Vorwärts und schnell vergessen."

Es führt zu weit, im Rahmen der Rezension, den von Aust zusammengefassten BILD- Zeitungsverlauf gekürzt hier wiederzugeben oder gar die vielen Titelseiten zu interpretieren bzw. zu kommentieren.

Ich stimme Austs Resümee zu, dass auf dem großen Marktplatz des öffentlich-rechtlichen Fernsehens allabendlich im Grunde alles abgehandelt wird, was den Zeitgeist ausmacht und bestimmt. Den aufgeregten Boulevardzeitungen, allen voran die BILD, bleibt deshalb nur noch "die knisternde Lunte ihrer Ermittlungen an den Scheiterhaufen zu halten, der dann Abend für Abend neu entflammt wird: auf dem großen Marktplatz des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens."

Übersetzt heißt das wohl: die Macht der BILD-Zeitung ist kleiner geworden. Vielleicht gehört sie sogar bereits dem Gestern an. Das würde den Jubliäumsband zu einem Dokument damit  abgeschlossener Zeitgeschichte machen.

Die Titelseiten, die in diesem Buch zusammengefügt worden sind, sind eindeutig ein Zeitdokument, das viel über unsere Gesellschaft, deren Interessen, Sensations- und Klatschsucht sowie Politikverständnis  aussagt. 

Bester Aufmacher war eindeutig;  "Wir sind Papst". Auf solch eine Schlagzeile muss man erst einmal kommen. Chapeau dem Verfasser!  Mit diesem Satz geht die BILD-Zeitung in die  Pressegeschichte ein, wenn alles andere lange vergessen ist.


Empfehlenswert 

Helga König
Im Fachhandel erhältlich

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Das BILD-Buch

Rezension Peter J. König:Das geheime Frankreich Geschichten aus einem freien Land -Nils Minkmar S. Fischer

Damit wir Deutschen unseren Nachbarn, engsten Partner in der EU und den Sehnsuchtsort so vieler hierzulande besser kennenlernen, bedarf es eines profunden Kenners, der Frankreich und die Franzosen uns näherbringt. Nils Minkmar, in Saarbrücken geboren, Inhaber sowohl der französischen als auch der deutschen Staatsangehörigkeit mit familiären Wurzeln in Frankreich, hat das tief blickende und sehr kurzweilig geschriebene Buch: "Das Geheime Frankreich – Geschichten aus einem freien Land", gemeinsam mit dem S. Fischer Verlag auf den Weg gebracht. 

Der Autor und Journalist, der seit 2001 zunächst Redakteur bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und seit 2012 Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war und seit Mai 2015 für das Magazin Spiegel schreibt, zeigt hier auf, was die Franzosen wirklich ausmacht. Dabei bedient er sich seiner Erfahrungen bei seinen Großeltern in Bordeaux und der zahlreichen Verwandtschaft, der er immer wieder bei seinen Ferienaufenthalten dort begegnet ist. In jungen Jahren zunächst eher befremdlich, war es eine zufällige Begegnung in einem kleinen naturhistorischen Museum in einem Park von Bordeaux, die in ihm als Dreizehnjähriger die Erkenntnis wachsen ließ, wie er dieses Frankreich einzuordnen und zu verstehen hat. Da waren die wohlgeordneten Exponate, die die Evolutiongsgeschichte erzählten, und in einem verborgenen, eigentlich nicht zugänglichen Raum hinter einer Tapetentür eine andere Welt, die Welt der Missbildungen, Fehlkonstruktionen und seltenen Variationen der Natur, die sich eigentlich nicht mit der allgemeinen Ordnung in Einklang bringen ließen. Dieses Erlebnis des Autors hat sein Erscheinungsbild von Frankreich geprägt, einem Frankreich, das sich als "eine lichtdurchflutete, geordnete Welt zeigt, von der eine logische, ja zwingende Geschichte erzählt. 
Aber da existiert noch eine weitere Version, eine Kammer, zu der man Zutritt hat oder nicht". 

Diese Vorstellung führt dazu, dass sowohl in der öffentlichen als auch in der privaten Vorstellung seit Jahrhunderten von einer verborgenen Ordnung, von schwarzen Kabinetten und geheimen Machtstrukturen die Rede ist, so der Autor. Die individuelle Besonderheit und den Zusammenhalt der französischen Familie hat Nils Minkmar dann mit fortschreitendem Alter erfahren und erleben dürfen, und wie unterschiedlich diese Bindungen und Ausformungen doch zu deutschen Familienstrukturen sind. Frankreich und seine kulturelle Entwicklung hat die Menschen nachhaltig geprägt, in ihren Herzen ist das Land noch immer Inbegriff der "Grande Nation", kulturell und politisch überlegen, was zwangsläufig zu einer gewissen Skepsis gegenüber allen anderen Nationen führt. 

Es sind die großen Denker und Philosophen der Vergangenheit, die dieses Bewusstsein untermauern und es sind die heutigen Intellektuellen und Literaten, die ein neues französisches Selbstbewusstsein der zuletzt jahrzehntelangen Depression entgegenzustellen versuchen. Macron, der junge charismatische Präsident ist Anführer des erneuerten Denkens. Er und die bekanntesten Persönlichkeiten der französischen Gesellschaft, wie Bernard-Henri Levi, Michel Houellebecq, Patrik Modiano, die Philosophin Cynthia Fleury und die Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo werden hier porträtiert und Nils Minkmar berichtet von den Interviews mit ihnen. 

Daneben kommen natürlich auch seine persönlichen Erfahrungen und Erinnerungen mit Frankreich, seinen kulturellen Gewohnheiten und nicht zuletzt mit seiner ganz besonderen Lebensart nicht zu kurz. Der Autor schildert wie er immer wieder als Journalist durch das Land reist, immer auf der Suche nach der Tradition, aber auch dem sich ändernden Zeitgeist, sowohl im öffentlichen Frankreich, als auch dem privaten. Paris ist dabei selbstverständlich der Mittelpunkt, so wie der Zentralismus des Landes es vorgibt. 

Aber auch die unterschiedlichsten regionalen Besonderheiten hat der Autor im Visier, zumal er seine französische Identität einst bei seinen Großeltern in Bordeaux erworben hat. Neben aller kulturellen und politischen Aufklärung geht es Nils Minkmar darum, sehr persönliche Eindrücke zu vermitteln. Und da spart er nicht mit ganz speziellen Erfahrungen des täglichen Lebens, wenn er erzählt wo es sich in Paris noch angemessen und preiswert schlafen und essen lässt. 

Ein ganz besonders Kapitel widmet der Autor den Frauen in Frankreich, prägen sie von jeher doch die Familie, während ihr Stand in der öffentlichen französischen Gesellschaft bis auf einige Ausnahmen eher weniger in Erscheinung tritt. Dies war in der Vergangenheit so und hat sich bis heute kaum verändert. Diese Tatsache ändern auch solche Ikonen wie die bekanntesten französischen Schauspielerinnen oder weiblichen Intellektuellen nicht. 

Macron versucht auch hier einen Wandel einzuleiten, immer mehr bestens ausgebildete Frauen bekommen den Zugang zu höchsten Ämtern in Politik und Wirtschaft. All dieses hat der Autor Nils Minkmar in seinem Buch "Das Geheime Frankreich-Geschichten aus einem freien Land" thematisiert und erzählt das Wissenswerte kurzweilig und sehr informativ. So gelingt es ihm, uns die Franzosen näherzubringen und das Interesse an unseren Nachbarn zu wecken und womöglich zu vertiefen. 

In Hinblick auf ein Zusammenwachsen von Europa besonders wertvoll, ist das Buch eine erfreuliche Gelegenheit über das touristische Frankreich hinaus mit der wahren Größe der Franzosen sich anzufreunden. 

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König

Überall im Fachhandel erhältlich.

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Das geheime Frankreich: Geschichten aus einem freien Land

Rezension Peter J. König: Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen -Ulrich Wickert- Hoffmann und Campe

Ulrich Wickert, einer der bekanntesten und beliebtesten deutschen Journalisten, der sich auch einen respektierten Namen als Autor von Kriminalromanen und zeitgenössischen Sachbüchern gemacht hat, versucht in seinem neuesten Werk: "Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen" dem Leser dieses Land näherzubringen, das schon immer das Herz des ehemaligen Frankreich-Korrespondenten der ARD und Tagesthemen-Moderators gefangen genommen hatte. 

Dass Wickert gerade zu diesem Zeitpunkt sich die Mühe dieses Buches gemacht hat, liegt ganz bestimmt daran, dass die Franzosen einen neuen Präsidenten gewählt haben und mit Emanuel Macron keinen aus den Reihen der etablierten Parteien der Sozialisten oder Republikaner und auch nicht des Front National, nein Frankreich hat sich für diesen jungen, charismatischen, doch parteilosen Kandidaten entschieden, der der "Grande Nation" wieder Glanz und Bedeutung in Europa und in der Welt bringen soll. 

Dies ist der Zeitpunkt, den Ulrich Wickert mehr als angemessen findet, um speziell uns Deutschen dieses Frankreich näher zu bringen, das doch so ganz anders "tickt" wie wir. Um die französische Seele, seine Kultur und letztendlich seinen Anspruch zu verstehen, bemüht Wickert zunächst einen Rückblick in die Geschichte des Landes, natürlich mit der fundamentalen Veränderung durch die "Französische Revolution" und ihrer Folgen. Ebenso wird die wichtige Rolle der französischen Denker und Philosophen dabei hinterfragt, ohne die dieses alles verändernde Ereignis gar nicht hätte stattfinden können. Im Anschluss daran wird nach der Rolle der heutigen Intellektuellen des Landes geforscht, und welche Bedeutung sie überhaupt noch haben. 

Es ist nicht von ungefähr, dass Macron im Vorfeld der Präsidentenwahl ein Buch herausgegeben hat, das den gleichen Titel trägt: "Revolution", in Anlehnung an dieses weltgeschichtliche Ereignis von 1789 und seinen Folgen. Und nichts anderes hat der neue Präsident Frankreichs sich vorgenommen. Er will das Land, Europa, aber auch seine Landsleute revolutionieren, alles erneuern, um sie so für die Globalisierung, die Digitalisierung und die drohenden Probleme in der Welt fit zu machen. Dass dies gerade in Frankreich nicht sehr einfach ist, dies zeigt Wickert hier deutlich, wenn er die Franzosen mit ihren Traditionen, ihren kulturellen Besonderheiten, ihren regionalen Wurzeln und ihrem zentralistischen Staat skizziert, um die Unterschiede zu uns herauszuarbeiten.

Er gibt Einblicke in das Verhalten französischer Präsidenten seit Charles de Gaulle bis hin zu Macron, ihr Leben und Wirken im Élysée- Palast, ihr präsidiales Auftreten, das auch nicht ihre Beziehungen zu ihren Maitressen verschweigt, die seit jeher immer eine nicht zu unterschätzende Bedeutung in der französischen Lebensart innehatten, eine Tradition, die ausgehend vom Adel, gerne nicht nur in der bourgeoisen Oberschicht übernommen wurde. 

Man erfährt ebenso etwas über die besonderen Beziehungen, die einige französische Präsidenten zu deutschen Kanzlern pflegten. Dazu gewährt Ulrich Wickert auch immer wieder die Möglichkeit die Sozialisation der Franzosen kennenzulernen, wobei er einen besonderen Blick auf die Eliten wirft, die anders wie in Deutschland nicht primär auf Geld aufgebaut sind, sondern ihren harten Weg durch die besten Schulen und Universitäten des Landes zunächst suchen müssen, um all die Spitzenpositionen einzunehmen, die ihnen Privilegien, Geld und Ansehen bringen, ohne die in Frankreich kaum eine politische Karriere möglich ist. 

Ulrich Wickert versteht es prächtig all diese Details, die die Franzosen doch so unterschiedlich von uns Deutschen charakterisieren, in einem spannenden, dabei sehr kurzweiligen Stil mitzuteilen, wobei er sehr vieles aus eigener Erfahrung belegt. Als Sohn eines Diplomaten, der zunächst auch in Paris zur Schule gegangen ist, hat er Frankreich von innen kennengelernt und dabei seine unsterbliche Liebe zu Land und Leuten entdeckt. Diese hat sich vertieft, als er als einer der wichtigsten Korrespondenten Deutschlands die Franzosen in allen Belangen begleitet hat. Und dies gilt nicht nur für die Politik, es gilt ebenso für die französische Küche, für viele glamouröse Ereignisse auf allen kulturellen Ebenen, aber auch von Skandalen und Intrigen wusste er zu berichten. 

All diesen Fundus hat der ironische, welterfahrene Journalist, der auch noch einen zweiten Wohnsitz auf den Anhöhen oberhalb Nizzas in der Nähe von Vence besitzt, auf eine sehr erhellende Art niedergeschrieben, wobei er weder mit persönlichen Erfahrungen spart, noch darauf verzichtet, hier und da einen interessanten Tipp für erstklassige Restaurants oder verschwiegene Bistrots en passant zu verraten. Da blitzen seine profunden Kenntnisse auf und er versteht es glänzend diese in Szene zu setzen. 

Ulrich Wickert ist hier ein großartiges Buch gelungen, mit dem er bei gleichgesinnten Freunden der Franzosen offene Türen aufstößt, und es sollte ihm hiermit auch gelingen, auch dem weniger frankophilen Leser sehr viel Erhellendes zu zeigen. Tatsächlich ist das Buch: Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen“ genau zum richtigen Zeitpunkt auf den Markt gekommen, denn mit Macrons neuem europäischen gemeinsamen Aufbruch wird auch ein Gegengewicht zu der gewissen Rückwärtsgewandtheit hierzulande gebildet, und da ist es besonders wichtig zu wissen, wie unsere Schwestern und Brüder jenseits des Rheins "gestrickt" sind. Ulrich Wickert weiß es genau, und er hat es mit viel Liebe und großer Offenheit erzählt. 

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König

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Frankreich muss man lieben, um es zu verstehen

Die Politik der Demütigung- Ute Frevert- Schauplätze von Macht und Ohnmacht-S. Fischer

#Ute_Frevert, die mehrfach ausgezeichnete Autorin dieses Werkes zählt zu den wichtigsten deutschen Historikern. Sie hat Neuere Geschichte in Berlin, Konstanz und Bielefeld gelehrt, war Professorin an der Yale Universität und leitet seit 2008 den Forschungsbereich "Geschichte der Gefühle" am Max -Planck Institut für Bildungsforschung in Berlin.

Im vorliegenden Buch verdeutlicht sie wie sich #Demütigung als Machtmittel im Laufe der letzten 250 Jahre verändert hat. Die Autorin fragt, woher das Bedürfnis, andere Menschen, sogar die eigenen Kinder vorzuführen und öffentlich bloßzustellen, kommt. Sie möchte wissen, welchen Zweck und welche Wirkungen solche Beschämungen entfalten und weshalb sie sogar in Gesellschaften verbreitet sind, die Würde und Respekt groß schreiben. In diesem Zusammenhang fragt sie, ob hier tatsächlich das "finstere Mittelalter" fortlebt oder ob die aufgeklärte Moderne eigene Beschämungsenergien mobilisiert und neue Demütigungspraktiken erfindet.

In der öffentlichen Beschämung werde stets Macht demonstriert. Das geschieht, indem der Beschämende andere Menschen vor Augenzeugen in die Knie zwingt, um auf diese Weise seine herausgehobene Position zu bekräftigen. Scham sei eine soziale, interpersonale Emotion. Deshalb findet das Drama von Macht und Ohnmacht, Scham und Schande, Täter und Opfer stets auf öffentlichen Schauplätzen statt. 

Für den Philosophen Avishai Margalit, den Frevert u.a. in ihrem umfangreichen Werk erwähnt, zeichnet sich eine anständige Gesellschaft dadurch aus, dass ihre Institutionen Menschen nicht demütigen und deren Würde achten. 

Heutige Gesellschaften nutzten Beschämung und Demütigung als soziale und politische Machttechnik. Indem eine Person öffentlich vorgeführt wird, wird sie symbolisch aus der Gruppe ausgeschlossen und bestraft. Demütigungen lassen sich als Praktiken der Nichtachtung begreifen. Ziel sei die Zerstörung jeglicher Ehre und Achtung, einschließlich der Selbstachtung. "Geltungswert" und "Achtungsanspruch" sind nur schwer wieder herstellbar nach einer öffentlichen Beschämung oder Demütigung. Das unterscheidet diese von Beleidigungen. Letzteren fehle das Element der Macht, zudem der sanktionierende Charakter. 

Scham als soziokulturelle Konvention erlernen Kinder von ihren Bezugspersonen dadurch, dass sie diese beobachten, sie von diesen angeleitet oder korrigiert werden. Frevert klärt in drei großen Abschnitten auf, wie im Laufe der Geschichte Demütigung als wirkungsvolles Machtmittel gesellschaftlich und politisch eingesetzt wurde. Von Schand- und Ehrenstrafen in der frühen Neuzeit über den "Symbolischen Pranger" im Nationalsozialismus, hin zu den öffentlichen Beschämungen im Hier und Heute, aber auch in der Sprache der Demütigung in der internationalen Politik werden eine Fülle von Fakten und Praktiken der Beschämung ausgebreitet, die bekunden, wie Menschen  bzw. Regime handeln, die andere um jeden Preis dominieren wollen. Das Internet bietet unerschöpfliche Möglichkeiten der Demütigung Dritter an. Dies sollte zu denken geben.

Die Tatsache, dass die Menschenwürde hierzulande ein Rechtsgut ist, hindert Ellenbogenmenschen in unserer Gesellschaft nicht, sich mit dem Mittel der Demütigung durchsetzen zu wollen. Sich deren abgründige Absichten bewusst zu machen- das Buch hilft dabei- ist eine sinnstiftende Möglichkeit, einer auf  Anerkennung und Respekt basierenden Gesellschaft den Weg zu ebnen.

Sehr empfehlenswert,

Helga König

Überall im Fachhandel erhältlich
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Die Politik der Demütigung: Schauplätze von Macht und Ohnmacht

Rezension: Lob der Macht- Rainer Hank- Klett-Cotta

Autor dieses Buches ist der mehrfach ausgezeichnete Wirtschaftsjournalist #Rainer_Hank. Er ist seit 2001 Leiter der Wirtschafts- und Finanzredaktion der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. 

In der vorliegenden Publikation befasst er sich ausgiebig mit dem Phänomen der Macht, um schließlich für ein neues, unverkrampftes Verhältnis zur Macht zu plädieren. In seiner Machtbeschreibung macht er deutlich, dass Macht Raum benötigt, sie verkörpert werden muss und zur Repräsentation erzwingt. Macht sei stets mehr als eine Idee, sie  sei immer sichtbare Realität. Dabei ist sie stets auf Akzeptanz angewiesen. Insofern sei Populismus eine notwendige, wenngleich noch nicht hinreichende Voraussetzung jeder Machtpolitik. 

Macht, die meine, sich solipsistisch und ausschließlich egoistisch durchsetzen und verteidigen zu können, werde mit Sicherheit scheitern. Macht könne man sich nicht nehmen, man bekomme sie verliehen. Hank belegt dies an Beispielen. 

Bei allem sei sich Macht ihrer selbst nicht sicher, insofern eine riskante Angelegenheit. Macht sei zudem bestreitbar und werde unablässig bestritten.

Davon ausgehend, dass Macht weder gut noch böse sei, betrachtet der Autor sie als bloße Wirklichkeit, die es gerade in ihrer Ambivalenz anzuerkennen gelte. Macht halte weder etwas von Moral noch von Recht. Versuche sie ihnen unterzuordnen müssten scheitern, weil Macht ihr eigenes Reich und Recht beanspruche. Sie bediene sich unterschiedlicher Mittel sich durchzusetzen, so etwa des Neides, der Rache aber auch einfühlender Empathie. Jedes Mittel, das zielführend sei, sei ihr recht. Wer Macht anstrebt, benötige ein gerütteltes Maß an Selbstüberschätzung, komme am raschesten zum Erfolg, wenn er seinen Machttrieb moralisch tarnt, liest man und darf sich anhand von Beispielen von dieser und anderen Thesen im Buch überzeugen. 

Man lernt namhafte Machtbiographien aus der Wirtschaft kennen, so etwa jene von Thomas Middelhoff, Martin Winterkorn und Ferdinand Piech. Zudem reflektiert Rainer Hank Fortune im Zusammenhang mit Macht und zeigt, dass sie nicht selten als Entlastung herhalten muss, um eigenes Versagen im Machtkarussell zu relativieren. 

Ohnmacht ist  logischerweise  auch ein Thema. Hier wird auch zur Sprache gebracht, dass sie Anstoß zur Emanzipation sein kann und es wird daran erinnert, dass der Mächtige und der Machtlose in einem symbiotischen Verhältnis wechselseitiger Abhängigkeit stehen, das letztlich beiden schadet.

Mit Geld- es ist die Brechstange der Macht - ist es möglich in einer Marktwirtschaft Macht zu kaufen. Geld ist der Hebel, der auf den Finanzmärkten dazu dient, den Einsatz und damit Macht zu vervielfältigen. 

Hank zeigt, wieso Utopien der Machtlosigkeit scheitern müssen. Der Autor erwähnt hier Thomas Morus und dessen Utopie, aber auch Francis Bacon, um die Problematik aufzuzeigen. 

Für den Wirtschaftsjournalisten der FAS ist eine Macht-Gesellschaft, in der alles auch anders sein kann (gemeint ist eine Gesellschaft, in der es Wettbewerb gibt) der Gesellschaft der Machtlosigkeit vorzuziehen. Sofern der Preis der Utopie der Machtlosigkeit ein System der Unterdrückung sei, könne man am Ende nur ein Loblied auf die Macht anstimmen. 

Ich möchte dieser Meinung weder zustimmen, noch sie verneinen, sondern sie einfach so im Raum zur Diskussion stehen lassen. 

Lesenswert ist das Buch sehr, obschon mir der Titel überaus provokant erscheint. Doch offenbar ist genau dies gewollt. 

Empfehlenswert für alle, die begreifen möchten wie und warum Macht funktioniert und weshalb es Argumente gibt,  mit ihr entspannt umzugehen.

Helga König

Überall im Fachhandel erhältlich

Rezension: Die Aufklärung- Johann Saltzwedel (HG.)- Das Drama der Vernunft vom 18. Jahrhundert bis heute- DVA

Herausgeber dieses Buches ist der SPIEGEL-Redakteur Johann Saltzwedel. Er lässt im hier vorliegenden Werk eine Vielzahl von Spiegelautoren und Historiker zu Wort kommen, die die Epoche der Aufklärung in ihrer ganzen Vielfalt und Vielstimmigkeit darstellen. 

Untergliedert sind die Texte in vier Kapitel 

1. Vom Glauben zur Erkenntnis 
2. Vernunft für eine bessere Welt 
3. Neugierde und Sensibilität 
4. Das Erbe der Epoche 

Den vier Kapiteln vorangestellt sind das Vorwort und die Einleitung des Herausgebers. 

Für die Aufbruchstimmung der Epoche der Aufklärung war kritisch- unbefangenes Fragen entscheidend. Einigkeit bestand seitens der europäischen Intellektuellen in den Zielen: religiöse Toleranz, Bildung möglichst vieler Menschen, freie öffentliche Diskussion um die besten Argumente und Methoden, bürgerliche Solidarität anstelle von Fürstenwillkür und Untertanengeist, Vernunft und Selbstdisziplin zum Wohle nicht nur eines Landes, sondern vielmehr globaler Humanität, so Saltzwedel. Umstritten blieb, wie sich die Ideale realisieren ließen und wo der Schwerpunkt zu lokalisieren war. Die Grundfragen nach Vernunft und Humanität, Menschlichkeit und Natürlichkeit, um die damals gerungen wurde, sind leider noch immer unbeantwortet.Von daher bedeute Aufklärung zu studieren und sie stets aufs Neue zu betreiben.

Unmöglich hier die vielen Beiträge zu benennen. Nicht unerwähnt lassen möchte ich aber  das Interview, das Johannes Saltzwedel mit dem Historiker Prof. Dr. Martin Muslow führte, der den Untergrund radikaler Aufklärer erforscht, die für ihre Überzeugung ihre Existenz riskierten. Erwähnen auch möchte ich natürlich die "Encyclopédie", in der das gesamte Menschheitswissen versammelt werden sollte. Saltzwedel nennt es das wirkungsvollste intellektuelle Unternehmen der Aufklärung und sieht darin den Vorboten zur Revolution. 

Man liest von Denis Diderot, der gemeinsam mit 140 Dichtern, Denkern, Mathematikern, Ärzten und Philosophen an der "Encyclopédie" arbeitete. Die Obrigkeit und die Zensurbehörden reagierten mit Verboten und Schikanen, doch sie vermochten das Kompendium der Aufklärung nicht zu verhindern und so wurde es zum Vorboten der Revolution. Denis Diderot verfasste selbst rund 5000 Artikel. Er starb übrigens 5 Jahre vor dem Sturm auf die Bastille. 

Auch Rousseau ist ein Thema im Buch. Wie kaum ein anderer hat er die Zivilisation kritisiert. Der "Visionär reiner Menschlichkeit" wie Romain Leick ihn nennt, war unter den Aufklärern ein Außenseiter. Man liest über Rousseaus Erziehungsroman "Émile", ein Buch, das in Paris veröffentlicht und in Genf verbrannt wurde und erfährt, dass der Außenseiter zugleich modern wie antimodern war, ein Utopist und ein Kulturpessimist, vor allem jedoch der träumende Verkünder der natürlichen Güte der Menschen- und der Entdecker des Kindes.

Lessing soll ein Musterfall eines Aufklärers gewesen sein. Für ihn war Aufklärung Suche. Er dachte sie radikal als Prozess, schreibt C-F Berghahn. Man liest u.a. über Lessings aufklärerische Ästhetik und natürlich über sein letztes Stück "Nathan der Weise"- Hier hat er die großen Themen seines Lebens gebündelt und unter dem Leitmotiv der Toleranz zusammengeführt. 

Freiherr von Knigge übrigens soll ein umtriebiger Weltverbesserer gewesen sein. Über ihn informiert Angela Gatterburg. Sie hat zudem auch über die Freimauer geschrieben, deren Ursprünge im Mittelalter liegen. Lessing, Goethe und auch Mozart gehörten diesem Geheimbund an, der offenbar auch aufklärerische Elemente besaß. 

Der Göttinger Experimentalphysiker Georg Christoph Lichtenberg war wohl einer der größten Geister der Spätaufklärung und bekannt für seine Aphorismen. Seine Vorlesungen sollen stets überlaufen gewesen und es sollen Gelehrte aus halb Europa zu ihm nach Göttingen gepilgert sein. Ganz ähnlich wie zum wichtigsten Anreger der bürgerlichen Aufklärung in Deutschland, dem Philosophen Immanuel Kant, über den Alexander Kosenina schreibt.

Das wunderbare Buch hilft dabei zu begreifen, weshalb Aufklärung ein Prozess ist, der vermutlich niemals aufhört, solange es Menschen gibt. 

Johann Gottfried Herder sagt nicht grundlos: "Alle Aufklärung ist nie Zweck, sondern immer Mittel; wird sie jenes, so ist's Zeichen, dass sie aufgehört hat, dieses zu sein."

Zweck kann im Grunde nur die Humanität sein, ein Ziel das noch sehr viel Aufklärung nötig hat, wie wir alle wissen.

Empfehlenswert 

Helga König

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Die Aufklärung: Das Drama der Vernunft vom 18. Jahrhundert bis heute - Ein SPIEGEL-Buch

Rezension: Der große Ausbruch- Von Armut und Wohlstand der Nationen- Angus Deaton Klett-Cotta

Angus Deaton ist Professor für Wirtschaftswissenschaften in Princton. Für seine Analysen von Konsum, Armut und Wohlfahrt erhielt er 2015 den Nobelpreis für Wirtschaft. Im vorliegenden Buch berichtet er wie der Wohlstand langsam zunahm, wie und weshalb es zu Fortschritten kam und wie sich im Anschluss daran das Wechselspiel zwischen Fortschritt und Ungleichheit gestaltete. 

Wenn Deaton über Freiheit spricht, dann meint er die Freiheit, ein gutes Leben zu führen, um Dinge zu tun, die das Leben lebenswert machen. Der Autor unterstreicht, dass der Mangel an Freiheit gleichbedeutend mit Armut, Entbehrung und schlechter Gesundheit sei. Besagtes Schicksal erleiden leider immer noch ein empörend hoher Prozentsatz der heutigen Weltbevölkerung. 

Vor etwa 250 Jahren begann die Menschheit die Ketten von Tod und Entbehrung zu sprengen, so der Nobelpreisträger. Diese Befreiung dauere bis heute an. 

Deaton macht deutlich, dass der gesundheitliche Fortschritt Gesundheitsungleichheiten erzeugt und zwar in der Weise wie der materielle Fortschritt Lebensstandards immer weiter auseinanderklaffen lässt. 

Das  sehr faktenreiche Buch ist in drei Teile untergliedert: 

Teil I Leben und Tod 

Teil II Geld 

Teil III Helfen 

Diesen Teilen vorgeschaltet ist die Einleitung und ein Kapitel, das die Überschrift "Wohlbefinden – eine globale Bestandsaufnahme" trägt. 

Teil I befasst sich mit dem Thema Gesundheit. Hinterfragt wird, auf welche Weise die Vergangenheit noch immer unseren heutigen Gesundheitszustand prägt, weshalb die Hunderttausende von Jahren, die die Menschen als Jäger und Sammler verbrachten, für das Verständnis unseres heutigen Gesundheitsstatus von Bedeutung sind und weshalb die Revolution der Sterblichkeit, die im 18. Jahrhundert ihren Anfang nahm, Maßstäbe setzte, die sich in den heutigen Fortschritten im Bereich der Gesundheit widerspiegeln. 

Teil II  reflektiert die materiellen Lebensstandards. Dabei betrachtet der Autor die Lebensstandards in der Welt gesamt. Hier zeigt sich ein Rückgang der globalen Armut seit 1980, dessen Ursachen im Wirtschaftswachstum von China und Indien begründet liegen. Trotz dieser Tatsache leben allerdings nach wie vor 1 Milliarde Menschen in furchtbarer Armut. Den "Ausbruch", um den es Deaton  als Verwirklichung eines alten Menschheitstraums (Paradies auf Erden) geht, haben demnach leider noch immer nicht alle geschafft.

Teil III Hier geht es darum, aufgrund der Befunde der vorhergehenden Kapitel, was zu tun und zu unterlassen ist, um die Armut und die Krankheiten weltweit zu bekämpfen. Deaton sieht eine moralische Verpflichtung für alle Menschen darin, die in wohlhabenden Ländern geboren werden, allen zu helfen, die Armut und Krankheit noch nicht entkommen sind. Die Chancen stehen nicht schlecht trotz vieler Gefahren, die unserer Zivilisation drohen, vor allem der Klimawandel, für den es noch keine klare, politisch umsetzbare Lösung gibt. 

Das Bildungsniveau wird weltweit steigen und so wird die Wahrscheinlichkeit trotz aller Rückschläge und Hindernisse immer größer, dass die Menschheit sich in ihrer Gesamtheit von Armut und Krankheit befreien wird. Voraussetzung allerdings ist Fairness und Offenheit derer, die bereits befreit sind. Handelshemmnisse aufzuheben ist eine wichtige Maßnahme, um in der gesamten globalisierten Welt Wohlstand und Gesundheit zu ermöglichen.

Prof. Dr. Angus Deaton in seinen Empfehlungen zu folgen, heißt sinnstiftend zu handeln.

Empfehlenswert

Helga König

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Der große Ausbruch: Von Armut und Wohlstand der Nationen

Rezension: Digitale Erschöpfung- Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen-Markus Albers- Hanser

Markus Albers, der Autor dieses Buches ist Mitbegründer und Geschäftsführender Gesellschafter von Redthink als auch der Beratungsplattform Neuwork. Albers hat bereits zwei Bücher geschrieben, zu denen er Vorträge hält, zudem moderiert er Panels und Workshops und schreibt Kolumnen. 

Thema der vorliegenden Publikation ist unsere neue Arbeitswelt, die nicht nur sehr stressig ist, sondern offenbar auch Zeit raubt für ruhiges, besonnenes, effektives Arbeiten. 54 Prozent aller Berufstätigen in Deutschland arbeiten nach einer aktuellen Studie "teilweise oder ausschließlich" mobil. Ihre Arbeiten erledigen sie von wechselnden Orten aus bzw. auf Reisen. Dabei nutzen sie Laptops (97%), Smartphones (93%), oder aber Tablets (62%). 

Die Entwicklung zeigt: Es ist davon auszugehen, dass die Präzenskultur am Arbeitsplatz ausstirbt. Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass die Anwesenheit am Arbeitsplatz keine Qualifikation und kein Leistungsnachweis sind.

Die neue Art des Arbeitens führt zum sogenannten Multitasting, d.h. mehrere Aufgaben werden gleichzeitig erledigt und das überfordert lt. Digital Work Report nahezu jeden zweiten Deutschen. 40 Prozent der Befragten klagten über zu viele E-Mails; 35 Prozent über zu viele ineffiziente Meetings, so Albers. 

Die vormalige Hoffnung, dass Technologie ein besseres Leben ermöglicht, weicht mittlerweile der Ernüchterung. Digitale Erschöpfung im Buch meint die konkrete, individuelle Erschöpfung, die das Always-On des Digitalen in uns Menschen auslöst, zugleich aber auch die abstrakte, begriffliche eines in sich erschöpfenden Heilsversprechens. 

Der Autor zeigt auf, wie man trotz der unumkehrbaren Digitalisierung unserer Arbeitswelt und in der Folge unseres gesamten Lebens Inseln der Autonomie, der Introspektion und des unverstellten menschlichen Miteinanders zurückerobert. Das macht er übrigens sehr gut.

Untergliedert in zwei große Abschnitte, lernt man zunächst die Irrwege in Zeiten der Digitalisierung kennen, um anschließend auf eine Vielzahl von Auswegen hingewiesen zu werden, die wieder sinnstiftendes Leben und Arbeiten ermöglichen. Man erfährt mehr über das sogenannte neue Arbeiten und was deren Befürworter konkret wollen. Dem Wunsch der Arbeitnehmer von überall arbeiten zu dürfen, wird dadurch nachgegeben, indem alle Arbeitsprozesse digitalisiert werden und jeder extern digital auf die Daten zugreifen kann. Die Folge: Neue Büros benötigen weniger Einzelräume und mehr Großräume, mehr Räume für zufällige Begegnungen. 

Wichtig sind neue Kommunikationstools: digitale Kollaborationsplattformen und Projektmangement-Software, Filessharing-Tools, firmeninterne Social Netwoorks, Meeting-Software. Dieses System sollte dann auf allen Hierarchieebenen gelebt werden. 

Man liest über das Verhaltensmuster von Smartphonebesitzer, die 88 Mal am Tag im Schnitt ihr Handy einschalten und etwa 2,5 Stunden an diesem Gerät zubringen, jedoch nur etwa 7 Minuten davon telefonieren.  Damit gilt es, sich auseinanderzusetzen.

Albers beleuchtet u.a. das Thema "Kollaboration"  und resümiert, dass diese nicht selten der Feind von Konzentration sei. Entschleunigen und sich in Achtsamkeit zu üben,  verbessert die Fähigkeit sich zu konzentrieren. Keiner muss ständig online sein, keiner muss pausenlos kollaborieren. 

Sehr gut werden im 2. Teil des Buches die Auswege aus dem Erschöpfungszustand beschrieben und individuelle Strategien benannt, so etwa zu bestimmten Zeiten das Gerät auszuschalten, die Komplexität zu reduzieren, die Technik klug einzusetzen, Meetings und Verabredungen auf Sinn überprüfen, bevor man zusagt, neben der To-do-Liste auch eine Not-To-do-Liste pflegen, Arbeiten klüger zu organisieren und anderes mehr. 

Die Kommunikationsgesellschaft muss lernen mit den Kommunikationsmitteln weniger besessen umzugehen, wenn sie sich nicht verzetteln möchte. Sich ständig abzulenken, führt zu paralysiertem Verhalten und zu Frustration. Kreativ und zufrieden kann nur der sein, der Zeit findet, sich mit einem Thema ungestört zu befassen und nicht ständig mit seinen Augen und Händen woanders ist. 

Empfehlenswert
Helga König

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Digitale Erschöpfung: Wie wir die Kontrolle über unser Leben wiedergewinnen

Rezension Peter J. König: Europa gegen die Juden 1880 – 1945-Götz Aly- S. Fischer

Der Historiker und Journalist Götz Aly hat sich in seinem neuesten Buch, erschienen im S. Fischer Verlag erneut mit der Frage beschäftigt, wie es in Europa zu dem entmenschlichten Phänomen des Holocaust kommen konnte, wo dieses Europa doch über Jahrhunderte für einen Prozess der Kultivierung steht. 

Götz Aly hat bereits in mehreren lesenswerten Büchern, die in viele Sprachen übersetzt wurden, aufgezeigt, welchen Diskriminierungen die Juden weltweit, aber ganz besonders in Europa ausgesetzt waren. Pogrome gegen Juden hat es zu allen Zeiten gegeben, massive Beschränkungen und Benachteiligungen und Verfolgungen, auf Grund der Tatsache, dass sie überall als Eindringlinge und gesellschaftliche "Schmarotzer" gesehen wurden ebenfalls. Das gesamte Mittelalter über waren Juden in ganz Europa ausgegrenzt, sie wurden gesellschaftlich geächtet, wirtschaftlich diskriminiert und immer wieder verfolgt und getötet. 

In dem hier vorliegenden Buch stellt und untersucht Götz Aly die Frage, warum hat sich der Verfolgungswahn gegenüber Menschen jüdischen Glaubens seit Beginn des 19. Jahrhunderts in Europa so intensiviert, um schließlich dort zu enden, was die Nazis mit aller Perfektion durchgeführt haben, den Versuch der systematischen Ausrottung eines ganzen Volkes. 

Der Autor hat mit sehr viel Akribie den Zeitraum von 1880 bis 1945 unter die Lupe genommen, um anhand belegter Dokumentationen nachzuweisen, dass mit dem Aufbruch der bürgerlichen Gesellschaften in Europa zu Ende des 19. Jahrhunderts eine gravierende Zunahme von Pogromen und Vertreibungen in den meisten Ländern Europas mit einherging. Mit der industriellen Revolution begann der Wechsel von der Feudal-, hin zu einer Bürger-Gesellschaft, begleitet durch den Wechsel von einer Agrar-Struktur zu einer Vermassung in großen Städten und Ballungszentren. 

Vom einfachen Bauer und Landarbeiter ging die Entwicklung hin zu Arbeitern in Fabriken, Angestellten und selbstständigen Berufen, die oftmals neue Bildungschancen auch für nicht Privilegierte ermöglichten. Gleichzeitig entwickelte sich mit dem aufkommenden Bürgertum eine immer stärker werdende Nationalisierung, einhergehend mit Abschottung der einzelnen Länder untereinander. Diese starke Rivalität und der Machthunger in Europa führten zum Ersten Weltkrieg. Wurden die Juden schon zu diesem Zeitpunkt in allen Ländern bereits extrem unterdrückt, so erwiesen sie sich doch als loyale Untertanen, ob in Russland, in Deutschland oder allen anderen europäischen Staaten, indem sie als Soldaten für ihr Land in den Krieg zogen. 

Gedankt wurde es ihnen nicht, ganz im Gegenteil. Im Zuge des immer stärker werdenden Nationalismus versuchte man sie, als nicht zugehörig, aus den "Volkskörpern" zu eliminieren. Allgemein wurden sie als Angehörige eines fremden Volkes betrachtet, des jüdischen Volkes, das verstreut über die ganze Welt, vermeintlich die Herrschaft in den einzelnen Nationalstaaten übernehmen wollte, um schließlich in einer jüdischen Weltherrschaft zu enden. Das Mittel dazu wurde in dem höheren Bildungsgrad und damit verbunden die Dominanz bei den akademischen Berufen oder im schnelleren Aufstieg beim Militär ausgemacht.

Gerade in den östlichen Staaten war die Durchschnittsbevölkerung nicht in der Lage der aufstrebenden jüdischen Mittelschicht Paroli zu bieten. Sie war einfach intelligenter, fleißiger und zielstrebiger und hat deshalb nicht nur den weitaus größeren Anteil an Studierenden gestellt, die auch mit maximalem Erfolg und in kürzester Zeit ihr Studium beendet hat, um dann die führenden Positionen im Staat als Juristen, Ärzte, Journalisten, Verleger und Buchautoren einzunehmen. Auf diese Weise war es den Juden überhaupt gelungen, die vergangenen Jahrhunderte zu überleben.

Dies hat in der angestammten Bevölkerung zu massivem Hass, Neid und Aufruhr geführt. Gleichgültig in welchem Land in Europa, die Juden wurden angefeindet, mit erheblichen Benachteiligungen belegt, so etwa mit besonderen Gebühren zum Studium, wenn sie nicht gleich quotiert oder ausgeschlossen wurden. Händler, Handwerker und Selbständige hatten erhebliche Abgaben zu leisten, um so durch einen Wettbewerbsnachteil sie nach und nach aus ihren Geschäften zu drängen.

Wer nun glaubt, dies sei eine allein deutsche Vorgehensweise, der wird durch dieses Buch von Götz Aly eines Besseren belehrt. Selbst Frankreich, das Land, das sich Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit auf die Fahnen geschrieben hat, ließ sich von der ethnischen Nationalisierung hinreißen, um die Juden peu à peu zu unterdrücken und zu vertreiben.

In diese totale anti-jüdische Stimmung hinein kam es in Deutschland zu der Herrschaft der Nazis. Und dass Adolf Hitler die Juden in seiner Hetzschrift "Mein Kampf" als das alles bestimmende Übel in der Welt sah, das ausgerottet werden müsste, um die Zivilisation zu retten, hat schließlich den Ausschlag zum Holocaust bestimmt. Wenn auch nicht in allen Ländern die "Endlösung der Judenfrage" selbstständig umgesetzt wurde, Pogrome hat es ja bereits tausendfach in vielen Ländern in den vergangenen Jahrzehnten gegeben, ganz besonders in Russland zum Ende der Zarenherrschaft. Wenn also diese europäischen Länder nicht die gesamte Vernichtung ihrer eigenen jüdischen Bevölkerung in die Hände genommen haben, so waren sie fast ohne Ausnahmen vor und während der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht bereit, die Juden zu vertreiben, ihr Vermögen sich einzuverleiben und als willige Helfer dafür zu sorgen, damit ihre gesamte jüdische Bevölkerung wenn möglich in die Deportationszüge nach Ausschwitz und Treblinka gepfercht und abtransportiert werden konnte.

Hier haben sich bis auf Schweden, Dänemark, Belgien und die Schweiz alle Europäer ausnahmslos beteiligt und schuldig gemacht.

Götz Aly hat in seinem Werk "Europa gegen die Juden" sehr eindeutig und unmissverständlich gezeigt, dass der Holocaust keine losgelöste Erfindung der Wannsee-Konferenz ist. Dort wurde die letztendliche Umsetzung der totalen Vernichtung der europäischen Juden beschlossen. Aber bereits seit vielen Jahrzehnten hat eine Diskriminierung und Vertreibung der Juden nahezu flächendeckend in Europa stattgefunden.

Für die Nazis war der Holocaust nur das logische Ende der Judenfrage, die sie auch mit deutscher Gründlichkeit zum Abschluss zu führen gedachten. Damit der Autor gar nicht erst in Verdacht gerät, krude Thesen aufzustellen, hat er sich strikt an belegbare Fakten gehalten, die seine geschichtliche Darstellung an Hand unzähliger Dokumente untermauert. Über den Holocaust ist vielfach geschrieben worden, Götz Aly zeigt hier ergänzend in welche gesamt-europäische antisemitische Stimmung der totale Judenmord eingebettet war und dass viele Länder ein großes Interesse hatten, die Juden aus ihren Staaten zu eliminieren. Die Gesamtlösung haben sie den Deutschen überlassen. Damit wollten sie dann offiziell nichts zu tun haben.

Das relativiert die Schuld der Deutschen allerdings nicht im geringsten und exkulpiert sie dementsprechend keineswegs. Ganz im Gegenteil, sie haben die tiefe antisemitische Haltung vieler europäischer Staaten und die besondere Situation des Krieges und der Besetzungen genutzt, um das grausamste Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu realisieren.

Sehr empfehlenswert

Peter J. König

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Europa gegen die Juden: 1880 - 1945

Rezension: Gebrauchsanweisung für Populisten- Heribert Prantl- Ecowin

Herbert Prantl ist Mitglied der Chefredaktion der Süddeutschen Zeitung und verantwortet dort deren innenpolitischen Teil. Der Jurist, der als einer der wortgewaltigsten deutschen Journalisten gilt, hat nach seinem Studium der Rechtswissenschaften, Geschichte und Philosophie zunächst als Staatsanwalt und Richter gearbeitet, um dann der zu werden, der er heute ist. 

Das vorliegende Buch trägt den Untertitel "Wie man dem neuen Extremismus das Wasser abgräbt" und zeigt auf, dass nicht der Populismus es ist, der die Gesellschaft zerstört, sondern dafür vielmehr der populistische Extremismus verantwortlich sei. Der sogenannte Rechtspopulismus sei eine Entrechtungsbewegung, die als eine modernisierte Version des alten Rechtsextremismus begriffen werden muss, weil er mit den Mitteln der Ausgrenzung, mit sich steigernden Regelverletzungen arbeite. Bei diesen inszeniere er sich mit dem Gestus des mutigen Tabubrechers. Genau das sei in der Internetwelt besonders wirksam,"weil die irresten Attacken und die irresten Ankündigungen die irreste Verbreitung" fänden. Rechtspopulismus gelte es zu bekämpfen. Von daher auch begreift Prantl seinen Text als Schrift gegen Phlegma und Fatalismus und will sie als einen Aufruf zu einer demokratischen, rechtsstaatlichen Offensive verstanden wissen, schlussendlich als einen Appell zu einer neuen Verve der Demokraten, weil nur begeistern könne, wer selbst begeistert. 

Wissen sollte man, dass eine volksnahe Politik stets gerne als populistische Politik bezeichnet wird. Doch Extremismus muss das noch lange nicht sein. Der Autor reflektiert  in diesem Zusammenhang die deutsche Kompromissfeindlichkeit, die ein Überbleibsel aus vergangenen Zeiten sei. Hier gelte es, zukünftig zu lernen. Der Kompromiss lebe von der Achtung der gegnerischen Position und vom Sinn für gesellschaftlichen Wandel, davon, dass man sich auf etwas einlasse. Der Kompromiss gehöre zum Wesen der Demokratie. Die Güte einer Politik zeige sich nicht in der Größe echter oder vermeintlicher Ideale ihrer Politiker, sondern in der Qualität ihrer Kompromisse. Wie ein solcher Kompromiss auszusehen hat, liest man in der Folge und begreift, warum Kompromisse sinnstiftend sind, auch, dass man sie volksnah vermitteln kann, sie aber für Extremisten Teufelswerk verkörpern. 

Kompromisse seien mit Donald Trump beispielsweise nicht möglich, Grund sei der populistische Rechtsextremismus, die eine Methode sei, Menschen zur Selbstentwürdigung und Entpolitisierung zu verführen. 

Der populistische Rechtsextremismus wirkt in ländlichen Gebieten stärker als in Städten. Das gilt für Deutschland und Frankreich ebenso wie für die USA. Heribert Prantl schließt daraus, dass die Welt heimatlicher werden müsse, um dem Extremismus zu wehren. Der Autor reflektiert die Verödung der kleineren Orte, der man entgegen wirken müsse, um eine andere Bevölkerungsstruktur zu ermöglichen. Dies und andere Maßnahmen, über die man im Buch Näheres erfährt, könnten dazu beitragen, dem populistischen Extremismus Einhalt zu gebieten. Volksnähe muss nicht zwingend rechtspopulistisch sein, sie kann auch unabgehoben liberale Grundwerte vermitteln. Das sollte man bedenken.  

Empfehlenswert.

Helga König

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Rezension Peter J. König: Hitlerjunge Schall- Die Tagebücher eines jungen Nationalsozialisten-André Postert- dtv

Der Autor dieses erhellenden Buches mit dem erklärenden Titel "Hitlerjunge Schall" ist André Postert, der an der Universität Duisburg-Essen Neuere und Neueste Geschichte studiert hat. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut an der Technischen Universität Dresden sind seine Forschungsschwerpunkte Jugendorganisationen im Nationalsozialismus und Mentalitätsgeschichte. 

Als einzigartiges Zeitdokument hat Postert die Tagebücher von Franz Albrecht Scholl, geb. 1913 ausgewertet, die dieser als Sohn eines Gymnasial- Lehrerehepaares in der thüringischen Kleinstadt Altenburg aufgezeichnet hat, als er 1930 mit 17 Jahren in die Hitlerjugend eintrat. 1932 wurde er Mitglied in der NSDAP. Seine umfassende Bildung und auch der Einfluss seiner Eltern, die ablehnend dem Nationalismus und den Nazis gegenüberstanden, konnten ihn nicht darin hindern, Karriere durch und in der Partei zu machen. 

Nach dem Abitur, einer Lehre und dem Studium wurde er Erzieher und Werklehrer an einer der Kaderschmieden des Reiches den Adolf-Hitler-Schulen in Sonthofen. Sein Glaube an Adolf Hitler, den Nationalsozialismus und die Treue zur Ideologie konnten auch seine aufkommenden Zweifel durch die Fronterlebnisse nicht erschüttern, zu sehr stand Schall im Bann der Rhetorik der NS-Ideologie und den Inszenierungen, die seine Jugend und sein Ausbildungsstadium nicht löschbar geprägt hatten. 

Dass sein Vater, Jugendfreund und Studienkollege des großen Schriftstellers Hermann Hesse und Teil der intellektuellen Oberschicht von der Gestapo in Haft genommen wurde, ließen bei dem jungen Franz Albert Schall ebenfalls keine Zweifel an den Nationalsozialisten aufkommen. Dies setzte sich auch fort nach dem Untergang des Dritten Reiches, als 1945 zwar das politische System zerbrochen war, die Ideologie der Nazis in den Köpfen und den Herzen aber ungebrochen weiter existierte. 

So auch bei Schall, der bis zu seinem Tod im Jahre 2001 unverbrüchlich die Anschauungen und Werte der Nazis verkörperte. Damit stand Franz Albert Schall beileibe nicht allein, denn die Ideologie der Nationalsozialisten wurde weder durch die Entnazifizierung, noch durch die Aufklärung in den Schulen in den anschließenden Jahrzehnten restlos ausgeräumt, ganz im Gegenteil. 

André Postert versucht nun in seinem Werk "Hitlerjunge Schall" an Hand der Aufzeichnungen und Tagebücher nachzuvollziehen, wie es möglich war, dass ein gebildeter Heranwachsender derart in den Sog der Nationalsozialisten geraten konnte. Aufklärung sollen dabei die Notizen bringen, die Zeugnis ablegen von den tiefen Eindrücken, die der junge Mann von den Politischen Vorträgen, den Aufmärschen, der persönlichen Begegnung mit Hitler in den Anfangsjahren, den Massenveranstaltungen und den Wanderfahrten erlebt hat. Dabei spielt der Aufbruch in eine vermeintliche Neue Zeit ebenso eine wesentliche Rolle, wie die Kameradschaft mit dem Zusammengehörigkeitsgefühl und die suggerierte Überlegenheit in der Masse. 

Aber auch die unbedingte Gläubigkeit, die uneingeschränkte Begeisterung und ein unerschütterlicher Optimismus sind die Gründe, warum ein scheinbar aufgeklärter junger Mann sich total der NS-Ideologie mit all seinen Folgen verschrieb und auch dann noch nicht davon ablassen konnte, obwohl klar war, was diese den Deutschen und Millionen von Menschen in Europa und aller Welt angetan hat. 

Ob Krieg, Vernichtung von Juden, Sinti und Roma, Homosexuellen und Zwangsarbeitern, nichts konnte letztendlich die Gehirnwäsche ausmerzen, die durch die Infiltration in den Köpfen der jungen Menschen durch die "Nationalsozialistische Bewegung" stattgefunden hatte. Um einen tieferen Eindruck davon zu vermitteln, darum geht es in diesem Buch, das durch die persönlichen Aufzeichnungen, Protokolle und Tagebuch-Eintragungen ziemlich direkt zeigt, was es eigentlich war, dass den Hitlerjungen Schall so fasziniert hat. 

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König

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Rezension: Der schmale Grat der Hoffnung- Jean Ziegler- C. Bertelsmann

Jean Ziegler, der Autor dieses Buches, ist emeritierter Professor der Universität Genf. Bis 1999 war er Abgeordneter im Eidgenössischen Parlament und von 2000 bis 2008 UN- Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung. Derzeit ist er Vizepräsident des beratenden Ausschusses des UN- Menschenrechtsrates. Jean Ziegler wurde mit diversen Ehrendoktoraten und internationalen Preisen ausgezeichnet. 2008 erhielt er den Internationalen Literaturpreise für Menschenrechte. 

Das Buch "Der schmale Grat der Hoffnung" trägt den Untertitel "Meine gewonnenen und verlorenen Kämpfe und die, die wir gemeinsam gewinnen werden" und wurde von Hainer Kober aus dem Französischen übertragen. Das Werk ist ein autobiographisches Buch. Der Autor hat es seinen Freunden gewidmet, die er im Einzelnen aufzählt. 

Im Vorwort bereits lässt er seine Leser nicht im Ungewissen, dass der Dritte Weltkrieg gegen die Völker der Dritten Welt längst begonnen habe. Ziegler spricht von winzigen kapitalistischen Oligarchien, die über nahezu grenzenlose Macht verfügen und sich geradezu jeder staatlichen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Kontrolle entziehen. Diese Oligarchien bemächtigen sich des weitaus größten Teils der weltweiten Reichtümer und zwingen den Staaten der Erde nur ihr Gesetz auf, so der Autor. Ziegler ist sich sicher, dass das Kollektivbewusstsein trotz neoliberaler Wahnideen, die die Oligarchien verbreiten, durchdrungen ist von der Vorstellung der Gleichheit aller Menschen und er ahnt, dass der Aufstand des Gewissens nah ist. 

Jean Ziegler benennt die Ahnherren der UN-Charta, als da sind Rousseau, Voltaire, Diderot, d` Alembert und Montesquieu und betont, dass die multilaterale Diplomatie ihre Grundprinzipien der Aufklärung verdanke. 

Das Buch ist in 9 Kapitel untergliedert. Dabei geht es zunächst um die Entwicklungsziele, die die UNO 2016 in ihrer Agenda 2030 zur Überwindung der gegenwärtigen kannibalischen Weltordnung festgelegt hat. Ziegler untersucht hier als Symptom der Ordnung die miese Praxis der Geierfonds. Die Eigentümer dieser Fonds gehörten zu den schlimmsten Beutejägern des kapitalistischen Systems. Weshalb das so ist, wird an Beispielen erläutert. 

Wie Ziegler weiter schreibt, besaßen 2015 1 Prozent der reichsten Personen der Erde mehr Vermögenswerte als 99 Prozent der restlichen Menschheit und das Eigentum der 62 reichsten Multimilliardäre des Planeten  habe den Besitz der ärmeren 50 Prozent seiner Bewohner übertroffen. Offenbar sind die Ursachen hierfür in der Aufhebung staatlicher Normativität, Abschaffung der Bankkontrollen, Entstehung privater Monopole, ungehemmter Ausbreitung von Steueroasen etc. begründet. 

Im zweiten Kapitel berichtet Jean Ziegler von den Kämpfen, die er ausgefochten hat und hier in den letzten 25 Jahren im Wesentlichen auf den Schlachtfeldern der UNO. Im dritten und vierten Kapitel reflektiert er die Gründungsprinzipien und die Entstehungsgeschichte der UNO. Dabei sollte man wissen, dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der UNO eine beinahe deckungsgleiche Kopie der Erklärung der Menschen und Bürgerrechte der Französischen Revolutionäre von 1789 ist. 

Es führt zu weit, nun alle Kapitel des Buches detailliert zu beleuchten, sich beispielsweise mit imperialen Strategien hier näher zu befassen, über die der Autor im Buch auch schreibt. Interessant sind Zieglers Überlegungen zur universellen Gerechtigkeit, so etwa auch wie die Richter an den verschiedenen internationalen Gerichtshöfen der UNO Recht sprechen. Interessant sind zudem die Betrachtungen zu Kämpfen, die es gemeinsam zu gewinnen gilt.

Die kannibalische Weltordnung in Frage zu stellen und in der Folge das Leid auf dieser Welt zu minimieren, darum geht es. Das Buch zeigt Wege auf, wie dies zu erreichen ist. Einfach allerdings ist das ganz und gar nicht.

Überaus empfehlenswert. 
Helga König

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Rezension Peter J. König: Tom Holland Dynastie Glanz und Elend der Römischen Kaiser von Augustus bis Nero Klett-Cotta

Der Autor dieses großartigen Werkes ist Tom Holland. Er studierte in Oxford Geschichte und Literaturwissenschaften und hat bereits mit mehreren Büchern zur antiken Geschichte sich einen Namen gemacht und dafür zahlreiche Preise erhalten. 

Mit seinem neuesten Werk: "Dynastie - Glanz und Elend der Römischen Kaiser von Augustus bis Nero" gibt er einen sehr anschaulichen Überblick über eine Epoche der Römischen Kaiserzeit. Keine Weltmacht in der Geschichte hat jemals eine solche Machtfülle, einen solchen Einfluss auf die bestehende Weltordnung und eine solche Dauerhaftigkeit erreicht wie das Römische Reich. 

Mit etwa 1400 Jahren Existenz ist Rom in der ganzen Menschheits-Geschichte mit Abstand die führende Weltmacht gewesen. Von einer kleinen Siedlung am Tiber in Mittelitalien etwa 832 vor Christus ausgehend, schickte sich die erste Republik in der Geschichte an, durch permanente Eroberungszüge, zunächst auf der italienischen Halbinsel, später in allen bis dahin bekannten Erdteilen (Europa, Afrika und dem gesamten Orient), diese neuen Provinzen in sein Reich einzuverleiben. Dabei liefen alle Fäden der Macht im Zentrum der Republik in Rom zusammen. Von hier aus wurde die Weltherrschaft organisiert. Dies stellt eine einzigartige Leistung in der Geschichte da. 

Dass dieses überhaupt möglich war, hat mit der straffen, gut organisierten Staatsordnung zu tun, dem einmaligen Rechtssystem und dem über Jahrhunderte zunächst auf mehrere Schultern verteilten Machtgefüge innerhalb der staatlichen Hierarchie und natürlich der Kriegskunst, der kein anderes Volk in vielen Jahrhunderten etwas entgegen setzen konnten. Die Herrschaftsstruktur sollte sich erst ändern, als die Römische Kaiserzeit anbrach, die durch die Familien der Julier und Claudier begründet wurde, weg von der "res publica", hin zum Absolutismus eines Kaisers. Die gesamte Machtfülle, die derjenigen eines Gottes gleichkam, konzentrierte sich auf eine einzige Person, den Imperator, den Caesar, der diese uneingeschränkte Herrschaftsmacht vom Senat verliehen bekam. Hatte Julius Caesar den Titel eines Kaisers aus machttaktischen Gründen noch nicht einmal in Erwägung gezogen, um dem römischen Volk gegenüber eine Machtverteilung im Triumvirat zu suggerieren, so begann mit Imperator Caesar Augustus die Kaiserzeit im Jahre 27 vor Christus. 

Alle nachfolgenden Kaiser, so Tiberius, Caligula, Claudius und Nero fußten auf der direkten oder adoptierten Abstammung der julisch-claudischen Familien-Dynastie. Erst mit Neros vom Senat erzwungenen Selbstmord im Jahr 68 nach Christus endete die fast hundertjährige julisch-claudische Kaiserherrschaft. Kaiser standen auch danach noch bis zum Jahr 284 nach Christus an der Spitze des Römischen Imperiums, aber keine Epoche hat mehr Machtfülle, Glanz, Prachtentfaltung, aber auch Intrige und grenzenlose Mordlust und Perversion hervor gebracht, wie in der Zeit der Kaiser Augustus, Tiberius, Caligula, Claudius und Nero. 

Der Autor Tom Holland hat in seinem Werk "Dynastie" alle Facetten dieser Zeitepoche sehr akribisch, informativ, anschaulich und spannend dargestellt, um so die Zusammenhänge, der überaus verschachtelten Familien-Geschichte bestens nachvollziehbar dem Leser nahe zu bringen. Dabei geht er sehr genau in die Details, nicht nur was die brutalsten Machenschaften um die Macht innerhalb der Familien anbetrifft, so hat Nero seine Mutter, seine Schwestern und sein ungeborenes Kind und seinen Lehrer und Freund den Philosophen Seneca ermordet oder ermorden lassen, er beschreibt auch ganz offen, welchen Perversionen die einzelnen Kaiser frönten, zunächst im Verborgenen, wie etwa Tiberius auf Capri, wo er seine pädophilen und sadistischen Altersfantasien auslebte, später ganz offen mitten in Rom, wenn von Caligula öffentliche Orgien gefeiert wurden und Nero Rom anzünden ließ, die Christen als Täter brandmarkte, um sie anschließend als lebende Fackeln bei Festgelagen in seinen Gärten mit Teer überzogen, zu verbrennen. 

Tom Holland erzählt in seinem Buch auf sehr kurzweilige Art einen überaus wichtigen Teil aus der römischen Geschichtsschreibung. So bekommt der Leser einen fundierten Eindruck dieser Zeit und seiner beherrschenden Akteure, aber auch was es bedeutet hat, ein solches Riesenreich auf der Höhe seiner größten Ausdehnung unter Kontrolle zu haben. Darüber hinaus wird verdeutlicht zu welcher Brutalität die Herrscher jener Zeit fähig waren. 

Dem Autor ist es bestens gelungen auf romanhafte Art die komplexen Zusammenhänge der römischen Kaiserzeit zu erzählen und so auch dem weniger informierten Leser größte Aufmerksamkeit zu entlocken. 

Sehr empfehlenswert 

Peter J. König

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