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Rezension: Ein ganz normales Pogrom-November 1938 in einem deutschen Dorf- #Sven_Felix_Kellerhoff - Klett-Cotta

Autor dieses exzellent recherchierten Werkes ist der Historiker Sven Felix Kellerhoff. Er hat zahlreiche zeithistorische Sachbücher verfasst und ist Leitender Redakteur für Zeit-und Kulturgeschichte der WELT. 2012 bekam er den Ehrenpreis der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.

Im vorliegenden Buch, das er in 13 Kapitel untergliedert hat, zeigt er am Beispiel des Dörfchens Guntersblum/Rheinhessen wie  aufgrund des Novemberpogroms im Jahre 1938 die Qualität und Verfolgung der jüdischen Mitbürger im Nazis-Deutschland an Intensität zunahm. 

Jahrzehntelang nach 1945 wurden die Übergriffe- wie in vielen anderen Städten und Dörfern Deutschlands - verschwiegen, doch in Guntersblum tauchten nach 70 Jahren Fotos eines demütigenden Marsches jüdischer Männer durch den alten Weinort auf. 

Dieses "ganz normale Pogrom" war Teil dessen, was dazu führte, dass in rund tausend Städten und Dörfern etwa 1400 Synagogen und Betsäle verwüstet, angezündet und abgerissen wurden. Hinzu kamen Tausende von Plünderungen von Geschäften jüdischer Eigentümer und eine fünfstellige Zahl von Plünderungen von Privatwohnungen jüdischer Mitbürger. 

Wie der Autor schreibt, wurden rund 31000 jüdische Männer in die Konzentrationslager Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen verschleppt und es seien Hunderte gewesen, die die Tortouren nicht überstanden haben. Nach den November- Gräuel von 1938 habe es in Deutschland quasi keine jüdische Kultur mehr gegeben. 

Sven Felix Kellerhoff beleuchtet den Begriff Pogrom und kommt zu dem Ergebnis, dass bei helllichtem Tage in Guntersblum genau ein solches stattgefunden habe. Die Autor analysiert die Ursachen für den Judenhass in Rheinhessen, berichtet von der Fremdherrschaft nach dem 1. Weltkrieg und der materiellen Not damals, die die Deutschen selbst verschuldet hatten, indem sie einen Krieg gegen Frankreich angezettelten. Für all das brauchte man einen Sündenbock.

Eine jüdische Gemeinde gab es seit 1555 in dem fokussierten  rheinhessischen Dorf bereits, doch judenfeindliche Vorfälle  habe es während des Kaiserreichs in Guntersblum noch nicht gegeben. Der Hass musste erst gesät werden und dies geschah durch die Nazi- Ideologen. 

Die Nationalsozialisten  Guntersblums teilten die Weltanschauung der Gesamtpartei, wie sich denken lässt. Als Feinde loteten sie Demokraten, Marxisten und Juden aus. Man erfährt mehr von der Aufgabe der Ortsgruppe Guntersblum, vom zunehmenden Erfolg der Partei, auch in anderen rheinhessischen Gemeinden, so etwa im Weinort Stadecken und liest schließlich von der Ausgrenzung der Juden dort und anderenorts. 

Wer privat oder gesellschaftlich mit Juden Verbindungen unterhielt, wurde von der Vergabe gemeindlicher Aufträge für die Zukunft ausgeschlossen. Ziel der Judendiskriminierung war die Aneignung des jüdischen Eigentums und der Versuch den Auswanderungsdruck zu steigern. Die  Juden wurden also gemobbt. Man ging immer heftiger gegen sie vor, auch im antisemitischen, ländlichen Hessen und  man erhält einen sehr plastischen Eindruck von den Demütigung der Juden in Guntersblum im November 1938. Dabei kann man sich ein Bild vom "Schandmarsch "durch beigefügte Fotos machen. Dieser Demütungsmarsch, zu dem jüdischen Bewohner des Weinorts gezwungen wurden, soll einige Stunden angedauert haben. Über das Geschehen berichtet der Autor ausführlich. 

Immer wieder auch schreibt Sven Felix Kellerhoff vom abgründigen Geschehen in ganz Deutschland damals, um die Strategie der Nazis begreifbar zu machen. Verwüstungen und Plünderungen waren das Prinzip, das mancherorts orgiastische Züge annahm.

In Guntersblum blieben die Übergriffe auf jüdisches Eigentum ungeahndet. Die Juden wurden deportiert. Über ihr weiteres Schicksal wird man nicht im Ungewissen gelassen, auch nicht wie man nach 1945 mit den Tätern umging und die Geschehnisse feige verschwieg. 

Seit dem 2. April 2011 liegen 23 #Stolpersteine für NS-Verfolgte in dem rheinhessischen Weinort, die der Künstler #Gunter_Demnig verlegt hat. Sie erinnern an die Niedertracht der Täter aber vor allem an das Leid der Opfer, vor denen sich jeder tief verbeugen sollte. 

Der Autor resümiert "Sechs Millionen Menschen mussten sterben, weil untergeordnete Dienststellen und Einzelpersonen sich die nationalsozialistische Maxime des Judenhasses zu eigen machten und sie mit aller Kraft so gründlich wie möglich umzusetzen suchten. Erst dieses furchtbare Engagement sorgte dafür, dass völlig unschuldige Menschen bis in den letzten Winkel Deutschlands, später des besetzten Europas diskriminiert, deportiert und umgebracht wurden."

Das sollte im Hier und Jetzt zu denken geben, wenn erneut Hassparolen die Runde machen und zugleich gegen das Asylrecht gewettet wird. 

Maximal empfehlenswert. 

Helga König

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Ein ganz normales Pogrom: November 1938 in einem deutschen Dorf

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