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Rezension Peter J. König: Rückkehr nach Lemberg; Philippe Sands- S. Fischer

Der Autor dieses bemerkenswerten, wichtigen und preisgekrönten Buches ist Philippe Sands, Anwalt und Professor für Internationales Recht sowie Direktor des Centre on International Courts and Tribunals am University College London. Als einer der führenden Professoren für das Völkerrecht hat er u.a. die Anklageschrift gegen den chilenischen Diktator Pinochet vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag formuliert. Sands jüdische Vorfahren stammen aus der Gegend um die ehemals galizische Universitätsstadt Lemberg, heute Lwiw. Sie gehört seitdem die Rote Armee im Sommer 1944 die Nazis vertrieben hat zur Ukraine. 1941 nach dem Einmarsch der Deutschen in Polen wurde die Stadt, die nach dem Ersten Weltkrieg polnisch und unter ihrem Namen Lwow bekannt war, wieder in Lemberg umbenannt und wurde gleichzeitig Hauptstadt des Distrikts Galizien im deutschen Generalgouvernement. 

Die Geschichte des heutigen Lwiw ist bewegt und traurig zugleich, nicht nur weil sie zwischen 1914 und 1945 nicht weniger als achtmal den Besitzer wechselte, sondern weil sie auch unauslöschbar mit der Vertreibung und Ermordung von Millionen von Juden, Polen und einiger anderer Minderheiten wie Sinti und Roma in Verbindung steht. Denn hier im galizischen Generalgouvernement sollte hauptsächlich die „Endlösung“ durchgeführt werden, der Genozid an den Juden, die Unterwerfung der Polen und die Ausrottung unliebsamer anderer Minderheiten, die nach der nationalsozialistischen Rassenlehre als minderwertig galten. In den Konzentrationslagern von Auschwitz, Birkenau und Treblinka und einigen anderen Vernichtungslagern sind etwa 3 ½ Millionen Menschen umgebracht worden, mit bestialischsten Mitteln und mit einer nie gekannten Verrohung. Hitler hatte seinen persönlichen Anwalt Dr. Hans Frank mit der Leitung des Gouvernements beauftragt und dieser war federführend für die unsäglichen Verbrechen die dort stattgefunden haben.

Auf Einladung der Universität von Lwiw kam der Autor, Philippe Sands, ohne große Kenntnis seiner Familiengeschichte in die ostukrainische Stadt, um einen Gastvortrag zum Völkerrecht und seinen Erfahrungen am Internationalen Strafgericht in Den Haag vor Studenten zu halten. Dabei stieß er auf zwei bedeutende Völkerrechtskollegen, Professor Lauterpacht und Professor Lemkin, die beide um 1900 geboren, an dieser Universität ihre juristischen Ausbildungen begonnen hatten, um sich später auf das Völkerrecht zu spezialisieren, das nach dem Ersten Weltkrieg erstmalig sich neu entwickelte. 

Als Juden war dies ihnen in ihrer galizischen Heimat nicht möglich, Lauterpacht ging über Wien nach Cambridge und Lemkin, der zunächst noch in Lwiw blieb, gelang es vor seiner Deportation von den Deutschen auf einer monatelangen Reise über Sibirien und Japan nach den USA zu kommen, wo er an einer kleinen Universität in Carolina einen Lehrauftrag erhielt. Sowohl Lauterpacht als auch Lemkin haben das Völkerrecht mit ihren Rechtstheorien vom "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und dem "Genozid“ entscheidend beeinflusst und die erstmalige praktische Anwendung dieser internationalen Strafrechtsnormen hat dann bei den "Nürnberger Prozessen", dem Tribunal gegen das Nazi-Regime und ihre Täter, stattgefunden. 

Philippe Sands selbst jüdischer Abstammung mütterlicherseits, ihre Vorfahren haben lange galizische Wurzeln, ist durch den Vortrag in der Universität von Lwiw dieser Umstand erst richtig bewusst geworden und er begann eine Reise in die Vergangenheit, um sowohl seine eigenen familiären Ursprünge als auch die seiner Professoren-Kollegen Lauterpacht und Lemkin zu recherchieren. Dabei hat er sich die Mühe gemacht, all die Schicksale der vielen verwandten Menschen nachzuvollziehen, die aufgrund ihres jüdischen Glaubens ermordet worden sind oder denen es gelang durch Flucht ihr Leben zu retten, um ganz verstreut über die Welt neu anzufangen. Sie alle zu finden, war eine unermüdliche Leistung. Bei der Vielzahl der Personen hat er sich in seinem Buch "Rückkehr nach Lemberg" neben Lauterpacht und Lemkin überwiegend auf die nächsten Verwandten seiner Mutter konzentriert, so auch auf seine Großeltern, die er als Kind in Paris noch persönlich kennenlernen durfte. 

Aber Sands hat nicht nur das Schicksal der verzweigten Familien interessiert, seine Recherchen galten auch den deutschen Besatzern im Generalgouvernement und ihren mörderischen Machenschaften. Dabei steht im Mittelpunkt Hans Frank, der die Leitung des Gouvernements mit brutaler Härte betrieb. Er war es auch der das Ghetto von Warschau veranlasste. Der Werdegang des Juristen wird genau nachgezeichnet, ebenso sein prunkvolles Leben auf der Wewelsburg in Krakau, einst Sitz der polnischen Könige. Sein unrühmliches und dabei noch feiges Ende haben die Nürnberger Prozesse besiegelt, mit dem Urteil des Tribunals: Tod durch den Strang. Philippe Sands hat unzählige Zeitzeugen befragt, aber noch mehr Dokumente in Archiven in der ganzen Welt durchforstet, um ein möglichst genaues Bild aller Personen und Ereignisse zeichnen zu können. Ganze Heerscharen von Professoren, wissenschaftlichen Mitarbeitern und sachkundigen Helfern haben ihn mit unzähligen Informationen versorgt und dabei hat er sich nicht gescheut die allermeisten persönlich aufzusuchen, um sich ein möglichst authentisches Bild zu machen, alles zusammen wahrlich eine Herkulesarbeit.

Das Ergebnis ist dieses äußerst spannende und fesselnde Buch, dass auf der einen Seite die vielen Leiden der gepeinigten und getöteten Menschen dem Leser tief ins Bewusstsein bringt, auf der anderen Seite gerade an dem Beispiel des Nazi-Schergen Hans Frank zeigt, welche entmenschlichten, eiskalten, gierigen und hemmungslosen Kreaturen sich hinter der Fassade dieser „Herrenmenschen“ verborgen haben. Das Buch gibt aber auch einen gekonnten Aufschluss darüber, wie gerade im Zuge der Nürnberger Prozesse, die sehr detailliert nachgezeichnet wurden, um die Erweiterung des Völkerrechts seitens Lauterpacht und Lemkin gerungen worden ist, damit solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und des Genozids zukünftig von der internationalen Gemeinschaft strikt vor einem Internationalen Strafgerichtshof geahndet werden können. Überaus bemerkenswert ist auch die Zeitreise, die der Leser unternimmt, wenn er getragen von dem Einblick in die persönlichen Schicksale der Menschen auch eine genaue Vorstellung ihrer Zeit und ihrer Lebensumstände bekommt. Besser und spannender kann man Geschichte nicht vermitteln, auch wenn sie zutiefst ergreifend und sehr traurig ist.

Maximal empfehlenswert.

Peter J. König

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Rückkehr nach Lemberg: Über die Ursprünge von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit

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