"Der echte, existentielle Widerstand allerdings wird immer nur eine Sache von Einzelnen sein, denn er beruht auf Gewissensentscheidung; und das Kriterium für die Frage, wann er berechtigt ist, muss, so scheint es mir, unabhängig von Nutzen für das eigene Ich sein. Mit anderen Worten, er muss dem Gemeinwohl dienen." (Marion, Gräfin Dönhoff, S. 453)
Dieses Lesebuch enthält zahlreiche Artikel aus der Wochenzeitung "Die Zeit" aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis hinein in das neue Jahrtausend sowie Reisereportagen, Porträts und Reden, verfasst von der im Jahre 2002 verstorbenen Chefredakteurin und Herausgeberin der "Zeit", Marion Gräfin Dönhöff, die 1909 in Friedrichsstein/Ostpreußen geboren wurde.
Die Herausgeber des Buches sind Irene Bauer, die 20 Jahre lang die persönliche Mitarbeiterin Marion Gräfin Dönhoffs war und der Großneffe der ehemaligen Zeitherausgeberin, Friedrich Dönhoff.
Dem Vorwort entnimmt man Biographisches, das man aufgrund der Zeittafel zum Schluss des Buches noch vertiefen kann und die Artikel nehmen ihren Anfang mit jenem Text, mit dem sich Marion Gräfin Dönhoff im März 1946 als Redaktionsmitglied der neu gegründeten Wochenzeitung "Die Zeit" ihren Lesern vorstellte. Der Titel lautete "Ritt gen Westen". Hier schreibt sie von ihrer Flucht aus Ostpreußen auf ihrem Pferd in Richtung Westen.
Sie schreibt im gleichen Jahr auch über die Männer des 20. Juli, die sie persönlich kannte und in der Folge zu immer wieder brisanten Themen, die heute schon lange der Vergangenheit angehören. Dass es Marion Gräfin Dönhoff war, die nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 in einem Leitartikel forderte, dass dieser Tag zum Tag der Deutschen Einheit erklärt werden solle, wusste ich nicht. Drei Wochen nach ihrer schriftlich fixierten Forderung wurden ihre Gedanken Realität.
Berührt hat mich der Artikel "Sechs Herrenmenschen". Hierbei geht es um sechs ehemalige KZ-Lagerführer, die 1954 in Frankreich vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurden. Die Chefredakteurin fragt, ob diese Männer zu Verbrechern werden mussten? Die Täter hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass sie auf höheren Befehl gehandelt haben, dass sie selbst erschossen worden wären, wenn sie nicht, wie ihnen befohlen, gemordet, geschlagen und gefoltert hätten. Dönhoff fragt, ob es tatsächlich so viel leichter gewesen sei, in Stalingrad zu sterben und ist dabei überzeugt, dass jeder der sechs Männer, wäre er dort eingesetzt worden, ohne klagen, es getan hätte, als sein Leben zu lassen, um nicht Verbrecher zu werden? (vgl.: S. 81ff). Sie beendet ihren Artikel mit dem Satz "Denn die Möglichkeit zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, die kann man den Menschen doch wohl nicht absprechen". Mit diesem Satz offenbart sie sich als legitime Tochter Kants.
Sie schreibt zu den Studentenunruhen in den 1960er Jahren, zum deutsch- polnischen Vertrag über die Oder-Neiße-Grenze. Dabei muss man wissen, dass sie die wichtigste publizistische Wegbereiterin der Ostpolitik von Willy Brandt war.
Immer wieder hat man Gelegenheit, Fotos von ihr betrachten zu können und sich von ihrer intellektuellen Aura zu überzeugen. Diese war wahrlich beeindruckend, wie ich mich auf einer der Frankfurter Buchmesse irgendwann in den späten 1990er Jahren überzeugen konnte als ich Marion Gräfin Dönhoff zufällig dort sah. Ihre Ausstrahlung bleibt mir unvergesslich.
Es ist unmöglich auf all die vielen Texte im Buch im Rahmen der Rezension der näher einzugehen. Erwähnen möchte ich ihr Porträt des durch die Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Fritz -Dietlof von Schulenberg, der anfangs begeisterter Nationalsozialist war und dessen Verzweiflung über die Zerstörung Deutschlands, die Pervertierung des Rechtsstaates, die Korrumpierung der Bürger, die von einem verlogenen Wertesystem indoktriniert wurden ihn zum erst zum Widerstandkämpfer machten. Sein Zorn über die Diktatur und Tyrannei sei grenzenlos gewesen, so Dönhoff, (vgl.: S. 406).
In einem Vortrag, den sie 1985 in Oxford hält fordert sie vom Bürger Zivilcourage. Im Buch trägt dieser Vortrag den Titel "Vom Ethos des Widerstands". Hier auch befasst sie sich u.a. mit den Geschwistern Scholl. Sie schreibt von der ethischen Gesinnung aus der heraus Sophie und Hans Scholl handelten, schreibt von der grenzenlosen Einsamkeit, in der sie leben mussten, stets auf der Hut, nie einem Dritten Vertrauen schenken zu dürfen. Es sei nicht so sehr der politische Kampf gegen eine verbrecherische Regierung gewesen, der sie inspirierte, sondern das moralische Ringen mit dem Bösen. Dönhoff kommt hier zum Ergebnis, dass das Wesen des echten Widerstandes die Erkenntnis sei, dass man sich nicht auf die Kirche, nicht auf die Universitäten, nicht auf die Parteien verlassen könne. Es käme stattdessen auf den Freiheitswillen der Bürger an, auf seinen geschärften Humanitätssinn. Man könne sich in solchen Zeiten immer wieder auf das Recht des Einzelnen besinnen und auf die überlieferten moralischen Grundsätze metaphysischen Ursprungs, (vgl.: S. 444).
Meine Rezension möchte ich mit einem Zitat von Marion Gräfin Dönhoff beenden, das sehr viel über diese mutige Intellektuelle aussagt:"Der Rechtsstaat ist kein Endzustand, der, einmal erreicht, als gesicherter Besitz gelten kann. Im Gegenteil, er muss immer wieder verteidigt werden. Darum kommt es auf die staatsbürgerliche Haltung jedes Einzelnen an: Auf Mut zu unerwünschter Kritik, Aufdeckung von staatlicher Anmaßung, Misstrauen gegenüber den Mächtigen und den Interessenvertretern, aber auch auf die Bereitschaft, sich als reaktionär bezeichnen zu lassen, wenn man sich weigert, angeblich progressive Unternehmungen mitzumachen, wozu oft mehr Mut gehört als dazu, die sogenannten Mächtigen anzugreifen: Auch das ist Zivilcourage." (Zitat: S. 454)
Ein empfehlenswertes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.
Bitte klicken Sie auf den Button, dann gelangen Sie zu Amazon und können das Buch bestellen.
Dieses Lesebuch enthält zahlreiche Artikel aus der Wochenzeitung "Die Zeit" aus den vierziger Jahren des letzten Jahrhunderts bis hinein in das neue Jahrtausend sowie Reisereportagen, Porträts und Reden, verfasst von der im Jahre 2002 verstorbenen Chefredakteurin und Herausgeberin der "Zeit", Marion Gräfin Dönhöff, die 1909 in Friedrichsstein/Ostpreußen geboren wurde.
Die Herausgeber des Buches sind Irene Bauer, die 20 Jahre lang die persönliche Mitarbeiterin Marion Gräfin Dönhoffs war und der Großneffe der ehemaligen Zeitherausgeberin, Friedrich Dönhoff.
Dem Vorwort entnimmt man Biographisches, das man aufgrund der Zeittafel zum Schluss des Buches noch vertiefen kann und die Artikel nehmen ihren Anfang mit jenem Text, mit dem sich Marion Gräfin Dönhoff im März 1946 als Redaktionsmitglied der neu gegründeten Wochenzeitung "Die Zeit" ihren Lesern vorstellte. Der Titel lautete "Ritt gen Westen". Hier schreibt sie von ihrer Flucht aus Ostpreußen auf ihrem Pferd in Richtung Westen.
Sie schreibt im gleichen Jahr auch über die Männer des 20. Juli, die sie persönlich kannte und in der Folge zu immer wieder brisanten Themen, die heute schon lange der Vergangenheit angehören. Dass es Marion Gräfin Dönhoff war, die nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 in einem Leitartikel forderte, dass dieser Tag zum Tag der Deutschen Einheit erklärt werden solle, wusste ich nicht. Drei Wochen nach ihrer schriftlich fixierten Forderung wurden ihre Gedanken Realität.
Berührt hat mich der Artikel "Sechs Herrenmenschen". Hierbei geht es um sechs ehemalige KZ-Lagerführer, die 1954 in Frankreich vor Gericht gestellt und zum Tode verurteilt wurden. Die Chefredakteurin fragt, ob diese Männer zu Verbrechern werden mussten? Die Täter hatten immer wieder darauf hingewiesen, dass sie auf höheren Befehl gehandelt haben, dass sie selbst erschossen worden wären, wenn sie nicht, wie ihnen befohlen, gemordet, geschlagen und gefoltert hätten. Dönhoff fragt, ob es tatsächlich so viel leichter gewesen sei, in Stalingrad zu sterben und ist dabei überzeugt, dass jeder der sechs Männer, wäre er dort eingesetzt worden, ohne klagen, es getan hätte, als sein Leben zu lassen, um nicht Verbrecher zu werden? (vgl.: S. 81ff). Sie beendet ihren Artikel mit dem Satz "Denn die Möglichkeit zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, die kann man den Menschen doch wohl nicht absprechen". Mit diesem Satz offenbart sie sich als legitime Tochter Kants.
Sie schreibt zu den Studentenunruhen in den 1960er Jahren, zum deutsch- polnischen Vertrag über die Oder-Neiße-Grenze. Dabei muss man wissen, dass sie die wichtigste publizistische Wegbereiterin der Ostpolitik von Willy Brandt war.
Immer wieder hat man Gelegenheit, Fotos von ihr betrachten zu können und sich von ihrer intellektuellen Aura zu überzeugen. Diese war wahrlich beeindruckend, wie ich mich auf einer der Frankfurter Buchmesse irgendwann in den späten 1990er Jahren überzeugen konnte als ich Marion Gräfin Dönhoff zufällig dort sah. Ihre Ausstrahlung bleibt mir unvergesslich.
Es ist unmöglich auf all die vielen Texte im Buch im Rahmen der Rezension der näher einzugehen. Erwähnen möchte ich ihr Porträt des durch die Nazis ermordeten Widerstandskämpfers Fritz -Dietlof von Schulenberg, der anfangs begeisterter Nationalsozialist war und dessen Verzweiflung über die Zerstörung Deutschlands, die Pervertierung des Rechtsstaates, die Korrumpierung der Bürger, die von einem verlogenen Wertesystem indoktriniert wurden ihn zum erst zum Widerstandkämpfer machten. Sein Zorn über die Diktatur und Tyrannei sei grenzenlos gewesen, so Dönhoff, (vgl.: S. 406).
In einem Vortrag, den sie 1985 in Oxford hält fordert sie vom Bürger Zivilcourage. Im Buch trägt dieser Vortrag den Titel "Vom Ethos des Widerstands". Hier auch befasst sie sich u.a. mit den Geschwistern Scholl. Sie schreibt von der ethischen Gesinnung aus der heraus Sophie und Hans Scholl handelten, schreibt von der grenzenlosen Einsamkeit, in der sie leben mussten, stets auf der Hut, nie einem Dritten Vertrauen schenken zu dürfen. Es sei nicht so sehr der politische Kampf gegen eine verbrecherische Regierung gewesen, der sie inspirierte, sondern das moralische Ringen mit dem Bösen. Dönhoff kommt hier zum Ergebnis, dass das Wesen des echten Widerstandes die Erkenntnis sei, dass man sich nicht auf die Kirche, nicht auf die Universitäten, nicht auf die Parteien verlassen könne. Es käme stattdessen auf den Freiheitswillen der Bürger an, auf seinen geschärften Humanitätssinn. Man könne sich in solchen Zeiten immer wieder auf das Recht des Einzelnen besinnen und auf die überlieferten moralischen Grundsätze metaphysischen Ursprungs, (vgl.: S. 444).
Meine Rezension möchte ich mit einem Zitat von Marion Gräfin Dönhoff beenden, das sehr viel über diese mutige Intellektuelle aussagt:"Der Rechtsstaat ist kein Endzustand, der, einmal erreicht, als gesicherter Besitz gelten kann. Im Gegenteil, er muss immer wieder verteidigt werden. Darum kommt es auf die staatsbürgerliche Haltung jedes Einzelnen an: Auf Mut zu unerwünschter Kritik, Aufdeckung von staatlicher Anmaßung, Misstrauen gegenüber den Mächtigen und den Interessenvertretern, aber auch auf die Bereitschaft, sich als reaktionär bezeichnen zu lassen, wenn man sich weigert, angeblich progressive Unternehmungen mitzumachen, wozu oft mehr Mut gehört als dazu, die sogenannten Mächtigen anzugreifen: Auch das ist Zivilcourage." (Zitat: S. 454)
Ein empfehlenswertes Buch, das sehr zum Nachdenken anregt.
Bitte klicken Sie auf den Button, dann gelangen Sie zu Amazon und können das Buch bestellen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen