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Rezension : Joseph Roth- Juden auf Wanderschaft

Herausgeber dieses bemerkenswerten Buches von Joseph Roth ist der Verleger Christian Brandstätter, der auch die Bildauswahl getroffen hat. 153 Schwarz-Weiß-Fotografien der untergegangen Welt der europäischen Juden aus den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts begleiten den Text des österreichischen Dichters und Publizisten Josef Roth, dessen berühmter Essay "Juden auf Wanderschaft" von 1927 (inklusive Vorwort zur geplanten Neuauflage 1937) sehr beeindruckende Einblicke in das Denken und Leben der Juden in jenen Tagen verleihen.

Thematisiert werden zunächst die Lebensumstände der sogenannten Ostjuden, denen laut Roth der Westen Freiheit, die Möglichkeit, zu arbeiten und seine Talente zu entfalten, Gerechtigkeit und autonome Herrschaft des Geistes bedeutete. Die Ostjuden sollen, wie Roth festhält, besonders marginalisiert gewesen sein. Seitens der Beamten und der Arbeitgeber wurden sie zumeist erniedrigt. Im Osten (z.B.Galizien) gab es in den 20er Jahren keinen Schutz vor Pogromen. Vielleicht war deshalb bei ihnen der jüdische Nationalgedanke sehr lebendig.


Betrachtet man die Fotos wird einem klar, dass man schon vor der NS-Zeit im letzten Jahrhundert sehr unfair mit den Juden umging. Sie hatten kein "Vaterland", schreibt Roth, aber jedes Land, in dem sie lebten und Steuern zahlten, verlangte von ihnen Patriotismus und den Heldentod und warf ihnen vor, dass sie nicht gerne starben.


Man erfährt Näheres über die Juden damals im Schetel in Galizien und die Art wie sie lebten, aber auch über das Leben der in westliche Länder ausgewanderte Ost-Juden in den dortigen Gettos. So liest man wie in den einzelnen Städten wie Wien, Paris und Berlin mit Juden umgegangen wurde. Der Unterschied zwischen orthodoxen Ostjuden und assimilierten Westjuden wird dabei sehr deutlich herausgearbeitet. Die in Paris geborenen Kinder der Ostjuden konnten französische Staatbürger werden. In Frankreich war der Antisemitismus weniger brutual und rüde als anderswo.


Über nach Amerika ausgewanderte Ostjuden informiert Roth ebenso wie über die Lage der Juden in Sowjetrussland. Dort war in den 20er Jahren der Antisemitismus zwar offiziell verpönt, aber er hatte dennoch nicht aufgehört zu existieren. In der Vorrede zu geplanten Neuauflage von 1937 wird deutlich, dass der geistige Nährboden für das, was während der NS-Zeit geschah, schon lange davor existierte und Roth ahnte, was folgen wird. Nicht zu Unrecht hält er fest: "Zu vollkommener Gleichberechtigung und jener Würde, die äußere Freiheit verleiht, können Juden erst dann gelangen, wenn ihre "Wirtsvölker" zu innerer Freiheit gelangt sind und zu jener Würde, die das Verständnis für das Leid gewährt." (Zitat S. 143)


Als ich heute Milch holen ging, hörte ich in das Gespräch dreier Mittelschichtsangehöriger rein und nahm deren Hass auf Türken zur Kenntnis. Ich mischte mich in das Gespräch nicht ein, sondern fragte mich nur, sehr traurig, wann die Menschen endlich aufhören Minderheiten zu brandmarken.


Ein Buch, das ich jedem empfehle zu lesen.




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